Tichys Einblick
Herles fällt auf

Masse Mensch. Von der inflationären Verwendung des Menschen-Worts.

Ich kenne keine Deutschen mehr, ich kenne nur noch Menschen, verfährt wie Kaiser Wilhelm 1914: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“. Beides macht aus dem Bürger den Untertan.

Keine Rede, keine Show, keine Nachrichtensendung, in der nicht „die Menschen“ vorkommen. „Die Menschen“ wollen dies! „Die Menschen“ wollen dies oder das auf gar keinen Fall! So tönen Wahlkämpfer und Journalisten. Nicht die Leute, die Bürger, die Wähler, das Publikum etc., nein immer gleich „die Menschen“ sind es, für die und über deren Köpfe hinweg gesprochen, behauptet, gefordert wird. Weshalb?

I.

Ein Säugetier aus der Ordnung der Primaten, der Unterordnung der Trockennasenprimaten, der Familie der Menschenaffen, der Gattung Homo, der Art Homo sapiens sapiens wird als Mensch bezeichnet.

Die Bezeichnung Mensch bietet sich also an, wenn zwischen Menschen und allen anderen Tieren unterschieden wird. Dies ist in 99,999 Prozent aller Fälle der Verwendung des Ausdrucks „die Menschen“ nicht der Fall.

Die Formulierung „die Menschen“ ist ferner sinnvoll, wenn die Gesamtheit der Menschen gemeint ist. Der Mensch als Erdenbewohner. Auch dies ist eher selten der Fall, wenn Menschen und Menschinnen wie Merkel, Schulz, Eckhardt-Göring, Slomka oder Lanz unentwegt von „den Menschen“ reden.

II.

Warum tun sie es dennoch? Schlechtes Deutsch? Ja, das auch. Es macht Schule, ist leider epidemisch. Doch reicht diese Erklärung nicht aus.

Das penetrante Menschengerede ist von schleimiger Konsistenz. Es biedert sich an. „Schaut her, ich bin eingetragenes Mitglied im gemeinnützigen Verein der Menschenfreunde“, züngelt es. In der politischen Rede ist das Menschengesülz auch ein rhetorisches Mittel. Es geht nicht um die Präzision des Ausdrucks, sondern um dessen Wirkung. Um die Erregung von Gefühl. Wir reden nicht über Flüchtlinge oder Schutzsuchende, Asylbewerber oder Scheinasylanten, sondern „Wir kriegen jetzt plötzlich Menschen geschenkt“ (Eckardt-Göring). Wer noch diskutieren will, ist kein Mensch mehr, sondern Unmensch.

III.

Die inflationäre Verwendung des Menschen-Worts bezweckt also eine Moralisierung der Debatte. Wer im Namen „der Menschen“ zu sprechen vorgibt, will keine Auseinandersetzung. Er hat von Anfang an Recht. Wer behauptet, für „die Menschen“ zu sprechen, suggeriert erstens zu wissen, was „die Menschen“ wollen, und zweitens, dass „die Menschen“ geschlossen einer Meinung seien, nämlich der des Redners. Der Meinungsstreit wird für beendet erklärt, ehe er überhaupt begonnen hat. Er wird verboten.

IV.

Wir kennen das aus vordemokratischen Zeiten. „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“ sagte Kaiser Wilhelm gleich zweimal, jeweils vom Balkon seines Stadtschlosses im August 1914, als er sein Land für den Krieg mobilisierte. Das hörte sich patriotisch an, bedeutete aber etwas ganz anderes. Der Satz „ich kenne keine Parteien“ entzieht dem Bürger seine Eigenschaft als Demokrat. Der Bürger wird zum Untertan.

Ich kenne keine Deutschen mehr, ich kenne nur noch Menschen, verfährt auf anderer Ebene nach dem selben Muster. Das Menschengedröhn will den demokratischen Bürger nicht für sich gewinnen, sondern den Status des Bürgers entwerten. Merkt der Bürger nicht, dass er für dumm verkauft wird? Mensch Merkel! Das Menschengeschwurbel ist zutiefst autoritär.

V.

Nicht alle Menschen hier sind Bürger dieses Landes. Also haben nicht alle Menschen hier die selben Rechte. Dies versteht sich von selbst. Nicht jeder Mensch darf hier wählen. Die Menschenschwätzer leugnen das sprachlich. Es ist kein Versehen, wenn sich zum Beispiel Mensch Schulz im TV-Duett zur Bundestagswahl verplappernd korrigiert: „die Deutschen, äh, die Menschen“. „Die Deutschen“ kommen in öffentlicher Rede kaum noch vor. Man will sich ja nicht gemein machen mit Menschenverächtern.

VI.

Wer immer gleich über „die Menschen“ und im Namen „der Menschen“ spricht, verrät kolossalen Größenwahn. Was maßt er sich an! Ist er ein Gott, der auf seiner Wolke sitzt und von oben auf „die Menschen“ herabschaut?


Wolfgang Herles ist Schriftsteller und (TV-) Journalist, er schrieb mehrere Romane und zahlreiche politische Sachbücher, zuletzt Die Gefallsüchtigen in dem er das Quotendiktat der öffentlich-rechtlichen Medien und den Populismus der Politik attackiert. Sie erhalten es in unserem Shop: www.tichyseinblick.shop