Tichys Einblick
Die richtige Flüchtlingspolitik -ein Plädoyer

Der Spiegel Nr. 35 – eine Redaktion in Angst und Ungewissheit

DER SPIEGEL torkelt und erhält einen neuen Chefredakteur. Man spürt die Verunsicherung der Redaktion; fast möchte man den früher so Mächtigen und Selbstbewussten über die Köpfchen streicheln: Traut Euch. Was auch immer. Aber traut Euch.

Die zehnseitige Titelgeschichte „Die Jahrhundertfrage“ von Nicola Abé Katrin Elger und Fritz Schaap wartet mit zehn Thesen zur „Flüchtlingspolitik” auf von „Mehr Hilfe vor Ort“ über „Autonomie wiederherstellen“ und „Transitzentren“ bis „Rücknahmeabkommen“, um einige zu nennen. Alles nichts wirklich neu. Natürlich politisch korrekt bis zum abwinken, um ja nicht in die ZEIT-Falle zu tappen und irgendwie das Feuer der Refugee-Fraktion auf sich zu lenken, weil man notwendige Fragen zu direkt stellt wie die Hamburger Zeit-Frau in der „Sennotrettungsfrage”.

Nein, das passiert nicht, darf nicht passieren. So entsteht ein Beitrag, der nach allen Seiten nickt und brav ist wie ein ertappter Schüler, eine Schülerin, die vor versammelter Klasse nach Vokabeln abgefragt wird – bloß nichts falsch machen. Und trotzdem liest sich der Beitrag mit seinen vielen Kurzreportagen aus verschiedenen Krisengebieten gut. Kronzeugen für die Thesen sind der britische Wirtschaftswissenschaftler und Kritiker allzu einfacher Seelenlagen, Paul Collier, und Gerald Knaus, Gründer und Leiter der „Europäischen Stabilitätsinitiative“, der Gewissensberater vom Amt.

Freispruch im BAMF-Skandal: Schlagzeilen wie aus dem Stille-Post-Spiel
Wer das Emotionale, das über die Reportagen transportiert wird, außen vor lassen und nur den Kern der Thesen lesen will, der sei auf die letzten 94 Zeilen verwiesen. Dort findet man zusammengefasst die vorher ausgebreiteten Ansätze. Das Thema Einwanderungsgesetz wird mit der letzten der zehn Thesen am Rande gestreift. Auch hier spürt man: Bloß nichts falsch machen! Bloß keine Festlegung. Armer SPIEGEL. „Ein Plädoyer“ ist auf dem Titel angekündigt, auf großer, weißer Fläche. Ein Plädoyer aber findet man nicht. Der Inhalt bleibt so blaß wieder der Titel, so kleingedruckt, so an den Rand gedrückt. Früher war da Mut, gelegentlich auch Wut. Jetzt ist da nur Ducken.

In „Operation Retro“ verfolgen Michael Sauga und vier Kollegen die verzweifelten Zuckungen von Andrea Nahles und Olaf Scholz, die trotz voller Kassen Steuern und Beiträge erhöhen wollen, um die jüngsten Rentenversprechen abzusichern. Eine SPD, die versucht, sich neu zu erfinden und dabei inhaltlich um Jahrzehnte zurückfällt. Die Kuschel-SPD, die in Liebessehnsucht es jedem am Kamin warm machen will und dabei jeden Kompass zu verlieren scheint. Warum Deutschland die Türkei alimentieren soll, bleibt weiter das Geheimnis von Andrea Nahles, deren Partei weiter vor sich hin schrumpft.

In einem Gastbeitrag („Unbedingte Loyalität“) bespricht Martin Schulz die Biografie „Der tragische Kanzler“ von Peter Reichel über Hermann Müller, in der Weimarer Republik Fraktions- und SPD-Vorsitzender, Reichskanzler und Außenminister. Und natürlich zieht der Ex-Kanzlerkandidat und Ex-SPD-Vorsitzende die Parallelen zum Zustand der heutigen SPD. Etwa, wenn er das Schlusskapitel „Das Dilemma der SPD“ auf die Jetztzeit überträgt: das Ringen um Positionen, um die Fähigkeit, Kompromisse einzugehen, die Zerrissenheit zwischen Verantwortung und Prinzipientreue. Überliefert ist das Lebensmotto Müllers: „So lange man schnaufen kann, muss man kämpfen“. Ob Schulz diese Botschaft bewusst herausstellt – für Andrea Nahles und Olaf Scholz?

