Tichys Einblick
„Fast ausnahmslos Wirtschaftsmigranten“

Wie die DDR Asylbewerber als politisches Druckmittel nutzte

Ost-Berlin und Moskau versuchten in den 1980er Jahren, die Bundesrepublik durch Einschleusen von Wirtschaftsflüchtlingen, die Asyl beantragten, zu destabilisieren. Auch bei der Flüchtlingskrise von 2015 kam es zu bis heute kaum untersuchten Merkwürdigkeiten.

Asylbewerber werden mit dem Bus zu ihren Standorten im Bundesgebiet gebracht - Berlin, 16. Juli 1986

imago images / Detlev Konnerth

Die Nachricht ist alt, doch sie wirkt hochaktuell – und bringt einen ins Grübeln: „1985 entdeckte die Führung der SED, dass man Flüchtlingsströme sehr gut als politische Waffe einsetzen konnte… sie lenkte mehr als 150.000 Asylbewerber aus Afrika und Asien unkontrolliert in die Bundesrepublik. Die DDR wollte Druck auf die Bundesrepublik machen – und hatte damit Erfolg“, schrieb die WELT. In Bonn klagten damals Politiker, Ost-Berlin wolle die Bundesrepublik durch die Flüchtlingswelle „destabilisieren“; sie sahen dahinter Moskau.

Die Flüchtlingswelle Mitte der 1980er Jahre schlug hohe Wellen und wurde „zu einem psychologischen Problem in der Öffentlichkeit“, klagten damals Diplomaten. Der im Vergleich zu heute geringe Zustrom war der wohl entscheidende Grund für den Aufstieg der am rechten Rand angesiedelten Republikaner – die manche als eine Art Vorläufer der AfD sehen.

„Das Manöver der DDR brachte die Bundesrepublik und vor allem die damals eingemauerte Teilstadt West-Berlin bis an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit“, schrieb die WELT: „Bis 1977 war Artikel 14 des Grundgesetzes, demzufolge „politisch Verfolgte“ in der Bundesrepublik Asyl genießen, nur relativ selten genutzt worden… 1978 änderte sich das schlagartig: In diesem Jahr beantragten 33.136 Menschen Asyl, im darauffolgenden Jahr 51.493 und schließlich 1980 107.818. Fast ausnahmslos handelte es sich um Wirtschaftsmigranten, meistens um junge Männer.“ Im Laufe des Jahres 1985 kamen laut FAZ 73.832 Asylbewerber ohne gültige Einreisedokumente in die Bundesrepublik. Ausgerechnet Erich Honecker, der sonst kein gutes Haar an der Bundesrepublik ließ, lobte deren Asylrecht.

Es waren Flugzeuge der Interflug und der sowjetischen Aeroflot, die Menschen ohne Visa vor allem aus dem damaligen Bürgerkriegsgebiet Sri Lanka und aus diversen schwarzafrikanischen Staaten am DDR-Flughafen Schönefeld bei Berlin einfliegen ließen. Von dort wurden sie an die sonst so undurchlässige Grenze gebracht und durften ohne Probleme ausreisen. Denn von West-Berliner Seite herrschte schon damals das Prinzip der völligen Durchlässigkeit – weil man die Teilung der Stadt nie anerkannte und einseitig an der Freizügigkeit festhielt. Im Westen angekommen, mussten die Zuwanderer nur das Wort „Asyl“ sagen und schon durften sie bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens bleiben. Alle Zuwanderer waren darüber offenbar bestens informiert.

