Tichys Einblick
Schlag für Minderheitsregierung

Rechte gewinnen in Spanien: Warum Sánchez nun Neuwahlen ausruft

In Spanien wird ein halbes Jahr früher gewählt. Grund: Ein Tsunami hat die Konservativen und Rechtspopulisten von Vox gestärkt und die Minderheitsregierung von Pedro Sánchez geschwächt. Sánchez macht nun den Schröder – oder den Biden.

Der spanische Premierminister Pedro Sánchez am 28. Mai 2023 in Madrid, Spanien. Sanchez hat am Montag für den 23. Juli Parlamentswahlen ausgerufen

IMAGO / Xinhua
Die eindeutige Niederlage der linken Regierungsparteien bei den spanischen Regional- und Kommunalwahlen hat Pedro Sánchez (PSOE) dazu veranlasst, die „Ergebnisse in der ersten Person anzunehmen“ und eine Antwort darauf zu geben. Neben den Sozialisten des Premiers haben auch die anderen Regierungsparteien herbe Verluste hinnehmen müssen – etwa die Unidas Podemos (neuerdings aus Solidarität mit dem Feminismus weiblich gegendert). Noch am Montagnachmittag wurden die Cortes durch einen außerordentlichen Kabinettsbeschluss aufgelöst und vorgezogene Neuwahlen für den 23. Juli anberaumt.

Bei den Regionalwahlen waren am Sonntag die valencianische Gemeinschaft, die Extremadura, Aragonien, die Balearen und die Provinz La Rioja an die konservative Volkspartei (PP) gefallen, die bisher als sozialistische Bastionen galten. In sieben von zwölf Regionalparlamenten siegten die Konservativen. Merkwürdigerweise hatte schon wieder keine Umfrage diese Verhältnisse auf dem Zettel. In Stadt und Region Madrid errang die Volkspartei sogar die absolute Mehrheit. Dort regiert bereits Isabel Díaz Ayuso als Regionalpräsidentin, die ein knappes Fazit der jüngsten Ereignisse zog: „Pedro Sánchez hat sich ergeben.“

Die 44-jährige ehemalige Journalisten Díaz Ayuso wird auch als „spanische Trump“ bezeichnet. In der Tat traut sie den Sozialisten um Sánchez bei den bevorstehenden Wahlen auch Wahlbetrug zu. In der Coronazeit machte Ayuso ihre Stadt durch zeitige Lockerungen zur „Hauptstadt der Freiheit“ und wurde dafür gefeiert. Manche nannten sie eine Faschistin. Ayuso kommentierte: „Wenn sie dich als Faschistin bezeichnen, stehst du auf der richtigen Seite der Geschichte.“

PP gewinnt in Sevilla, Valencia und Saragossa

Sánchez übernahm zumindest einen Teil der Verantwortung für das Wahldebakel. Die Gründe weisen demnach teilweise über die Regionen und Kommunen hinaus, so gab auch Sánchez zu. Der konservative Partido Popular (PP) hatte die Wahlen zum Plebiszit über den „Sanchismo“ ausgerufen. Der Parteivorsitzende Alberto Núñez Feijóo wünscht sich nun eine klare Mehrheit bei den landesweiten Wahlen. Es könne nicht noch „eine Legislaturperiode mit mehr vom Gleichen“ geben.

Bei den Kommunalwahlen kam der PP landesweit auf 31,5 Prozent vor dem sozialistischen PSOE mit 28,1 Prozent. Die Konservativen haben damit landesweit mehr als neun Prozentpunkte hinzugewonnen, womit sie auch vom Zusammenbruch der pro-europäischen Partei Ciudadanos („Bürger“) profitierten. Schon vor einiger Zeit hatten die Ciudadanos viele Funktionäre und Wähler verloren, als sich der PP (auf Initiative von Ayuso) von der in der Mitte des Spektrums angesiedelten Kraft abwandte.

Die neue Vox-Partei, die nach der traditionellen Sitzordnung auf der Rechten des PP eingeordnet wird, verdoppelte ihr Wahlergebnis bei den aktuellen Kommunalwahlen auf 7,2 Prozent. Die Konservativen gewannen damit auch die bisherigen PSOE-Hochburgen Sevilla, Valencia und Saragossa – auch dank der Mitarbeit von Vox. In Barcelona wird die Ultra-Linke Ada Colau vermutlich durch den Kandidaten der Separatisten ersetzt, den Ex-Bürgermeister Xavier Trias. Sie will das durch neue Bündnisse verhindern.

