Tichys Einblick
Netzwerk „konservative Internationale“

Warum Amerikas Konservative Orbán als Vorbild sehen

Am 4. August wird Ungarns Ministerpräsent Viktor Orbán Amerikas Republikanern die Welt erklären – als Hauptredner auf der jährlichen CPAC-Konferenz. Was ist da los?

IMAGO/ANP

So etwas gab es noch nie in der Geschichte der amerikanischen Republikaner. Erstmals wird ihnen ein Ausländer als Inkarnation der konservativen Idee vorzeichnen, wo der Weg in die Zukunft liegt: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán. Er wird am 4. August in Dallas die Einführungsrede zur diesjährigen CPAC-Konferenz halten. Das Kürzel steht für „Conservative Political Action Comittee“. Die CPAC-Veranstaltungen sind seit 1974 ein Fixpunkt der amerikanischen Politik. Da hielt Ronald Reagan die Hauptrede. Das katapultierte ihn auf die Bahn, die ihn 1980 zur Präsidentschaft führte.

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Donald Trump trat 2011 beim CPAC auf. Das kickstartete seine politische Karriere. US-Präsident wird Viktor Orbán wohl nicht werden (obwohl viele US-Konservative darüber entzückt wären). Seine Rolle ist vielmehr die eines Ideengebers, als geistiger Vater einer konservativen Erneuerung. Seit geraumer Zeit ist er bestrebt, eine Art „konservative Internationale“ aufzubauen, nicht nur den Schulterschluss mit Amerikas Konservativen zu suchen, sondern mit Gleichgesinnten überall auf der Welt.

„Die Linken haben das schon immer getan“, sagt sein Strategie-Berater und Namensvetter Balázs Orbán. Der Transparenz halber: Er ist auch Kuratoriumsvorsitzender des Budapester Mathias Corvinus Collegium (MCC), dessen Medienschule er leitet. „Wir wussten, dass es überall gute Leute gibt, die ähnlich denken wie wir. Aber es gab kein Netzwerk.“

Das gibt es nun. Einerseits, weil Ungarn seit geraumer Zeit intensiv daran arbeitet, ein solches Netzwerk aufzubauen. Das MCC spielt eine wichtige Rolle in diesem Bestreben, lädt konservative Denker zu Forschungsaufenthalten ein, organisiert Konferenzen. Dass es funktioniert, liegt aber vor allem daran, dass Konservative in aller Welt mit wachsendem Interesse nach Ungarn blicken: Was kann Orbán, was sie nicht können? 16 Jahre an der Macht, wie geht das?

Vorläufiger Höhepunkt der Entwicklung war die erste CPAC-Konferenz überhaupt in Europa – in Budapest, am 19. und 20. Mai. Westliche, vor allem angelsächsische Medien stürzten sich darauf wie Haifische im Fresswahn. Alle bekannteren Medien wollten hin. Die meisten wurden nicht zugelassen, was sie zur Weißglut trieb. Aber warum nur? Es hatte zuvor bereits CPAC-Tagungen in Japan, Brasilien, Australien und Südkorea gegeben. Das hatte die Medien kaum interessiert. Was war anders mit Ungarn?

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An den Teilnehmern lag es sicher nicht. Zwar war Donald Trump eingeladen, aber er schickte nur eine Videobotschaft. Kein namhafter, aktiver Politiker der Republikaner kam. Was war es dann? Wahrscheinlich witterten die Medien, dass hier, in Ungarn, die Zukunft des Konservatismus Gestalt annimmt. Da mag etwas dran sein. „Ich glaube, es geht mehr um die amerikanischen Konservativen als um uns“, meint Balázs Orbán. Er glaubt, dass die US-Konservativen in einer Art Sinnkrise sind und nach neuen Wegen suchen. Unter anderem in Ungarn.

„Das ungarische Modell kann eine Hilfe sein auf dieser Suche nach neuen Lösungen“, sagt er. Es zeige, dass es sich lohnt, ein robustes konservatives, christliches Programm zu vertreten, ohne sich dem linksliberalen Zeitgeist anzubiedern – und auch bei starkem Gegenwind daran festzuhalten. „Ich glaube, unser Beispiel kann den Amerikanern Stärke geben für ihre künftigen Schlachten.“ Der amerikanische Politologe Gladden Pappin (gegenwärtig ein Fellow am MCC) äußert sich ähnlich. „Ungarn lehrt die amerikanischen Konservativen, sich nicht zu fürchten“, sagt er. „Dass es immer noch möglich ist, eine gute, funktionierende Gesellschaft zu fördern, und damit politisch erfolgreich zu sein.“

Pappin sieht freilich große Differenzen zwischen dem ungarischen Modell und amerikanischen Werten. „Natürlich ist Ungarn ein spezieller Fall. Amerikas Konservative folgten lange anderen Wegen, beispielsweise sind sie typischerweise gegen staatliche Intervention in der Wirtschaft. Aber weil Großkonzerne sich zunehmend abwenden von einem traditionellen Lebensstil, fühlen sich viele Konservative angezogen von Ungarns robuster Familienpolitik, seinem Einsatz für das nationale Interesse, und seiner wirtschaftsfreundlichen Industriepolitik.“

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Man kann es anders formulieren. Historisch gesehen war der politische Schwachpunkt westlicher Konservativer nicht ihr Wirtschaftsliberalismus an sich – er machte die USA zur Weltmacht. Der Schwachpunkt war immer, dass Konservative von vielen Wählern als sozial unsensibel betrachtet wurden. Von den Reichen nehmen, um es den Armen zu geben – das war immer die Kernbotschaft der Linken, ihr politisches Erfolgsrezept.