Ehrlich machen
Bedingungslose Einwanderung: Ohne Legitimation an den Bürgern vorbei
In Washington hat Robert Mueller vorige Woche zwei Teilsiege errungen. Neben dem Stab um den Sonderermittler recherchiert auch ein Team des linksliberalen Thinktanks „Center for American Progress“ das Moskau-Projekt, wie es dort heißt. Christoph Scheuermann ließ sich von Teamleiter Max Bergmann auf den neuesten Stand der Recherche bringen und lässt die Spiegel-Leser in „Die Jagd“ daran teilhaben.

Pflichtlektüre für alle Journalisten ist das Spiegel-Gespräch von Isabell Hülsen und Britta Sandberg mit John Micklethwait, dem Chefredakteur des US-Medienkonzerns Bloomberg. Eine seiner Botschaften: „Der Druck auf uns Journalisten, Dinge zu erklären, wächst“. Eine andere: Die Dinge sortieren sich gerade in Richtung Qualität. Und besonders wichtig: Nichts für selbstverständlich halten.

Der Paygap: Wenn man seine Leser für blöd hält
Mit „Taxis der Lüfte“ gelingt Marcel Rosenbach und Simone Salden ein interessanter Beitrag über die Entwicklung von Passagierdrohnen, die angeblich bald mit dem herkömmlichen öffentlichen Nahverkehr konkurrieren. Wenn Konzerne wie Airbus, Daimler und Toyota investieren, sind das unübersehbare Signale. Auch Uber soll schon Businesspläne in der Schublade haben, um in das Geschäft einzusteigen. Und die Münchner CSU-Fraktion fordert jüngst von der Deutschen Bahn, auf dem Neubau des Bahnhofs entsprechende Landeplätze einzuplanen, damit Zahlungskräftige und -willige nicht mehr eine Stunde in der S-Bahn sitzen müssen, um vom Flughafen in die Innenstadt zu kommen. Aber wie realistisch ist das alles? Lösen Lufttaxis wirklich Mobilitätsprobleme? Oder schaffen Sie vielmehr weitere? Ein spannendes Thema, das ich mir gut als Titelgeschichte vorstellen kann. P.S.: Bei Lufttaxi fällt mir immer zuerst die Szene ziemlich am Anfang des Science-Fiction-Fantasy-Films „Das fünfte Element“ ein: Leeloo Minai Lekarariba-Laminai-Tchai Ekbat De Sebat (Milla Jovovich), das fünfte Element, landet orientierungslos im Lufttaxi von Korben Dallas (Bruce Willis), und beide entkommen mit einem schwindelerregenden Ritt durch dichten Luftverkehr auf mehreren Ebenen zwischen Häuserschluchten den Verfolgern.

Zuletzt noch ein Lob an Rafael Buschmann, Marc Hujer und Gerhard Pfeil, die mit dem Beitrag „Wie eine Traditionself“ einen verhaltenen Abgesang auf den führungsschwachen, aber mangels Alternativen angelblich unentbehrlichen Fußball-Bundestrainer Joachim Löw verfassten. Jetzt hat Löw die Chance, in den nächsten Spielen zu punkten. Bleibt abzuwarten, ob die Analysen, die Löw und Bierhoff dem DFB vorlegten, Anlass zum Aufbruch sind oder doch nur Papiertiger und Lippenbekenntnisse.

Wie bei Will
Bei Illner nichts Neues
Der SPIEGEL ist im Umbrauch, neue Köpfe kriegt das kopflose Blatt. Die Wirtschaftsredaktion ist von alten Kämpen befreit und mit Susanne Amann neu besetzt. Da sieht man manches Neues. Beispielsweise wenn die Redaktion auf wenigen Zeilen der Feststellung der Bundesbank nachgeht, dass die Nullzins-Politik die Deutschen ärmer macht. Aber das darf doch nicht sein! Haltung, wie sie der SPIEGEL heute versteht, ist ja, Regierungstreue zu zeigen. Und so wird begründet, dass die Deutschen doch eigentlich reicher werden, wenn ihr Vermögen ohne Zinsen schrumpft. Das liest sich wie eine nacherzählte Pressemitteilung der EZB. Da hätte man sich mehr Mut zur kritischen Betrachtung gewünscht, wer da zu den Verlieren zählt (im Nebensatz nur angedeutet: Geringerverdiener) und wer zu den Gewinnern: Der sich entschuldende Staat und jene Besserverdienenden, die dem tristen Euro-Markt und den traurigen Lebensversicherungen oder Riesterrenten entfliehen können.  Da wäre unter den Vorgängern mehr Wumms! gewesen, nicht dieses weinerliche Bestätigungssäuseln. Nachdem am Donnerstag bekannt wurde, dass der bisherige Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer durch ein Chef-Triumvirat ersetzt wird, warte ich jetzt gespannt darauf, wie die weiteren neuen Besen kehren und sich das in den nächsten Ausgaben zeigt. Bis jetzt: Satz mit X. Nix gut.