Tichys Einblick
Der Schein trügt

Dschihadisten: „Gefährder“ bleiben gefährlich

Die militärischen Niederlagen in den Gebieten des ausgerufenen IS-Kalifats dürften nicht dazu beitragen, dass der IS von dieser Politik abrückt. Ganz im Gegenteil.

Aktuellen Zahlen des Bundesinnenministeriums zufolge ist die Zahl der registrierten islamistischen Gefährder in Deutschland zurückgegangen. Anfang Juli zählen die Polizeibehörden demnach noch 629 zu dieser Gruppe. Im Vorjahr waren es noch 702 Personen, vor einem halben Jahr noch 677.

Eigentlich sollten wir uns doch jetzt freuen. Weniger Gefährder ergo weniger Gefahr. Ein Grund zum Aufatmen und Schulterklopfen also, vielleicht ja auch noch ein bisschen Selbstbeweihräucherung. Ich sage: Mitnichten, denn der Schein trügt. Wenn wir jetzt nachlässig werden, fahrlässiger mit islamistischen Gefährdern umgehen, dann könnte uns das sehr bald schon teuer zu stehen kommen.

Als „Gefährder“ bezeichnet die Polizei Personen, denen sie eine politisch motivierte Straftat von erheblicher Bedeutung zutraut – etwa einen Terroranschlag. Soweit, so klar. Nun aber legen die Sicherheitsbehörden einen weiteren Maßstab an: Wer einmal als „Gefährder“ eingestuft wurde, bleibt das nicht dauerhaft. Vielmehr wird regelmäßig überprüft, ob sich jemand immer noch entsprechend verhält oder nicht.

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Hier sehe ich eine große Gefahr: Nur, weil eine Person sich innerhalb eines definierten, oftmals nicht übermäßig langen Zeitraums, nicht auffällig verhalten hat, bedeutet das nicht automatisch, dass von ihr keine Gefahr mehr ausgeht. Viele Experten argumentieren jetzt vor allem damit, dass der Islamische Staat (IS) durch zahlreiche militärische Niederlagen in Syrien und im Irak an Strahlkraft verloren hätte, er sei für die Terroristen schlichtweg nicht mehr attraktiv genug.

Diese Fehleinschätzung ist ebenso kurzsichtig wie fatal: Der IS selbst hat angekündigt, man werde den Dschihad nach Europa bringen. Es ist doch eben das Ziel dieser Terroristen, Schläfer in Europa zu installieren, die unterhalb des Radars schwimmen, eben gerade nicht als „Gefährder“ gelten und dadurch nur umso gefährlicher werden.

Die militärischen Niederlagen in den Gebieten des ausgerufenen IS-Kalifats dürften meiner Meinung nach nicht dazu beitragen, dass der IS von dieser Politik abrückt. Ganz im Gegenteil: Bei der Terrororganisation wird man sich nicht damit zufriedengeben, dass man zurückgedrängt, in immer mehr Schlachten besiegt wird und immer mehr Zivilisten aus den Fängen der Islamisten befreit werden.

Die Verantwortlichen für diese blamable Situation, in welcher sich der IS nun befindet, sind für die Anhänger des Kalifats dabei offenkundig: Es ist der Westen, der die militärische Zurückdrängung des IS zu verantworten hat. Der Zorn der Dschihadisten und Islamisten richtet sich gegen die USA, gegen Europa und auch gegen Deutschland.

Gerade jetzt müssen wir daher mit schweren Vergeltungsschlägen des IS und anderer islamistischer Terrororganisationen aus dem Nahen und Mittleren Osten rechnen. Wir können bis heute nicht sagen, wie viele Schläfer die Terroristen in Europa platzieren konnten.

