Tichys Einblick
Benehmen Sie sich!

Die Wahrheiten des Jens Spahn

Interviews mit dem Gesundheitsminister sind immer lesenswert, weil er seine Sprengsätze gern am Schluss platziert. Und bestimmte Journalisten prompt drauf reinfallen.

© Michele Tantussi/Getty Images

Bei manchen Interviews lohnt es sich, bis zum Schluss durchzuhalten, schon gar, wenn es sich um solche mit Jens Spahn handelt. Kein Minister der neuen Regierung ist derzeit so flott mit der Zunge wie der Gesundheitsminister, keiner allerdings auch so talentiert und stilbildend, mit kleinen Halbsätzen Wahrheiten zu verbreiten. Und bei keinem zünden die kleinen Sprengsätze mit einer solchen Präzision wie bei dem CDU-Hoffnungsträger. In dem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung, das seit zwei Tagen vor allem deswegen die Runde macht, weil Spahn sich hier über Recht und Ordnung auslässt (und den wohl einkalkulierten Sturm erntet) nimmt er sich am Ende ganz elegant nochmal deutsche Medien vor.

Auf die Frage „Ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk besser“? (vorher ging es um verkürzte oder verfälschte Zitate) antwortet Spahn: „Besser oder schlechter, das kann doch nicht die Frage sein. Ein Beispiel: Es gibt Tweets von Redakteuren des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die sind einfach nur politisch eindeutige Kommentare und sehr subjektiv. Da steht zur Absicherung drüber: privater Account. Soll ich jetzt auch immer sagen: «Das war Spahn privat»? Ich bin Mitglied der Regierung. Entsprechend werden Sie meine Zitate einsortieren. Die gleichen Maßstäbe sollten für Journalisten gelten.“

Dem ist ja bei Anlegen ehemals geltender Maßstäbe von anständigem Journalismus schwerlich zu wiedersprechen. Statt das nun mit Schweigen zu übergehen, fühlte sich das Onlinemagazin meedia berufen, die Glut ein wenig zu befeuern und rief ein paar übliche Verdächtige an. Der Leiter und Moderator von „Monitor“, Georg Restle, blies dann auch erwartungsgemäß in die hingehaltene Trompete: „Die Einlassung kann ich nur so verstehen, dass Jens Spahn offenbar ganz grundsätzlich ein Problem mit der journalistischen Form des Kommentars hat. Meinungsfreiheit gibt es aber nicht ohne Meinungen. Offensichtlich hat Herr Spahn vergessen, was in Art. 5 Grundgesetz steht.“

Haltung statt Wissen
Quatsch mit Restle
Haben wir falsch gelesen? Hat sich Spahn etwa gegen generelle Meinungsäußerungen ausgesprochen? Er sprach davon, dass Kommentare von Redakteuren des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht „privat“ sein können, weil ihr Name und damit ihre Marke immer ihrer Stellung zu verdanken sind. Alles andere wäre der gleiche Etikettenschwindel, wie „das war Spahn privat“. Herr Restle, solch bewusstes Missverstehen ist entweder Dummheit oder mangelnder Anstand!

Anja Reschke, Leiterin der Abteilung Innenpolitik beim NDR und Moderatorin von „Panorama“, die bei solchen „Umfragen“ nicht fehlen darf (ebenso wenig übrigens wie ZDF-Moderatorin Dunja Hayali, deren diesbezüglicher Kommentar hier wegen seiner Schlichtheit unerwähnt bleiben kann), erklärte wie gewohnt von oben herab: „Anscheinend kennt Herr Spahn die Grundlagen von Journalismus in demokratischen Ländern nicht. Es gib einen Unterschied zwischen Kommentar und Bericht. Und es gehört zur Lauterkeit dazu, dass der Leser/ Zuschauer weiß, wie die Haltung eines Journalisten ist. Deshalb gibt es extra ausgewiesene Kommentare in Sendungen oder Zeitungen, in denen man diese Haltung erfahren kann. Twitter ist eine fast ausschließlich kommentierende Plattform, auf der jeder seine Meinung äußern kann. Da werden keine recherchierten Berichte ausgetauscht, sondern kurze knappe Statements. Und wenn man als Journalist seinen Account privat kennzeichnet, sichert man sich nicht ab, wogegen auch? Sondern man macht deutlich, dass es die eigene Meinung ist und man nicht für den Sender oder Verlag spricht. Natürlich gibt es Tweets von Kollegen, die auch ich daneben finde. Aber die gibt es auch von Nicht-Journalisten. Das ist Meinungsfreiheit! Und Meinungsvielfalt entsteht nie beim Einzelnen, sondern immer nur durch viele.“

Sehen wir hier einmal vom üblichen arroganten Nanny-Gehabe der Frau Reschke ab: auch auf einem privaten Twitter-Account von bekannten Fernsehjournalisten wird Meinung immer mit dem Sender oder dem Verlag gleichgesetzt. Wer das leugnet, ist unaufrichtig und sollte sich vielleicht schleunigst zum freien, nicht arbeitgebergebundeten Journalisten wandeln. Das hätte Stil!

Ganz toll treibt es dann der ARD-Chefredakteur Rainald Becker, den erwähntes Online-Magazin, um die Suppe am Köcheln zu halten, in einem „Interview“ tags drauf mit wohlfeilen Fragen („Darf Jens Spahn öffentlich-rechtlichen Journalisten sagen, was sie wie wann zu twittern haben?“) streichelt. Die Eingangsfrage: „Herr Becker, wie stehen Sie zu der Aussage von Jens Spahn?“ beantwortet der alles Ernstes so: „Ich habe grundsätzlich ein Problem damit, wenn Politiker, insbesondere in Ministerrang, öffentlich Journalistenschelte betreiben“.

Solche Chuzpe, solche Stillosigkeit macht nur noch sprachlos! Minister haben demnach kein Recht, sich fürderhin zu Medienfragen zu äußern und Journalisten zu bewerten. Und das bestimmt natürlich kein Geringerer als der ARD-Chefredakteur! Und bis dato unwidersprochen. Wer weckt diese Damen und Herren eigentlich aus ihrem Schlaf der Selbstgerechten? Kann es wahr sein, dass sie die veränderte Stimmung gegenüber öffentlich-rechtlichem Journalismus nicht bemerken und deswegen durch solch fahrlässigen Unsinn und hochmütiges Gehabe unablässig Öl ins Feuer gießen? Es ist kaum zu glauben, aber wahr!