Tichys Einblick
In Berlin ist das ganze Jahr Karneval

Die (Haupt-)Stadt der real existierenden Satire

Berlins Senat lehnt den "Hauptmann von Köpenick" als militaristisch ab. Für Außenstehende mag das wie ein Ausreißer klingen - doch der Irrsinn hat Methode. Die Politik in der Hauptstadt ist eine Narrenhochburg - viele machen nur den Fehler, sie ernst zu nehmen. Doch anders als mit (Galgen)Humor ist sie nicht zu ertragen.

imago/Photopress Müller

In Russland sagt man: „Je schlechter die Politik, umso mehr Witze werden über sie gemacht“. In Berlin macht die Politik die Witze selbst. Politiker und Behörden in Berlin liefern regelmäßig Lachnummern, die für jede politische Satire eine nicht zu überbietende Konkurrenz darstellen. Vielleicht gibt es deshalb kaum noch eine – die wirklichen Satiriker und Kabarettisten sitzen zunehmend (im doppelten Wortsinne, da auch üppig alimentiert) auf den Regierungs- und Parlamentsbänken. Galten früher Mainz, Köln und Düsseldorf als Narrenhochburgen, so stellt sie heute Berlin in den Schatten. Jahreszeitenübergreifend.

Das jüngste Narrenstück: „Berliner Original ,zu militaristisch´- Hauptmann von Köpenick wird kein Kulturerbe“, titelt der Tagesspiegel. Mit so einer Realität kann kein Faschingsscherz mithalten.

Aber mal kurz Humor beiseite: Der Geschichte des Schustergesellen Wilhelm Voigt, der als Hauptmann verkleidet 1906 mit einem Trupp gutgläubiger Soldaten das Rathaus des heutigen Berliner Stadtteils Köpenick besetzte, den Bürgermeister festnahm und die Stadtkasse erbeutete, ist fester Bestandteil der deutschen Gesellschafts- und Kulturgeschichte. Der Tagesspiegel verleiht ihr zu Recht das Prädikat eines „pädagogisch wertvoller Erzählstoffs“, der „durch die Theaterfassung von Carl Zuckmayer und den Film mit Heinz Rühmann zu nationalem Ruhm gelangt“ ist. Weshalb die CDU-Politiker Niels Korte und Kultur-Staatsministerin Monika Grütters bierernst einen Antrag initiierten, den „Hauptmann“ bzw. seine Geschichte der UNESO als „nationales immateriales Kulturerbe“ vorzuschlagen.

Klingt schlüssig und macht Sinn, sollte man meinen. Pustekuchen. Instinktsicher bewies der Berliner Senat Humor. Genauer gesagt das Amt von Kultursenator Klaus Lederer von der „Linken“, vormals SED. Dort will man die Geschichte vom falschen Hauptmann nicht als Weltkulturerbe sehen – weil sie „mit dem deutschen Kaiserreich und dem preußischen Militarismus verbunden und nicht mehr zur Identifikation geeignet ist“.

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Hoppla. Vielleicht liegt es am desolaten Bildungsniveau der Berliner Schulen, dass viele in der Hauptstadt bzw. deren Ämtern die Klassiker nicht mehr kennen und etwa Fontane für einen Springbrunnen oder Grillparzer für ein Kochutensil halten. Vielleicht leidet der rot-rot-grüne Senat auch an Arbeitsüberlastung – es ist kein Zuckerschlecken, ständig Lachnummern zu liefern. Oder man kommt dort nicht zum googeln oder lehnt solches Handwerkszeug des bösen US-Imperialismus aus ideologischen Gründen ab. Vielleicht reagiert man auch einfach nur reflexartig auf Reizwörter. Hauptmann = Militär = böse. Aber solche Einwände sind wohl allesamt humorlos. Dass ausgerechnet die Verantwortlichen im Amt des Kultursenators nicht bemerkt haben, dass die Geschichte des Hauptmanns von Köpenick nicht nur kein bisschen militaristisch ist – sondern, genau im Gegenteil, Preußens Militarismus aufs Korn nimmt – das kann eigentlich gar nicht sein. Es kann sich nur um einen subtilen Scherz handeln.

Man könnte nun spießig einwenden, dass in den Amtsstuben der Spaß aufhöre, wenn mit dem Schuster Voigt ein alter weißer Mann die preußische Obrigkeit zum Narren mache. Schließlich scheint der Berliner Senat selbst das Monopol auf Köpenickiaden für sich in Anspruch zu nehmen. An der Spitze der Flughafenbau, der in Wirklichkeit gar keiner ist. Eher eine Dauer-Publikumsbelustigung. So viele Millionen aus der Staatskasse zu rauben – darüber hätte wohl selbst ein begabter Hochstapler wie der Schuster Voigt nur ungläubig gelacht.