Sánchez macht den Schröder

Sánchez scheint derweil den Schröder zu machen. Der deutsche Bundeskanzler hatte 2005 Neuwahlen ausgerufen, nachdem Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen gezeigt hatten, dass seine Koalition keine Mehrheit mehr im Volk hatte. Neuwahlen galten ihm als logische Folge: Das schwankende Mandat musste neu bestätigt oder zurückgegeben werden. Solche Überlegungen sind heutzutage aus der Mode gekommen. Deshalb könnte man Sánchez’ Aktion auch anders lesen: als Versuch, sich durch rasch abgehaltene Neuwahlen noch ein paar Jahre im Amt zu sichern, um so eine eventuell vorbeiziehende Popularitätsflaute seiner Regierung zu überstehen. Ob so ein Plan klappen kann, ist eine ganz andere Frage.

El Mundo glaubt, dass die Entscheidung darauf abzielt, die vollständige Zermürbung seiner Regierung abzuwenden und das Wachstum der rechten Parteien aufzuhalten. Die allgemein erwartete Zusammenarbeit des PP mit den „Rechtspopulisten“ von Vox wird nun als Schreckgespenst an die Wand gemalt, um die letzten Reste der eigenen Herrschaft zu erhalten.

Doch das wird kaum verfangen. Denn in den Regionen regiert der PP schon mit Vox, etwa in Kastilien und Léon seit letztem Jahr oder in Andalusien, wo die Konservativen sich von Vox tolerieren lassen. Ob nun weitere Bündnisse auf Regionalebene folgen, wollten PP-Führer am Wahlabend noch nicht eindeutig sagen. Es gibt jedenfalls nicht jene fruchtlosen Distanzierungsrituale, die ein Regieren rechts der Mitte in Deutschland derzeit unmöglich machen.

Sanchismo = Regieren ohne Mehrheit und immer wieder Neuwahlen?

Aber was ist nun eigentlich dieser „Sanchismo“? Vielleicht besteht er genau darin, in rascher Folge Neuwahlen auszurufen, um eine Regierung ohne reale Mehrheit an der Macht zu halten. 2018 war Sánchez durch einen Misstrauensantrag ins Amt gekommen. Schon 2019 rief der Regierungschef zu Neuwahlen auf, nachdem Vox in Andalusien erste Erfolge gefeiert hatte. Vier Jahre später könnte das Warnen vor einer Mehrheit rechts der Mitte unter Einbindung neuer Parteien nicht mehr verfangen. Nun erregte er mit einem neuen Sexualstrafrecht für Unmut, das zahlreiche Straftäter vorzeitig in die Freiheit entließ. Heftig umstritten war auch das Gesetz zur sexuellen Selbstbestimmung, das einen Identitätswechsel ab 16 Jahren ohne medizinische Eingriffe erlaubt.

Wo Sánchez Recht hat, das ist, wo er eine „Klärung“ der offenen Fragen durch das spanische Volk fordert. Diese Methode nennt er richtigerweise Demokratie, sie hängt an der Akzeptanz für Wahlergebnisse, die ihrerseits die Richtschnur für das Parteienhandeln zu sein haben – nicht umgekehrt: „Und deshalb denke ich, dass es für die Spanier am besten ist, das Wort zu ergreifen und sich unverzüglich zu äußern, um den politischen Kurs des Landes zu bestimmen.“

Aus europäischer oder besser EU-Sicht kommt der spanische Wahltermin höchst ungelegen. Denn am 1. Juli wird Spanien die Ratspräsidentschaft von Schweden übernehmen. Eigentlich hatte ein EU-Führungszirkel um Deutschland und Frankreich geplant, in diesem halben Jahr Ratspräsidentschaft wichtige Beschlüsse etwa zum europäischen Asylsystem zu fassen. Das könnte nun, wenn nicht gleich hinfällig, so doch erschwert werden, durch das innenpolitische Gegenfeuer, das die linke spanische Minderheitsregierung nun bekommt.

Das Mitte-links-Blatt El País spricht von einer „konservativen Welle, die bereits in mehreren europäischen Ländern zu sehen war und nun Spanien erreicht“. Sánchez spiele alles oder nichts, und das im Eilmarsch. Er meint wohl, so die Zeitung, dass eine „außergewöhnliche Mobilisierung“ der Linken die Welle noch aufhalten kann. Das wäre dann das Rezept aus Biden, Antifa und BLM gegen Trump. Die Wahlen in den autonomen Gemeinschaften und Kommunen Spaniens lassen keinen Erfolg dieser Strategie erwarten.

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