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Zahlreiche Zugriffe der Polizei innerhalb der letzten Monate geben uns aber eine Idee: Immer wieder konnten wir in Medien lesen, dass ein Anschlag erfolgreich vereitelt werden konnte. Das ist selbstverständlich erfreulich und eine gute Sache. Zugleich zeigen die Berichte von schwer bewaffneten Einzelkämpfern und Fanatikern, die sich mit Anleitungen zum Bombenbau aus dem Internet schon die nötigen Bestandteile besorgt hatten, dass die IS-Schläfer real sind.

Die Schergen sind keine bloße Vorstellung oder eine Zahl in einer Statistik, sondern stellen eine reale Gefahr für unsere innere Sicherheit dar. Gleiches gilt auch für die wachsende Zahl an IS-Rückkehrern. Auch diese Leute sind nicht per se ungefährlich, nur weil sie aus den IS-Kriegsgebieten zurück nach Deutschland kommen.

Ich kann immer nur wieder warnen: Die Ideologie des Hasses, die tiefe Verachtung des Westens, seiner Kultur, Werte und Traditionen ist den Dschihadisten des IS in Fleisch und Blut übergegangen. Wer glaubt, diese könne einfach so abgelegt werden, sobald die Ex-Kämpfer wieder in unser Land einreisen, ganz so wie als würde man die Kleidung wechseln und sei damit reingewaschen, begeht einen gefährlichen Fehler.

IS-Anhänger, (Ex-)Dschihadisten und ganz besonders installierte IS-Schläfer sind und bleiben gefährlich. Diese Gefahr darf keinesfalls unterschätzt werden, denn sonst könnte uns schon bald ein böses Erwachen drohen. Deshalb ist eine genaue Überprüfung aller vorgenommenen Einschätzungen wichtig: Lieber drei Islamisten mehr beobachten, die sich als harmlos herausstellen, als einen nicht beobachten, der dann seelenruhig an einem Anschlag tüfteln kann.

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Einen weiteren Aspekt der jüngst verkündeten Zahlen aus dem Innenministerium möchte ich hier zusätzlich zur Sprache bringen: Seit Beginn des Jahres habe man demnach 24 Islamisten aus der Bundesrepublik Deutschland abgeschoben, darunter 12 als Gefährder eingestufte Personen: Demnach wäre nach Ägypten, Afghanistan, Georgien, Russland, Tadschikistan, Tunesien, Algerien und Irak je ein Islamist zurückgeführt worden. Vier weitere habe man in die Türkei gebracht, drei in den Libanon. Nach Italien, Polen, Schweden und in die Niederlande schob die Bundespolizei insgesamt fünf Islamisten ab. Hinzu kämen noch jeweils eine „freiwillige kontrollierte Ausreise“ eines Islamisten nach Nord Mazedonien, Syrien, in die Türkei und in den Irak.

Jeder Islamist, der dieses Land verlässt, ist ein Erfolg – das ist unbestritten. Die Zahlen sind jedoch viel zu niedrig: Die Abschiebung von Gefährdern müsste deutlich schneller erfolgen und vor allem deutlich mehr Gefährder betreffen.

Für mich ist es nach wie vor absolut unverständlich, wieso hier lieber wegesehen wird, statt konsequent durchzugreifen. Wer im Verdacht steht, unser Land zu gefährden, der darf hier kein Asyl erhalten. Und wer kein Asyl erhalten hat, der muss unser Land auf dem schnellstmöglichen Wege verlassen. Wieso vergehen hier oftmals viele Monate oder gar Jahre?

Ich fordere daher einmal mehr: Schneller und konsequenter abschieben. Lassen wir uns nicht von Augenwischerei und sinkenden Zahlen einlullen. Die Gefahr durch Islamisten in unserem Land ist und bleibt real. Und wenn sie mich fragen: Die Niederlagen des IS, der zwangsweise Corona-Rückzug in die Anonymität der eigenen vier Wände und die damit einhergehende Verlagerung der öffentlichen Aufmerksamkeit könnten die Vorbereitung radikal islamistisch-motivierter Anschläge sogar noch begünstigen.

Deshalb gilt: Wachsam bleiben und keinen Sand ins Auge streuen lassen.

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