Tichys Einblick
EU-Innenministertreffen Stockholm

Die EU-Innenminister wollen mehr Abschiebungen, Nancy Faeser mehr Migration

Ob die EU zu einer höheren Effizienz in Sachen Abschiebungen kommen wird, darf man bezweifeln. Dass die 27 Mitglieder wirklich gemeinsam Druck auf Herkunftsstaaten ausüben, liegt noch in weiter Ferne. In Deutschland will die Ampel sowieso etwas ganz anderes, etwa Migrationsabkommen mit dem Maghreb.

IMAGO / TT

In Deutschland tobt eine Diskussion um Messermörder, die eigentlich schon lange – wegen diverser anderer Straf- wie Messertaten – hätten abgeschoben werden müssen. Im Wortsinn täglich trudeln die Meldungen ein. Diese Woche waren es Brokstedt, Hagen, Essen, Hamburg, Bremen, Freiburg, Wiesbaden und noch einige Orte mehr, in denen Menschen durch Messer starben oder verletzt wurden. Eine neue Normalität etabliert sich.

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Gleichzeitig ist Innenministerin Nancy Faeser (SPD) auf einer Konferenz der EU-Innenminister in Stockholm zu Gast. Und das kann man wohl so sagen – „zu Gast“ –, denn von einer amtierenden Bundesinnenministerin, die ihr Amt im Rat der EU-Amtskollegen würdig verträte, war da keine Spur. Faeser wirkte eher wie ein Zaungast auf der Veranstaltung, auf der sich eine Mehrheit ihrer Kollegen für stärkere Druckmittel in Sachen Abschiebungen aussprach – nur die SPD-Politikerin nicht.

„Ich bin damit zurückhaltend“, sagte Faeser zu der Idee der neuen schwedischen Regierung, die EU-Visapolitik dafür zu nutzen, um auf unwillige Herkunftsstaaten Druck auszuüben. Druck, damit diese Länder ihre rechtsuntreuen oder schlicht als Asylbewerber abgelehnten Staatsbürger zurücknähmen. Faeser hat auf so etwas offenbar keine Lust.

Die rot-grüne Ampel forciert derweil die Visa-Vergabe

Dabei steht die Regelung bereit. Im Artikel 25a des Visa-Kodexes der EU ist das Thema „Kooperation bei der Rücknahme“ explizit angesprochen und konkret ausgeführt. Die Regelungen des Artikels sind schlicht: Wird bei der Rücknahme kooperiert, erfährt der betreffende Staat eine Anzahl von Vereinfachungen bei der Visa-Vergabe für legitime Bewerber. Ist das nicht der Fall, fallen diese Vorteile weg. Daneben ist es Aufgabe der Kommission, die erbrachten Leistungen von Drittstaaten mindestens einmal im Jahr zu bewerten.

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Die Bundesinnenministerin will diesen Weg also nicht wählen. Und tatsächlich präsentierte sie auch einen Gegenvorschlag, auch wenn der noch so ideologisch gefärbt sein mochte. Faeser schlägt vor, die übermäßige illegale Migration aus bestimmten Ländern und die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten bei der Rückführung mit legalen „Migrationsabkommen“ zu lösen. Sie will mit Zuckerbrot statt Peitsche regieren, mit Anreizen statt Druck. Will ein Land seine illegalen Migranten nicht zurücknehmen, dann „droht“ Faeser ihm einfach mit der Annahme von Migranten auf legalem Wege und hofft, dass dann endlich die Abschiebungen gelingen werden. Aber kommen werden so am Ende wiederum Menschen ähnlicher Qualität, wie sie auch in den Mittelmeerbooten sitzen.

Das scheint die deutsche, mit Außenministerin Baerbock abgestimmte Politik zu sein. Denn Baerbock hatte kürzlich bekanntgegeben, dass sie die Vergabe deutscher Visa weltweit liberalisieren will, und das nicht nur in Sachen Arbeitsvisa. Auch die sogenannte „Fluchtmigration“ und der Familiennachzug im Allgemeinen sollen von der erleichterten Visa-Vergabe profitieren, wohl im Sinne freiwillig zu übernehmender Kontingente, die in Deutschland zu der illegalen Einwanderung an deutschen Grenzen hinzukommen werden.

