Tichys Einblick
Ausgegrenzt

Vietnam: Wie der Ruf der Deutschen wegen Corona verfällt

Vom Hersteller der Qualitätsprodukte „Made in Germany“ zur Virusschleuder „Made in Germany “, vor der man sich schützen muss.

A border guard checks a foreign visitor s health declaration form at a train station in Vietnam s northern province of Lao Cai on March 17, 2020.

imago images / xinhua
Zunächst ein kleiner Rückblick, nur zwei Monate. Als alter weißer Mann war ich im Januar 2020 in Hanoi unterwegs. Und ich merkte: Überall in der Welt außer in der deutschen veröffentlichten Meinung, wird er geschätzt, der alte weiße Mann, weil
  1. alt
  2. weiß
  3. Mann

Warum ist das so? Weil alte weiße Männer alles entwickelt haben, was zu sehen und was nicht zu sehen ist. Wer, egal wo in der Welt, um sich schaut, muss feststellen, das meiste ist von alten weißen Männern entwickelt: Beton zum Hausbau, Mopeds und Autos zur Mobilität, Plastik, das ultraformbare Material für alles, das Gesundheits- das Rechtssystem, die Menschenrechte, die Klassische Musik usw. usf. Selbst die T-Shirts und Hosen werden von Webmaschinen gewebt, die von alten weißen Männern erfunden wurden.

Auf meinen Anwurf an einen Häuptling vom Stamme der Zomi in Ostindien, doch mehr auf die Tradition zu achten, erwiderte der harsch: Sollen wir etwa wieder im Baströckchen herumlaufen und nach jeder Regenzeit eine neue Bambushütte bauen? Das wirkt bis heute in mir nach.

Die Vietnamesen in Hanoi sind keine Thais, sie sind nicht so überschäumend freundlich und zuvorkommend. Eher ähneln sie Chinesen: Rau aber herzlich. Wenn aber der Augenkontakt aufgenommen ist, gibt es schnell ein nettes Verhältnis.

Vietnam ist ein armes Land. Da ist Erfolg umso wichtiger, um der Armut zu entfliehen, um Sicherheit in seinem Leben zu gewinnen. Eine Krankenversicherung hat fast niemand. Eine Rentenversicherung nur Beamte. Der Erfolg, für den der alte weiße Mann steht, ist auch ein Aphrodisiakum. Wie bei einem Porsche einstmals und manchmal noch jetzt in Deutschland, werden die Frauen schwach. Es klimpern die Wimpern und ein kleiner Flirt hat noch niemandem geschadet.

Where do you come from? Diese vollkommen normale Frage – in Deutschland inzwischen als Alltagsrassismus verpönt – höre ich oft. Germany. Erfolgreich und deshalb besonders respektiert. Ah, germany, very good country. Very developed. They have everything. Und so fühle ich mich wohl und geschätzt als Repräsentant der eigenen Kultur, der jeder Mensch in der Fremde immer ist. Im Positiven und bei erfolglosen Kulturen eben im Negativen. Was in Deutschland als Rassismus verschrien ist und unterdrückt wird, bildetet die Grundlage der menschlichen Wahrnehmung. Vom Ganzen aufs Einzelne schließen. Ohne Deduktion und Induktion wäre der Mensch nicht überlebensfähig, hätte er die Evolution nicht passieren können.

Und so schwimme ich in Hanoi in der warmen Anerkennung meiner hochentwickelten westlichen Kultur. Die haben es zu was gebracht. An die halten wir uns. Da können wir was lernen. Die sind zwar manchmal seltsam und unkultiviert und schätzen oft nicht einmal ihre eigene Kultur. Der ständige Schuldkomplex ist auch unangenehm, aber unterm Strich: Erfolg gibt recht.

Nach vier Wochen Aufenthalt in Vietnam fliege ich für einige Wochen nach Myanmar. Über Verbindungen bekomme ich wieder ein Visum für Vietnam, weil ich aus Myanmar und NICHT aus Deutschland komme. Inzwischen ist Corona ausgebrochen.

Hanoi, 13. März:

Flug von Bangkok nach Hanoi. Komisches Gefühl, zusammen mit 10 Vietnamesen im fast leeren Flugzeug zu sitzen. Am leeren Visaschalter werde ich plötzlich angeherrscht, eine Maske zu tragen. Der Ton ist nicht mehr freundlich. Glücklicherweise hatte ich mir am Abend zuvor noch eine gekauft. Leerer Flughafen. Duty Free Shops verwaist. Die Verkäufer halten Schwätzchen.