Aber stopp! Mit solchen ironischen Bemerkungen muss man aufpassen, will man sich nicht den Unmut des re(a)gierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) zuziehen. Der ist landesweit bekannt als Humorist und (Real-)Satiriker. Und bei ihm hört der Spaß auf, wenn ihm beim Witzemachen einer den Rang ablaufen will. Das bekam gerade eine Frau zu spüren, deren Doppelnamen man sich kaum noch auszusprechen traut, aus Angst, in eines der allgegenwärtigen witzpolitischen Fettnäpfchen zu treten. Schließlich ist nichts so ernst wie ein Witz hierzulande. Kurzum, die Dame, deren Namensabkürzung mit der einer russischen Maschinenpistole identisch ist (kein Witz!), hat es gewagt, in eines der Haupt-Humor-Reviere von Müllers Senat vorzudringen: Die Unisex-Toiletten. Neben Frauen-Pissoirs und Unisex-Duschen in den Schwimmbädern gehören sie zur heiligen Dreifaltigkeit der Berliner Politik-Karnevals. Helau!

Ober-Komiker Müller erkannte sofort die immense politische Dimension, und markierte nach deren Unisex-WC-Witz einfersüchtig das humoristische Terrain: „Ein Karnevalsgag kann gut oder schlecht sein, komisch oder eher mäßig – aber auch hinter Humor steht immer eine Haltung“, twitterte der Sozialdemokrat: „Es ist ebenso irritierend wie bedauerlich, dass @akk offenbar in Diskriminierungsfragen eine dem Amt und der Funktion angemessene Haltung fehlt. #Karneval“ Alaaf!

Das geniale an Müllers Humor: Er meint es ernst. „Haltung beim Witzemachen“ – auf solche brillanten Pointen wäre kein Dieter Hallervorden gekommen und kein Loriot. Das ist britisches Niveau – allenfalls die Monty Pythons kommen auf so etwas. Müller liefert Humor-Perlen in Dauerschleife. Zum Thema Flüchtlinge meinte er: „Im täglichen Leben in der Stadt merken sie das gar nicht“. Logisch, wenn man in einem gepanzerten 530-PS-Mercedes für mehr als 325.000 Euro herumkutschiert wird, und der von der „Deutschen Umwelthilfe“ – also den Diesel-Jägern – mit Müller als Landeschef als umweltschädlichster Dienstwagen gescholten wird. Loriot ist nichts dagegen. Nur noch ein weiteres Beispiel – damit dieses Stück nicht zu einer Sammlung von Müller-Schwänken wird. Zum Geburtstag seines Vorgängers Wowereit twitterte der Stadtvorsteher: „Ohne ihn stünde Berlin heute nicht so gut da: als Stadt mit einem Spitzenplatz beim Wirtschaftswachstum, als Ort der weltweit für seine Toleranz, Vielfalt und Offenheit geachtet wird“. Und weltweit beneidet – um Fasching das ganze Jahr.

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Dabei ist der Bürgermeister kein Alleinunterhalter. Instinktsicher hat er sich andere begnadete Komiker in sein Narrenschiff (genannt: Senat) geholt. Der Star: Sewsan Chebli. Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales. Allein die Amtsbezeichnung ist Weltklasse – wobei der Fairness halber noch für „Akkord-Twittern“ mit auf ihre Visitenkarte müsste. Ihre humoristischen Spitzenwerke sind Legende. Mit 38 Jahren zur Staatssekretärin ernannt zu werden und sich dann in Dauerschleife mit Druck auf die Tränendrüse über die eigene Diskriminierung aufgrund der ausländischen Wurzeln zu beklagen – das ist Weltklasse. Die sie noch subtil steigert, wenn sie dann aus heiterem Himmel den Spieß umdreht und andere just aufgrund ihrer Wurzeln als Ausländer definiert: „Er ist der Stolz der Araber! Tut der Region und den Menschen im Nahen Osten gut, auch mal wieder stolz sein und einen Star feiern zu können“, twitterte sie, nachdem Rami Malek den Oscar erhalten hatte. Der Schauspieler ist US-Amerikaner mit ägyptischen und griechischen Vorfahren aus einer christlichen Familie und verkörperte in dem Film einen Homosexuellen.

Chebli jubelte auch über die Umbenennung des Berliner Ausländeramtes in Einwanderungsbehörde. Gut, in diesem Fall zündete der Humor nicht so recht, dafür erledigten das die Hofnarren. „Berlin schafft seine Ausländerbehörde ab“ schrieb die Berliner Morgenpost. Und weiter: „Der neue Name der Ausländerbehörde soll für Willkommenskultur stehen. Die Menschen sollen das Amt nicht mehr voller Sorge betreten.“ Das schafft kein Kabarettist!