Die DDR nutzte die Asylanten de facto, um die Bundesrepublik zu erpressen – etwa, um zinslose Darlehen zu bekommen im Gegenzug zu einem Stoppen des Migranten-Stroms. „Die Welle der Einwanderung unter falschem Etikett wird weitergehen“, klagte im 2. September 1986 der Herausgeber der WELT, Herbert Kremp: „Zulasten der Menschen hier und zulasten der Ankömmlinge, die eine andere, grauere, härtere Welt vorfinden, als die ,Ethiker‘ der deutschen Politik und Publizistik ihnen offenbaren wollen.“

Schließlich wurde der Flüchtlingsstrom von Moskau und Ost-Berlin auch noch instrumentalisiert, um Einfluss auf die Bundestagswahl zu gewinnen: Ausgerechnet SPD-Kanzlerkandidat Johannes Rau konnte vor dem Urnengang ein Einlenken Moskaus verhindern. Die CSU sprach laut FAZ „von einem ,plumpen Wahlkampfmanöver´ Ost-Berlins zugunsten der SPD.“ Die Grünen dagegen „warfen der SPD vor, sie habe sich zum ,Erfüllungsgehilfen der fremdenfeindlichen Asylpolitik´ der Bundesregierung“ gemacht. Zum Wahlsieg gegen Helmut Kohl (CDU) reichte die Unterstützung aus der DDR und der Sowjetunion jedenfalls nicht aus.

Nach Schätzungen leben heute noch rund 60.000 der tamilischen Bürgerkriegsflüchtlinge in der Bundesrepublik.

Der massive Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland 2015 erfolgte nach massiver Einmischung von Wladimir Putin in den Syrien-Konflikt und Bombardierungen auch von zivilen Objekten und Wohnhäusern. Putin hat sein Handwerk beim KGB gelernt und war von 1985 bis 1990 für diesen in der DDR. Es ist davon auszugehen, dass er damals auch über den Versuch der DDR-Führung informiert war, die Bundesrepublik mit Flüchtlingen zu destabilisieren.

Die Schriftstellerin Cora Stephan schreibt dazu auf facebook: „Was 2015 und Putin betrifft, habe ich allerdings meine Zweifel. Erdogan fällt einem da eher ein.“

Ob und wie die Flüchtlingswelle 2015 provoziert oder instrumentalisiert wurde, lässt sich nicht beurteilen. Nichtsdestotrotz – es gibt einige Merkwürdigkeiten, die zumindest der Beachtung wert sind und deshalb hier aufgezählt werden:

Griechenland spielte damals die Schlüsselrolle. Dessen Premierminister Alexis Tsipras ist eng mit Moskau; schon wenige Stunden nach seiner Vereidigung im Januar 2015 eilte er in einer seiner ersten Amtshandlungen in die russische Botschaft in Athen. Bemerkenswert ist, dass griechischer Minister, die auffällige Verbindungen nach Moskau haben, schon vor der Flüchtlingswelle 2015 genau vor einer solchen warnten. So ließ Anfang März 2015 Außenminister Nikos Kotzias aufhorchen, ein Marxist, der Griechenland zu einer Brücke zwischen Russland und der EU machen wollte und betonte, „Russland ist für Griechen ein potenzieller militärischer und wirtschaftlicher Verbündeter“. Auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise warnte Kotzias, Griechenland könne zum Einfallstor für „Millionen Immigranten und tausende Dschihadisten“ nach Europa werden, wenn es zusammenbreche. Ein weiterer Minister, der fast zeitgleich mit der Weiterleitung von Flüchtlingen drohte, und zwar explizit nach Berlin, war Panos Kamennos: der Chef der Rechtspopulisten und Verteidigungsminister, der für Schlagzeilen sorgte durch den Besuch einer Luxushochzeit bei Moskau auf Einladung des Oligarchen Malofejew, des wichtigsten Drahtziehers von Moskaus rechten Netzwerken in Europa und des Kriegs in der Ostukraine.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft forderte wegen der Drohungen, Griechenland notfalls aus dem Schengenraum auszuschließen. Im Sommer 2015 wuchs die Zahl der Flüchtlinge, die über Griechenland in die anderen EU-Staaten kamen, beinahe schlagartig an. Die Grenze zwischen Griechenland und der Türkei war durchlässig geworden.