Ylva Johansson: Animierende Berater und Rückführungshilfen

Das erste Beispiel für Faesers Politik der Migrationsabkommen sollen nun ausgerechnet die Maghreb-Staaten Nordafrikas werden, die seit Jahren durch das Zulassen und fallweise Forcieren der illegalen Zuwanderung auffallen. Spanien mit seinen nordafrikanischen Exklaven kann vom marokkanischen Missbrauch an dieser Stelle ein Lied singen. Aber auch Italien hat mit einer Schwemme von Algeriern und Tunesiern und aus den beiden Ländern gestarteten Booten mehr als genug zu tun. Wodurch hätten also die Maghreb-Staaten Migrationsabkommen mit Deutschland verdient? Man könnte sagen: genau damit. Weil sie die EU erpressen mit eigenen und durch sie hindurch reisenden Migranten, stehen sie ganz oben auf der Liste der privilegierten Partner des Staatenbundes wie Deutschland, das sich auch unter Faeser eine absolute Unterwerfung unter die Vergemeinschaftung in der EU auferlegt.

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Derzeit werden EU-weit übrigens nur 21 Prozent von 340.000 ausreisepflichtigen Asylbewerbern abgeschoben, so die schwedische Migrationsministerin Maria Malmer Stenergard. Diese Quote will die Konservative verbessern. Doch bei einem deutschen Veto wird sie EU-weit nicht viel tun können. Der Elektromagnet in Europas Mitte bleibt also angestellt.

Die Quote von 21 Prozent findet übrigens sogar Innenkommissarin Ylva Johansson „sehr niedrig“. Angestrebt werden seit Jahren 70 Prozent. Angeblich sind aber sogar die 21 Prozent geschönt und die Quote noch um einiges niedriger. Neben dem Visa-Druck gibt es laut Johansson weitere Vorschläge. So sprach die Schwedin von „Beratern“, die Migranten zur freiwilligen Rückkehr „animieren“ sollen. Auch finanzielle und beratende Unterstützung bei der Rückübersiedlung nach skandinavischem Modell soll hier helfen. Darüber hinaus will man die Verwaltungsprozesse durch Digitalisierung beschleunigen, außerdem soll Frontex bei Rückführungsoperationen beratend und praktisch tätig werden.

Gegen Minsk funktionierte die EU-Diplomatie in Sachen illegale Reisen plötzlich

Die Sache mit dem Druck über die Visa-Vergabe wird schon heute, wenn auch sehr vereinzelt, angewendet. Vorgeschlagen hat die Kommission das Mittel für Bangladesch, den Irak, Gambia und Senegal. Angenommen wurde es für Gambia. Nun heißt es, schon die Androhung wirke – etwa im Fall Bangladeschs. Aber auch angedroht wurde bisher sehr selten. Ein Anwendungsfeld für die Regel wäre wohl am ehesten Afrika, wo oft nicht viel für die EU-Partner auf dem Spiel steht.

Ironie der Ironien: Die EU hat in den letzten Jahren nur ein funktionierendes, rechtlich bindendes Rückführungsabkommen abgeschlossen – und zwar mit Weißrussland, das freilich zuletzt sehr gescholten wurde als Transitstaat für illegale Migranten vorzugsweise aus dem Irak. Aber dem konnte man ja auch Herr werden, indem man Minsk (und Moskau) von den Flughäfen des Nahen Ostens und der Türkei abschnitt und isolierte. Auch diese Politik wird nicht für die gesamte Welt funktionieren. Die Lage bleibt also unübersichtlich.

Es werden wohl weiterhin die Nationalstaaten mit Geschick und Schweiß gefragt sein. Der Traum einer EU-Verhandlungsmacht in solchen Fragen hat sich zu oft als trügerisch erwiesen. Nur im Fall Weißrussland funktionierte sie plötzlich. Da zeigte sich die EU-Spitze erstaunlich einsatzfreudig und durchsetzungsstark. Es bräuchte also vielleicht eine bessere Motivation für die Kommissare. Nur woher kann die kommen? Nur aus den Nationalstaaten.

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