Tichys Einblick
„Corona-Gipfel”

Merkel ist nicht zufrieden, sagt sie, aber stimmt das?

Das tatsächliche Ergebnis dieses sogenannten Corona-Gipfels ist gut, Reste des deutschen Föderalismus leben noch. Doch weder um den Föderalismus noch die Corona-Politik geht es Merkel.

imago Images/photothek
Beschluss zur „Bekämpfung der SARS-Cov2-Pandemie“ der „Konferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 14. Oktober 2020“ heißen die sechseinhalb Seiten und sind damit schon in der Überschrift zwei nicht akzeptable Dinge. Erstens kennt die staatliche Ordnung der Bundesrepublik keine solche „Konferenz”, die zweitens daher keinen „Beschluss” fassen kann. Drittens kommt hinzu, dass hier kein Berg kreißte, sondern bloß ein Hügel, und nicht einmal eine Maus gebar.

„Beherbergungsverbot soll unterschiedlich geregelt werden” titelt RTL.de. „Keine Einigung über Beherbergungsverbote” heißt es bei Welt online.

Bild online zitiert Merkel: „Ich bin nicht zufrieden: die Ergebnisse sind nicht hart genug, dass wir Unheil abwehren.“ Und Bild weiter: »Wenn es jetzt keine klaren Maßnahmen gebe, „sitzen wir in zwei Wochen eben wieder hier.“«

So wird es auch kommen, wie der Blick in den sogenannten Beschluss zur „Bekämpfung der SARS-Cov2-Pandemie“ zeigt. Hier eine Probe der schlechten Kost (Hervorhebungen von mir) und dann ein Wort zu Merkel.

„… appellieren sie an die Bürgerinnen und Bürger, gerade jetzt in den Herbst und Win-termonaten sehr konsequent auf die Einhaltung eines Mindestabstandsvon 1,5m zu achten, die Hygieneregeln stets einzuhalten und dort, wo es geboten ist, eine Mund-Nasen-Bedeckung (Alltagsmasken)zu tragen. Hinzu kommt die dringende Empfehlung, die Corona-Warn-Appnach Möglichkeit zu nutzen und beim Aufenthalt mit mehreren Personen in geschlossenen Räumen regelmäßig zu lüften.

… Bürger werden erneut gebeten, in jedem Einzelfall kritisch abzuwägen, ob, wie und in welchem Umfang private Feierlichkeiten notwendig und mit Blick auf das Infektionsgeschehen vertretbar sind. Bei steigenden Infektionszahlen und spätestens ab einer Inzidenz von 35 soll eine Teilnehmerbegrenzung bei 25 Teilnehmern im öffentlichen und 15 Teilnehmern im privaten Raum gelten.

Es soll allgemein dort, wo die Infektionszahlen steigen und spätestens bei einer Inzidenz von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in einer Woche eine ergänzende Maskenpflicht im öffentlichen Raum dort eingeführt werden, wo Menschen dichter und/oder länger zusammenkommen.

empfehlen Bund und Länder dort, wo die Infektionszahlen kontinuierlich steigen und insbesondere bei steigenden Infektionszahlen oberhalb einer Inzidenz von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in einer Woche eine Sperrstunde in der Gastronomie einzuführen sowie zusätzliche Auflagen und Kontrollen einzuführen.

… wo die Infektionszahlen steigen und spätestens bei einer Inzidenz von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in einer Woche soll die Zahl der Teilnehmer bei Veranstaltungen weiter begrenzt werden. Ausnahmen bedürfen eines mit dem zuständigen Gesundheitsamt abgestimmten Hygienekonzeptes …

Bund und Länder fordern eindringlich alle Bürgerinnen und Bürger auf, nicht erforderliche innerdeutsche Reisen in Gebiete und aus Gebieten heraus, welche die Grenze 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb der letzten 7 Tage übersteigen, zu vermeiden.”

Von Seite 5 des Beschlusses zur „Bekämpfung der SARS-Cov2-Pandemie“ der „Konferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 14. Oktober 2020“ ein Sprung ans Ende auf Seite 7. Denn dort steht das tatsächliche Ergebnis der sogenannten Konferenz: Reste des deutschen Föderalismus leben noch – in anderen Worten, die sogenannte Konferenz hat nichts „beschlossen”.

„Protokollerklärungen zu Ziffer 2a:

RP/Hessen/NRW: Wie bisher wird Rheinland-Pfalz/Hessen/NRW aufgrund des erheblichen Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung Beschränkungen der Teilnehmerzahl für Treffen in den eigenen privaten Räumlichkeiten nur als dringende Empfehlung aussprechen.

NI:Niedersachsen meldet für die verbindliche Umsetzung der Regelung für die privaten Räume einen Prüfvorbehalt an.

Protokollerklärungen zu Ziffer 2a und 4e:

SN: Sachsen hält bei Familienfeiern an der Regelung auf Grundlage des MPK-Beschlusses vom 29.9.2020 fest.”

Merkel hat genug Leute um sich herum, die ihr vor den acht Stunden des sogenannten Corona-Gipfels sagen konnten, dass nicht mehr dabei rauskommen wird als nun nachlesbar. (Merken die Medienschaffenden nicht, wie lächerlich es ist, jede Zusammenkunft von ein paar Politikern Gipfel zu nennen?) Aber für das, was Merkel vorhat, kommt es nicht darauf an, was bei „Gipfeln” (in Deutschland oder der EU oder sonstwo) rauskommt, sondern dass sie mit ihr an der Spitze stattfinden.

„Gipfel” zum Klima haben den Nachteil, dass die Angst vor dem Klimawandel nicht annähernd so unmittelbar ist wie die vor Corona. Bei Corona lässt sich die real existierende Angst hier und jetzt politisch einsetzen. Mit Corona kann Merkel von einem „Gipfel” zum anderen wandern. Mit Corona kann Merkel weiter über alle großen Probleme hinweggehen: Euro, Infrastruktur, Migration, Wirtschaft und so weiter. Mit Corona kann sie auch verdecken, dass ihre Ratspräsidentschaft in der EU praktisch nicht stattfindet.

Macht alles nichts, denn: Mit einem „Gipfel” nach dem anderen nähert sich Merkel ihrem eigentlichen nächsten „Gipfel”: Sie muss Deutschland, Europa und die Welt retten durch ihre erneute Kandidatur für die Kanzlerschaft. Deshalb sind „Gipfel”, bei denen nichts rauskommt, die beste Voraussetzung für weitere „Gipfel”. Zusammen verhindern sie, dass es mal um tatsächliche Politik gehen könnte. Und die Medien spielen mit. Über nichts lässt sich einfacher berichten als über „Gipfel”.

Merkel ist nicht zufrieden, sagt sie, aber stimmt das? Ich nehme sie als sehr zufrieden wahr, so zufrieden, wie sie schon lange nicht war.

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