Die Gründe für die Flüchtlingswelle waren vielschichtig. Einer davon: In den sozialen Netzwerken war auffallend massiv und professionell über die Vorzüge der Bundesrepublik als Aufnahmeland berichtet worden. „Der starke Anstieg der Flüchtlingszahlen in Deutschland in den vergangenen Tagen wird auch damit erklärt, dass in vielen Ländern von Libyen über Libanon, Syrien bis Afghanistan der Eindruck entstanden ist, Deutschland fordere die Menschen geradezu auf, nach Europa zu kommen“, berichtete die WELT im September 2015: „Deutsche Diplomaten kämpfen verbissen gegen eine Flut von Gerüchten und Fehlinformationen“. Selbst Sinti und Roma aus der früheren Sowjetrepublik Moldau berichten nach der Ankunft in Berlin, sie seien von ihren Verbänden gezielt darauf angesprochen worden, in Deutschland wünsche man sich mehr Zuwanderung.

Die ungarischen Behörden registrierten Aufwiegler, die sich unter die Flüchtlinge gemischt hatten, obwohl sie Schengen-Visa in ihren syrischen Pässen hatten und aus dem sicheren Zypern angereist waren. „Immer wieder sah man sie auf dem langen Marsch der Flüchtlinge durch den Balkan: Männer mit Megaphonen, die die Menge zu lenken versuchten. Auch bei dem Versuch der Migranten, in Röszke am 16. September den Zaun zu durchbrechen, spielten solche ›Anführer‹ eine Rolle. Die ungarische Polizei fahndete auch mit im Internet veröffentlichten Filmaufnahmen und Fotos nach ihnen“, schrieb die WELT im September 2015.

Rätsel gaben dem Bericht zufolge auch andere »spontane« Organisatoren auf, die in Ungarn immer wieder teilweise mit Lautsprechern in Erscheinung traten und die Handlungen und Protestaktionen der Flüchtlinge zu lenken versuchten. Nach einem Bericht der regierungskritischen ungarischen Zeitung „Népszabadság“ berichteten Flüchtlinge immer wieder, sie wüssten nicht, wer diese Organisatoren seien; jedenfalls gehörten sie nicht zu ihnen und verschwänden irgendwann auch wieder.

Zu den Merkwürdigkeiten der Flüchtlingskrise zählt eine Fluchtroute im hohen Norden Europas, jenseits des Polarkreises. Hunderte Syrer kamen dort mit Fahrrädern über die russisch-norwegische Grenze – dem einzigen legalen Mittel, mit dem sie über die Grenze durften. Nach Recherchen des Weltspiegels von 2015 kamen die Männer mittleren Alters mit dem teuren Nachtflug aus Moskau in Murmansk an und bevorzugten dann teure Hotels mit Zimmerpreisen von 200 Euro pro Nacht. Die Fahrräder kauften sie nagelneu zum gleichen Preis und schmissen sie nach der »Flucht« weg.

Allein in der halben Stunde, in der die ARD drehte, »flohen« auf diese Weise 20 Männer und baten in Norwegen um Asyl. Mit den Reportern wollten sie nicht darüber sprechen, woher sie das für Syrer schwer erhältliche russische Visum hatten. Auf die Frage nach dem Beruf antwortete einer der reifen Männer, er sei Student. „Wohlhabende ältere Studenten mit russischem Transitvisum? Das klingt seltsam“, konstatierte der Weltspiegel. Sicherheitsexperten glauben, es könne sich um Männer aus Assads Geheimdienst handeln, die so in die EU eingeschleust wurden.

Alles in allem bleiben Fragen über Fragen. Auch die, warum all das in der deutschen Öffentlichkeit so gut wie keine Rolle spielt.


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Lesen Sie auch Reitschusters Kolumne «Berlin extrem – Frontberichte aus Charlottengrad»: Darin lüftet der Autor ironisch den Blick hinter die Kulissen der russisch-ukrainisch-jüdischen Diaspora an der Spree, deren Außeneinsichten oft ungewöhnliche Perspektiven eröffnen. Darüber hinaus spießt der Autor den Alltags-Wahnsinn in der Hauptstadt auf – ebenso wie die Absurditäten in der Parallelwelt des Berliner Politikbetriebs und deren Auswirkungen auf den bodenhaftenden Rest der Republik.