Tichys Einblick
Helds Ausblick 6-2018

Ein Misstrauensvotum gegen die spanische Demokratie

Unglaublich, aber wahr: Katalanische Separatisten greifen die territoriale Integrität des demokratischen Spanien an, und ein deutsches Gericht verhindert, dass einer der Hauptakteure sich dafür vor der spanischen Justiz verantworten muss.

© Morris MacMatzen/Getty Images

Sie haben es wirklich getan: Das schleswig-holsteinische Oberlandesgericht hat entschieden, dass Carles Puigdemont, der wegen Verfassungsbruchs seines Amtes enthobene katalanische Regionalpräsident, nicht wegen des Anklagepunktes „Rebellion“ nach Spanien ausgeliefert und vor Gericht gestellt werden darf. Puigdemont war auf Grund eines internationalen Haftbefehls in Deutschland in Haft genommen worden, nun kommt er unter Auflagen frei. Das Gericht eines deutschen Bundeslandes hat ein Urteil von europäischer Tragweite gefällt. Es mischt sich massiv in den Verfassungsstaat Spanien ein. Es befand, „dass sich hinsichtlich des Vorwurfs der `Rebellion´ die Auslieferung als von vornherein unzulässig erweist“. Der nach deutschem Recht in Betracht kommende Straftatbestand des Hochverrats sei nicht erfüllt, weil es am Merkmal der Gewalt fehle.

Legitim ist mehr als legal
Finger weg von Puigdemont
Kein Merkmal der Gewalt? Was mag der schleswig-holsteinische Richter da im Kopf gehabt haben? Hat er danach geurteilt, ob Puigdemont Waffen mit sich geführt oder sie irgendwo heimlich für einen Aufstand gelagert hat? Ob er an der Spitze eines Schlägertrupps in ein Regierungsbäude eingedrungen ist? So etwas hat eine abtrünnige Regionalregierung, die einen Prozess der Trennung der eigenen Region vom Staatsganzen organisiert und dafür eine Folge von Verfassungsbrüchen beginnt, gar nicht nötig. Sie kann die Finanzmittel und Polizeikräfte einsetzen, die ihr schon zur Verfügung stehen. Sie hat also Geld und Waffen, und sie kann diese Mittel tatsächlich oder als Drohkulisse aufbauen. Sie muss das auch gar nicht in einem einzigen großen Schlag tun, sondern kann den Angriff auf die territoriale Integrität Schritt für Schritt steigern, angefangen mit der Duldung von Straßengewalt bis hin zur Besetzung strategischer Positionen im Lande. Die einzige Frage, die ein Gericht tatsächlich zu prüfen hat, ist, ob tatsächlich Schritte des Verfassungsbruchs vorliegen, oder ob es sich nur um formulierte Ziele handelt, die unter das Grundrecht auf Meinungs-, Versammlungs- und Organisationsfreiheit fallen.

Doch in diesem Punkt sind die Fakten klar und eindeutig. Herr Puigdemont, der sorgfältig den Habitus eines zivilen Politikers pflegt, wird in Spanien nicht wegen seiner politischen Ziele gerichtlich verfolgt, sondern wegen konkreter Handlungen. Am 27.10.2017 hat eine Mehrheit im katalanischen Parlament einseitig die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien erklärt (die sogenannte „Declaració unilateral d´Independència“). Sie hat nicht nur „ein Zeichen gesetzt“ und „einen politischen Willen zum Ausdruck gebracht“, sondern sie hat den Willen in Taten umgesetzt und Tatsachen geschaffen. Spätestens seit dem 27.Oktober, aber im Grunde schon seit dem Beschluss eines „Referendums für die Unabhängigkeit“ in Katalonien, ist die Verfassungseinheit Spaniens verletzt. Mit der Verabschiedung der Unabhängigkeitserklärung wurde die Übernahme der staatlichen Verfügungsgewalt in Katalonien beschlossen, darunter die öffentlichen Finanzen Kataloniens und die bewaffneten Kräfte. Das war kein symbolischer Akt, sondern der Beginn einer Machtübernahme. Puigdemont war einer der Anführer und Organisatoren dieser Usurpation, auch wenn er sich kurz vor der Abstimmung nach Belgien absetzte und von dort aus für das „Ja“ zur Separation mobilisierte.

