Tichys Einblick
Rückfall in die Zeit der Ketzer-Verfolgung

Ist Schalke-Chef Tönnies ein Rassist?

Wenn ein missglückter Herrenwitz eines Fußballfunktionärs tagelang in den Medien und Netzwerken eines der wichtigsten Themen und Aufreger ist, dann sind uns die Maßstäbe verrutscht. Diese Empörungskultur ist infantil, ja totalitär. Und sie lenkt von den wichtigen Themen ab.

imago images / Sportfoto Rudel

Wer im Ausland die deutschen Medien und sozialen Medien betrachtet, muss zu dem Schluss kommen, die Bundesrepublik sei ein Land der Seeligen: Tagelang war eines der wichtigsten Themen der Witz eines Fußballfunktionärs und Fleischfabrikanten, Clemens Tönnies. Die Wellen schlugen hoch, die Erregung war gewaltig. Von Rassismus war allerorts die Rede. Rücktrittsforderungen wurden laut. Tönies leistete öffentlich Abbitte. Dennoch: Er muss jetzt drei Monate auf das Amt verzichten, das für ihn wohl weit mehr ist als die schönste Nebensache der Welt: Den Aufsichtsratsvorsitz bei Schalke 04. Und ob er den wirklich behalten darf, ist fraglich.

Identitätslinke Läuterungsagenda
"Ihr schuldet uns was" – statt Klassenkampf spaltet jetzt Minderheitenpolitik
Was genau ist passiert? Was war so schwerwiegend, dass es Deutschland tagelang in Atem hält, und man den Eindruck hatte, es gäbe wenig wichtigere Probleme. Was hat den Ruf eines Mannes so massiv beschädigt und ihn beinahe um sein – nicht staatliches – Amt gebracht?

Der Unternehmer hatte am Donnerstag vergangener Woche bei der Festveranstaltung zum „Tag des Handwerks“ in Paderborn in einer Rede mit dem Titel „Unternehmertum mit Verantwortung – Wege in die Zukunft der Lebensmittelerzeugung“ die Finanzierung von Kraftwerken in Afrika empfohlen und gesagt: „Dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren.“

Ein Witz, den man mit gutem Recht verurteilen kann, als frivol, als geschmacklos, als Herrenwitz, den der eng mit Moskau verbandelte Unternehmer vielleicht dort in einer Banja – der russischen Sauna mit Erfolg erzählen könnte, der aber in Deutschland aus der Zeit gefallen ist.

Aber ist er damit ein Rassist? Ist es ein großes Problem in Deutschland, dass wir Fußballfunktionäre haben, die dumme Witze machen?

Potentiell totalitär
Positive Diskriminierung spaltet
Denn nur das kann man Tönnies bei nüchterner Betrachtung vorwerfen. Nicht mehr. Denn selbst Angela Merkels Afrikabeauftragter Günther Nooke (CDU) gab Tönnies inhaltlich de facto Recht (nicht im Stil!). Der massive Bevölkerungswachstum in Afrika ist in der Tat eines der Probleme des Kontinents. Nooke war früher bereits selbst massiv in die Schusslinien geraten und mit Rassismus-Vorwürfen angefeindet worden, weil er genau darauf hinwies.

Nooke forderte nun eine ehrliche Debatte über das Thema. Man braucht kein Seher zu sein, um vorherzusagen, dass sich nun wohl Nooke selbst wieder massiven Angriffen aussetzen muss.

Rassismus wird in Deutschland zunehmend nicht mehr im klassischen Wortsinne gebraucht, wie ihn der Duden definiert – als „Theorie, nach der Menschen bzw. Bevölkerungsgruppen mit bestimmten biologischen Merkmalen hinsichtlich ihrer kulturellen Leistungsfähigkeit anderen von Natur aus über- bzw. unterlegen sein sollen“.

Der Begriff wurde gekapert. Er wird missbraucht und instrumentalisiert. Nicht nur, um Hinweise etwa auf kulturelle Unterschiede zwischen Menschen und Menschengruppen zu tabuisieren. Auch, um wie im Falle von Afrika, um unbequeme Themen auf die Indexliste zu stellen. Um Menschen, die auf unbequeme Fakten hinweisen oder einfach nur eine andere Meinung haben, zu diskriminieren und diffamieren.

Viel gefährlicher als der blöde Altherrenwitz von #Tönnies ist der inzwischen in deutschen Medien und bei deutschen Politikern erschreckend weit verbreitete Meinungs-Totalitarismus im Land. Eine tonangebende Gruppe von Ideologen glaubt, sie sei im Besitz der Wahrheit. Und sie müsse diejenigen bekämpfen, die sie anzweifeln. Oder auch nur mit einem dummen Witz in Frage stellen, Das ist ein Rückfall in die Zeit vor der Aufklärung. Es erinnert in Zügen an die Ketzerverfolgung und die Inquisition. Heute sind die Scheiterhaufen nur virtuell.