Die Medien bombardieren die Vietnamesen mit Corona, made in China, Italy and Germany. Made in Germany hat seine positive Bedeutung innerhalb kurzer Zeit ins Gegenteil verkehrt. Und ich bin Deutscher, lebe im Corona-verseuchten Europa. Hysterie allüberall.

Am nächsten Tag in Hanoi unterwegs. Ich bin irritiert. Meinem Blickkontakt weicht man aus. Die Vietnamesen blicken zur Seite, wenn ich sie anblicke, halten Abstand. Geschäfte darf ich nur betreten, nachdem ich mir eine Maske aufgesetzt habe. Und auch dann werde ich nun unfreundlich bedient.

Die Gummibänder meiner Maske sind aufgrund der kleineren asiatischen Köpfe aber kurz. Wenn ich die Maske aufsetze, schneiden die Bänder schmerzhaft hinter den Ohren in die Haut.

Wenn ich es wage, die Maske abzusetzen, werde ich voller Abneigung angeherrscht. Selbst wenn ich in einer Menschenmenge unterwegs bin, bildet sich ein leerer Raum von vielleicht zwei Metern um mich. Plötzlich bin ich ein Unberührbarer. Frauen, die vor einem Monat noch mit mir flirteten, kennen mich plötzlich nicht mehr. Ich bin ein Aussätziger.

Dabei habe ich noch Glück, kein Chinese zu sein. Hier mischt sich eine alte koloniale Abneigung mit der aktuellen Coronafurcht, Vietnam war 1.000 Jahre von China besetzt. Der große Nachbarstaat wird auch heute als aggressiv wahrgenommen. Gegen Chinesen richtet sich die ganze Wut.

Die Asiaten argumentieren täterorientiert: Durch eine Maske kann verhindert werden, dass Infizierte andere anstecken. Die Gemeinschaft wird geschützt.

Der Westen argumentiert opferorientiert: Eine Maske kann kaum verhindern, dass ich mich anstecke. Also lasse ich es. Und wenn ich, ohne es zu wissen, Corona habe, dann sind die Folgen für andere nicht mein Problem.

Hanoi, 14. März

Die Einreise für Flüge aus dem Schengen-Raum wird untersagt. Das kommt für die wenigen Fluggäste, die in Hanoi landen, überraschend. Sie werden vor die Wahl gestellt, entweder gleich wieder zurückzufliegen oder 14 Tage isoliert in einem Armeecamp an einem entlegenen Ort in Vietnam durchzustehen. Ob es dort so idyllisch zugeht, wie in dem Film, sei einmal dahingestellt.

Dringend gebrauchte Spezialisten und Fachleute werden einem Corona-Test unterzogen. 700 Samsung-Ingenieure, die in Korea keine Arbeit haben, fliegen in einem extra gecharterten Flugzeug nach Hanoi. Dort produzieren sie in einem Gebäude in Quarantäne weiter. Im Westen undenkbar.

In Restaurants werde ich nicht mehr bedient, da ich zum Essen ja die Maske abziehen müsste. Corona. Take away food mit Maske. Cafés sind geschlossen, Veranstaltungen finden nicht mehr statt. Schockstarre in Hanoi.

Es ist eine ganz neue Erfahrung von einem Repräsentanten einer bisher hochgeschätzten Kultur innerhalb weniger Wochen zu einem angsterregenden Symbol für Krankheit abzusteigen, plötzlich Aussätziger zu sein.

Aber die Familie, bei der ich untergebracht bin, bleibt herzlich und lässt sich nicht erschüttern.

Hanoi, 16. März

Als deutscher und damit Corona-Verdächtiger muss ich eine App auf mein Smartphone laden und damit meinen Gesundheitszustand über die App rückmelden. Falls ich dies versäumen sollte, werde ich umgehend in ein Quarantäne-Camp der vietnamesischen Armee eingeliefert.

Aber durch das rigorose Vorgehen bewahren die Behörden von Vietnam, Singapur, Japan und Taiwan ihre Bevölkerung vor großem Schaden, obwohl die Länder in direkter Nachbarschaft von China liegen. Es gibt nur wenige Infizierte (61: Stand 17. März). Und Südkorea beweist, wie gut man die Coronakrise in den Griff bekommen kann. Da steht Deutschland weit zurück.

Anzeige