Die schleswig-holsteinischen Richter können kein Merkmal der Gewalt erkennen? Nehmen wir das von den Separatisten angesetzte „Referendum für die Unabhängigkeit“ am 1. Oktober 2017. Es wurde vom spanischen Verfassungsgericht verboten. Das Referendum wurde trotzdem organisiert, konspirativ, unter Beihilfe von Inhabern öffentlicher Ämter und durch Besetzung öffentlicher Gebäude. Wo Polizeikräfte der spanischen Guardia Civil dieser Besetzung entgegentraten, wurden sie angegriffen. Die regionale Polizei verweigerte mehrfach einen Einsatz gegen diese Angriffe. Damit war eine erste Stufe der gewaltsamen Separation gegeben.

Dies Merkmal der Gewalt war die logische Folge des Merkmals der Einseitigkeit, mit der die Separatisten ihr Unternehmen betreiben. Für sie übt nur der Gewalt, der sich ihnen entgegenstellt. Sie selber sind prinzipiell „friedlich“ unterwegs, aber wehe all denen, die da nicht mitmachen. Diese Logik ist übrigens in Deutschland wohlbekannt. Man denke nur an die „friedlichen Blockaden“, mit denen in Hamburg der G20-Gipfel belagert wurde.

Wann die Grenzen funktionieren und wann nicht
Ehemaliger Regionalpräsident Kataloniens Puigdemont in Deutschland festgenommen - und wieder freigelassen?
Die spanischen Staatsorgane – Gerichte, Senat, Regierung – handelten demgegenüber im Sinne der für alle Bürger und Regionen gültigen spanischen Verfassung, als sie den § 155 der Verfassung in Kraft setzten und die verantwortlichen Politiker ihres Amtes enthoben. In dieser Situation wagten die Separatisten dann keinen Aufstand. Einige gingen ins Gefängnis, einige schwächten ihr Votum für die Unabhängigkeit nachträglich ab, und einige – darunter Puigdemont – setzten sich ins Ausland ab. Wie bei einem Militärputsch – in Spanien erinnert man sich an den (vereitelten) Militärputsch des Oberstleutnants Tejero im Februar 1981 – gab es also eine deklarierte Machtübernahme, aber es fehlte an deren sofortiger materieller Durchsetzung. Die „Rebellion“ wurde begonnen, aber noch nicht zu Ende geführt. Doch die kritische Schwelle war schon überschritten. Eine Situation der Doppelherrschaft war schon geschaffen, und sie konnte und kann jederzeit in bewaffnete Gewalt umschlagen – unter Berufung auf die erfolgte Unabhängigkeitserklärung. Sie ist eine Ermächtigungserklärung.

Der Tatbestand der „Rebellion“ liegt also hinreichend nah, um eine Anklage vor einem spanischen Gericht zu rechtfertigen. Liegt die Schwelle zum deutschen Tatbestand des „Hochverrats“ demgegenüber höher? Will das Gerichtsurteil aus Schleswig-Holstein uns sagen, wir müssten ein Vorgehen wie das der katalanischen Separatisten bei uns tolerieren? Es findet ja unzweifelhaft ein Angriff auf die Staatseinheit statt. Und wo, wenn nicht hier, hat der deutsche Hochverrats-Paragraph seinen Schutzweck? Welcher demokratische Staat in Europa würde solch ein Agieren von Separatisten dulden?

Es ist auch nicht einzusehen, wieso das deutsche Gericht im Punkt „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ der spanischen Anklage folgt, während es den Punkt „Rebellion“ ablehnt. Liegen ihm im Punkt „Veruntreuung“ genauere Informationen vor als im Punkt „Gewalt“? Oder misst das Gericht mit zweierlei Maß bei der Stichhaltigkeit der Anklagen?

Aber noch fragwürdiger ist ein anderer Aspekt des deutschen Urteils: Das Gericht hatte ja nicht einem Schuldurteil der spanischen Justiz zuzustimmen, sondern nur darüber zu befinden, ob in Spanien ein rechtsstaatlicher Prozess stattfindet. Ein Urteil, ob Puigdemonts Handeln tatsächlich den Tatbestand der Rebellion erfüllt, ist noch gar nicht gesprochen. Die Tatsachen müssen erst noch vor spanischen Gerichten geklärt werden! Aber der Beschluss des deutschen Gerichts läuft darauf hinaus, diese gerichtliche Klärung zu verhindern. Die Vorgänge, die Verstrickungen, die Beweise – das alles wollen die Menschen in Spanien noch genauer wissen. Ein deutsches Gericht aber befindet – in ein paar Tagen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit – dass sich die Auslieferung wegen Rebellion „als von vornherein unzulässig erweist“. Das ist der Skandal.

Es ist ein Misstrauensvotum gegen den spanischen Rechtsstaat, gegen die spanische Demokratie.