Orbán hat einen Weg gefunden, den Linken dieses Argument wegzunehmen. Obwohl er in den 12 Jahren seiner Amtszeit die Umverteilungsrate gesenkt hat (ein konservatives Merkmal), kombinierte er das mit einer entschlossenen interventionistischen Sozial- und Wirtschaftspolitik. Er senkte die Arbeitslosenleistungen auf drei Monate, rundete die Einkommensteuer auf eine Flatrate von 15 Prozent – das ist konservativ. Aber wenn es in der Wirtschaft oder in der Gesellschaft ein echtes Problem gibt, interveniert der Staat massiv und radikal.

Die Preisdeckelung bei Benzin und gewissen Grundnahrungsmitteln, um die wirtschaftlichen Auswirkungen des Ukraine-Krieges für die Bürger zu dämpfen, ist das jüngste Beispiel. Andere Elemente sind die Senkung der Gas- und Strompreise für Haushalte seit 2014, oder das Verbot von Devisenkrediten – deren Verbreitung hatte viele Haushalte 2014 an den Rand des wirtschaftlichen Ruins getrieben, weil sie angesichts des relativen Wertverlusts der ungarischen Landeswährung ihre Euro- oder Schweizer-Franken-Kredite nicht mehr zurückzahlen konnten.

Im Endergebnis fühlen viele Bürger, dass sie von jemandem regiert werden, der sich um sie kümmert. Orbáns Politik hat mehr soziale Anziehungskraft als alles, was die Linke im Angebot hat. Erst recht im Vergleich zu den USA: Ungarn hat (freilich wie fast alle europäischen Länder) eine allgemeine Krankenversicherung und ein kostenloses Bildungssystem. Ist das etwas, was US-Konservative in Betracht ziehen könnten, gegen ihre historischen, liberalen Grundwerte? Eine stärkere Rolle für den Staat?

Tucker Carlson, ein einflussreicher amerikanischer TV-Journalist, der seine Fox-News-Sendung für eine ganze Woche nach Budapest brachte, hält es für erwägenswert. „Die traditionellen Stützen der Konservativen sind alle liberal geworden“, sagt er . „Big Business ist jetzt Big Tech. Die Universitäten sind woke.“ Der konservative Publizist Rod Dreher ist einverstanden: „Wir haben sogar das Militär verloren.“ Die letzte Stütze seien Inseln konservativer Kultur im Staat selbst. Das mache die Idee einer stärkeren Rolle für den Staat interessant.

Dieser neue Trend bei den Republikanern hat einen Namen: „Nationalkonservatismus“. Inhaltlich ähnelt die Richtung dem, wofür Europas Christdemokraten noch vor wenigen Jahrzehnten standen. Fürsorglicher, aber wirtschaftsfreundlicher Staat, Heimat, Glaube, Familie.

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Nicht alle sind überzeugt. Der Publizist John Fund, ein republikanisches Urgestein und Reagan-Anhänger alter Schule, hält wenig vom Staat. Auch er gehört zu jenen, die derzeit in Budapest auftauchen, um zu sehen, was sich da tut. „Nationalkonservatismus, das hat jetzt einen Moment. Es hat immer mal solche Bewegungen gegeben bei den Republikanern“, meint er. Aber überzeugt ist er nicht davon. Zu unamerikanisch.

Und Viktor Orbán? Was wird er am 4. August sagen? Schon in seiner Rede vor dem Budapester CPAC am 19./20. Mai gab er guten Rat und betonte „12 Punkte“, die Konservative beachten müssten, um Erfolg zu haben. „Spielt nach euren eigenen Regeln. Unterstützt Kirchen und Familien. Kämpft für das nationale Interesse.“ Die Medien bissen sich an Punkt 4 fest: Man müsse „Medien haben“. War das ein Ruf, Pressefreiheit und Medienvielfalt abzuschaffen?

Es war wohl eher ein Ruf nach einer Medienlandschaft, die ein Spiegel der Gesellschaft ist, statt nur ein Spiegel liberaler, urbaner Eliten. „Seid die Besten und gewinnt“, schloss Orbán damals. Auch das ist letztlich ein konservativer Grundwert.

Orbáns Einladung nach Dallas ist ein strategischer Triumph, aber nicht ohne Risiken. CPAC ist der Tummelplatz der wirklich Rechten unter Amerikas Konservativen. Auch Donald Trump wird dort sprechen. Aber hat Trump noch eine politische Zukunft?
Eine Inspiration kann Orbán für Amerikas Konservative nur dann sein, wenn er souverän für sich selbst steht, und sich nicht von Trump vereinnahmen lässt.

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