Tichys Einblick
Protest gegen den Protest

»Wir sind nicht die New York Times« schreiben die Herausgeber des Wall Street Journal

Nach der Meinungsseite der New York Times geriet nun auch ihr Pendant beim Wall Street Journal in die interne Kritik. Rund 280 Mitarbeiter probten den Aufstand gegen die konservative Verlagsleitung. Die antwortete mit beißender Kritik.

imago Images/Dean Pictures

Es wird allmählich zur stehenden Wendung: »Wir sind nicht die New York Times.« Erst warb der Spectator USA ganz offen – und mit einigem Spott – damit, dass er die kontroversen Autoren einstellen würde, die die Times feuert. Nun fiel derselbe Satz in einem diplomatischen Notenwechsel zwischen einigen Angestellten und den Herausgebern des Wall Street Journal.

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Tatsächlich erinnert der Konflikt stark an die Auseinandersetzung um die Rolle von James Bennet bei der Times: Eine Gruppe von Mitarbeitern hatte den Meinungschef Bennet um eines mutigen Stücks (Tom Cottons Pro-Trump-Artikel »Send in the Troops!«) zu einer öffentlichen Entschuldigung und letztlich zum Rücktritt gezwungen und so ein maoistisches Ritual reinsten Wassers inszeniert.

Auch im Fall des Wall Street Journal sind es »die Mitarbeiter« oder zumindest einige von ihnen, die für Unruhe sorgen. Man erfährt so, dass die Nachrichtenschreiber in dem als konservativ geltenden Blatt überwiegend nach links tendieren, ja sogar noch stärker mit »liberalen« Werten sympathisieren als die Journalisten der New York Times. Eigentlich konservativ wären an dem Blatt also nur noch die Meinungsseite mit ihren Gastbeiträgen und die Herausgeber, nicht aber die Nachrichtenredaktion.

Um die 280 Mitarbeiter des Journal haben einen Brief an den Herausgeber Almar Latour unterschrieben, in dem sie beklagen, den Beiträgen der Meinungsseite fehle es an »fact-checking and transparency«. »Evidenz« würde zu häufig ignoriert. Eines der Beispiele aus dem Mitarbeiterbrief ist ein kürzlich veröffentlichter Beitrag über den »Mythos des systemischen Polizeirassismus«, der zugleich zu den meistgelesenen des Blattes gehörte.

Stille Scheidung beabsichtigt

Und wieder sind es farbige Mitarbeiter, die in Diskussionen über Diversität von dem »Schmerz« gesprochen haben sollen, den ihnen dieses Meinungsstück verursacht habe. Dieser wiederholt beobachtete Schmerz erscheint ein wenig abziehbildartig. Er tritt offenbar immer dann auf, wenn ein Diskursverbot verletzt und die Hegemonie des kulturmarxistischen »Black Lives Matter«- Diskurses in Frage gestellt wird. Der Meinungsartikel selbst argumentierte schlicht dafür, dass es weder unter Obama noch heute eine systematische Diskriminierung durch die Polizei gegeben hat.

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Nun mag es passieren, dass ein Zeitungskommentar eine Meinung vertritt, die für manchen herausfordernd oder auch nur schwer zu ertragen ist. Aber man könnte sagen: Eben dazu sind Meinungsbeiträge da. Um einen Unterschied zu machen, das Für und Wider einer Position abzuwägen und dadurch Zustimmung und Ablehnung zu erzeugen, so dass sich ein Meinungsspektrum bilden kann. Im günstigsten Fall ist man nach dem Kommentar besser informiert als nach einem berichtenden Artikel.

Doch das alles scheint den Journalisten des Wall Street Journal etwas fremd geworden zu sein. Ihnen reicht nicht mehr die Trennung in Nachricht und Kommentar, die auch in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg zum allgemeinen Standard erhoben wurde. Ihr Brief wird so zur stillen Scheidung von der Meinungsseite ihres Blattes. Mehrere Listen sollen also her, die »meistgelesenen Nachrichten« von den »meistgelesenen Kommentaren« getrennt werden. Außerdem wünschen sich die Journalisten einen erläuternden Satz, etwa so: »Die Meinungsseiten des Wall Street Journal sind unabhängig von der Nachrichtenredaktion.« Nun muten diese Vorschläge zwar kleinlich, unpraktisch oder nichtssagend an. Was aber durch sie ausgesagt wird, ist eine tiefreichende Kritik an den Meinungsartikeln des Wall Street Journal, die offenbar so unerträglich sind, dass alle möglichen Trennungslinien hermüssen. Man merkt, da stehen einigen ständig die Haare zu Berge.

Gegen die »progressive Konformität und Intoleranz«

Doch auch das Board der Herausgeber ließ sich bei seiner Antwort nicht lumpen. Man bekannte lauthals: »Diese Seiten werden nicht vor dem Druck der ›cancel culture‹ zurückweichen.« Es sei vermutlich unvermeidbar gewesen, dass diese anwachsende Welle auch das Wall Street Journal erreichen musste, »so wie sie inzwischen jede andere kulturelle, wirtschaftliche, akademische und journalistische Institution erreicht hat. Aber wir sind nicht die New York Times.«

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Und das ist erst der Anfang. Was folgt, ist eine gut maskierte, aber nicht weniger beißende Antikritik der Journalisten. Die meisten der Mitarbeiter des Journal versuchen demnach, die Nachrichten »fair und ausgewogen« zu berichten. Die meisten? Versuchen? Das klingt ziemlich einschränkend und kann wohl nur bedeuten, dass einige es nicht versuchen und es nicht immer alle schaffen.

Dagegen sollen die Meinungsseiten »eine Alternative zu den einförmigen fortschrittlichen Sichtweisen« bieten, die heute fast die gesamte Medienlandschaft beherrschen – also in den USA, in Deutschland ist es (nur zufälligerweise?) ähnlich. Der »wachsenden progressiven Konformität und Intoleranz« will man demnach auch weiterhin »die Prinzipien eines freien Volks und freier Märkte« gegenüberstellen, die heute wichtiger denn je seien. Das Journal bleibt sich also treu. Und das alles natürlich im Gewand von »kraftvollem, rationalem Diskurs«. Es wäre tatsächlich schön, wenn das möglich wäre. Aber Journalisten, die diese Werte ebenfalls vertreten, findet man in New York offenbar nur schwer.

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