Allenfalls den Jecken im Senat ist zuzutrauen, das noch zu toppen. Wie wäre es, die Gerichte in „Problemlösungs-Hotspots“ umzubenennen? Finanzämter in „Bürgerbeteiligungs-Zentren“? Und Gefängnisse in „Auszeit-Hotels“? Berlins Justizbehörde hat bereits Talent bewiesen und diverse bundesweite Lacherfolge erzielt, etwa mit neun Gefängnis-Ausbrechern in nur einer sieben Tagen. Woche der offenen Tür im Knast. Der bislang größte Knaller war, dass nach dem Ausbruch von Gewaltverbrechern deren Fahndungsbilder nicht veröffentlicht werden durften – um die Persönlichkeitsrechte der Gefangenen nicht zu verletzen.

METZGERS ORDNUNGSRUF 02-2019
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Von so viel Humor lassen sich auch städtische Betriebe anstecken. Die Werbespots der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sind legendär. Ein verschnarchter Mitarbeiter steckt sich da fünf Schokoküsse in den Mund, damit keiner seine Durchsagen versteht. Andere BVG-Mitarbeiter verfolgen am Bildschirm „Bremsbowling“ in der Tram – einen „ordentlichen Ruck“, der die Fahrgäste scharenweise umwirft. Busfahrer schließen möglichst präzise vor dem herbeirennenden Fahrgast die Tür, und auch die Verspätungen werden sorgsam geplant (müssen sie wohl auch, sonst wären sie kaum so massenhaft hinzukriegen). Ob im Werbespot oder im Real-Verkehr: Der Fahrgast hat in Berlin immer was zu Lachen. Ist er dafür zu spießig, soll er sich den BVG-Klamauk-Song „Is´ mir egal“ hinter die Ohren schreiben – der wurde zu einer Art inoffiziellen Stadt-Hymne.

Um Kunden braucht sich die BVG vielleicht bald gar nicht mehr zu kümmern: Berlins Umwelt- und Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für die „Grünen“) will Autos in der Stadt abschaffen. Ein Witz? Nein. Der Witz ist eher, dass sie nur Privatautos abschaffen will. Die Senatoren könnten dann in ihren gepanzerten Limousinen noch schneller durch die fast autofreie Stadt fahren. Problematischer für die BVG dürfte dagegen ein Vorschlag sein, den Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) kurz vor Beginn seiner Amtszeit machte: Dass wiederholtes Schwarzfahren keine Straftat mehr sein sollte. Da lacht man beim Ticket-Lösen – bzw. beim Nicht-Lösen.

Jetzt reicht es aber wirklich mit der Aufzählung des Klamauks – für die Narrerei ist die Politik zuständig, unsereiner muss arbeiten. Und schließlich kann jeder selbst in die Berliner Zeitungen sehen und wird da schnell fündig werden (ein heißer Tipp für alle aus den Karneval-intensiven Bundesländern, wenn ihnen ab Aschermittwoch Narren-Entzugserscheinungen drohen).

Zum Abschluss noch eine Liste von Vorschlägen, mit welchen Schritten der Senat nach der Ablehnung des „Hauptmanns von Köpenick“ noch weiter aktive Maßnahmen gegen den Militarismus im Alltag einleiten und seine humoristische Linie fortsetzen könnte:

→ Verbot von Gerhart Hauptmann an den Schulen
→ Auflösung der Heilsarmee als paramilitärischer Verband
→ Verbot von Major Tom in den Discos
→ Verbot von Captain Kirk im Fernsehen
→ Verbot von Leutnant Blueberry am Kiosk
→ Verbot des Reinigungsmittels „Der General“
→ Verbot von „Meister Proper“ (militantes Auftreten)
→ Verbot des „braven Soldaten Schwejk“
→ Verbot von Generalsekretären
→ Verbot von Generalversammlungen
→ Verbot von „Sergeant Pepper“ von den Beatles
→ Verbot des Modeunternehmens „Sergeant Pepper“
→ Verbot von Panzerschränken in Banken

Nur das Panzerglas in den Dienstlimousinen sollte bleiben; zumindest sollte man es lieber umbenennen als abschaffen.

Und auch der den Generalverdacht muss man beibehalten. Etwa gegen böse Leute, die böse, böse Artikel wie diesen schreiben. Ich berufe mich rein vorsorglich bereits hier auf den Notwehrparagraphen: Anders als mit (Galgen-)Humor ist der alltägliche Irrsinn in Berlin nicht zu ertragen.