Wann ist ein Rassist ein Rassist?
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Es ist unfassbar, dass es nach zwei Diktaturen in Deutschland wieder solche totalitäre Unsitten breit machen. Dass statt mit Argumenten mit Diffamierungen agiert wird. Und es ist dabei wenig tröstlich, dass die modernen Hinrichtungen nur virtuell und nur den Ruf oder allenfalls den Job oder das Ehrenamt betreffend stattfinden.

So ist eine Atmosphäre der Angst entstanden, in der sich viele Menschen nicht mehr trauen, ihre Meinung offen zu sagen, ihre Ängste und Sorgen auszusprechen. Das wird durch eine aktuelle Umfrage von Allensbach bestätigt. „Wir sind zu einem Volk von Flüsterern geworden“, klagt Josef Kraus.

Die Ursache liegt in einer Realitäts-Allergie der tonangebenden Ideologen und derjenigen, die ihnen folgen in ihrem teilweise an eine Religion erinnernden Eifer. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Die Realität hat sich gefälligst an die Vorstellungen des Bionade-Milieus anzupassen. Wer auf Probleme hinweist, ist ein Brunnenvergifter, verbreitet „Hetze“. Ein Begriff, der in dieser Bedeutung im (west-)deutschen Sprachgebrauch nicht gebräuchlich war und auf den Nationalsozialismus und die kommunistische Diktatur in der DDR zurückgeht. In beiden Diktaturen wurden damit Andersdenkende und Kritiker diffamiert. Allein, dass dieser Begriff heute wieder so oft gebraucht wird für Andersdenkende, sollte alle Alarmglocken schellen lassen.

Selbst in Leserbrief-Spalten auf den Internetseiten konservativer Zeitungen wie der Welt werden kritische Kommentare einfach gelöscht. Sogar Vergleiche Merkels „mit der DDR, Audienzen von Königen oder Ähnliches“ sind dort tabu.

Wie konnte es so weit kommen?

Weil sich die Nicht-linken Kräfte der Mitte in der Bundesrepublik jahrelang im Tiefschlaf befanden. Weil sie sich herangeschmust haben an dieses merkwürdige Gebräu irgendwo zwischen „Antifaschismus“ und grüner, quasi religiöser Weltbeglückung mitsamt allen Zutaten wie Heiligengestalten und dröhnender Apokalyptik, das heute ein quasi-regierungsamtlicher Zeitgeist geworden ist.

Und wer gibt schon gerne zu, sich geirrt zu haben? Und wer gibt schon gerne seine Pfründe auf? Es geht auch um Posten, Einfluss, Versorgung und Honorare, um ganz viel Geld und um eine gesicherte Zukunft im Kreise Gleichgesinnter, mit edler Küchenzeile, Gucci, Karibikurlaub, Porsche und allem was sonst dazu gehört. Da gibt so schnell niemand kampflos auf.

Die alte und die neue Linke
Identitätsgerechtigkeit fragmentiert die Gesellschaft
Statt der Realität ins Auge zu sehen und von ihrem linken rotgrünem Neobiedermeier abzurücken, verteidigen dessen dogmatische Anhänger daher ihre lebensfremde Ideologie immer laustarker und aggressiver, je mehr offenbar wird, dass sie nicht aufgeht. „Im übrigen gilt ja hier derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht“, sagte schon Kurt Tucholsky über Deutschland. Diejenigen, die so lautstark Offenheit, Toleranz und Buntheit fordern, legen genau das Gegenteil an den Tag, sobald ihnen jemand widerspricht.

Schlimmer noch: Wer auf missliebige Realitäten hinweist, wird zum Schuldigen derselben erklärt. Wer eine falsche Meinung hat, wird massiv unter der Gürtellinie attackiert. Ausgegrenzt. Diffamiert. De facto zum gesellschaftlichen Abschuss freigegeben. Das ist totalitär. Das sind genau die Methoden, von denen sich diejenigen, die sie betreiben, immer so lautstark abgrenzen wollen. Aber Ideologie macht blind.

Die Folge ist eine Stärkung der politischen Ränder und ein Erodieren der politischen Mitte, die sich nicht mehr wiederfindet in vielen Medien und Parteien.

Längerfristig wird diese Entwicklung die Demokratie sprengen, und die Folgen sind kaum auszumalen.

Schuld sein werden natürlich wieder die anderen.


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