Tichys Einblick
Abschied von "feministischer Außenpolitik"

Schwedens neue Regierung verkündet einwanderungspolitische Kehrtwende

Schwedens neuer konservativer Premierminister Ulf Kristersson will gegen illegale Migration und schlechte Integration vorgehen. Abschiebungen und die Beschränkung des Asylrechts sollen die innere Sicherheit verbessern und die schwedische Wirtschaft für Krisen rüsten.

IMAGO / TT

Am Montag stellte sich der Chef der schwedischen Konservativen, Ulf Kristersson, einer Vertrauensabstimmung im Reichstag. Am Dienstag bildete er seine neue Regierung unter Beteiligung der konservativen Moderaten, der Christdemokraten und der Liberalen. Das Bündnis bildet eine Minderheitsregierung, allerdings nur weil der größte Partner der Koalition vorerst fernbleibt. Die national-konservativen Schwedendemokraten haben mit einem Ergebnis von 73 Sitzen im Reichstag die meisten Wählerstimmen unter den vier Parteien gewonnen. Auch ihre Themen haben folglich einen Abdruck im neuen Regierungsprogramm gefunden, wie ein Blick auf Ulf Kristerssons Antrittsrede (hier in englischer Übersetzung nachzulesen) zeigt.

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So haben allein zwei der vier wichtigsten Punkte des darin angekündigten Regierungshandelns mit dem Thema Zuwanderung zu tun. Gleich als ersten Punkt nannte Kristersson die Epidemie der tödlichen Schießereien, die sich zumeist in bestimmten Vierteln der größeren Städte ereignen. „Der Kampf gegen schwere Kriminalität muss gewonnen und die Sicherheit im Lande wiederhergestellt werden.“ Seine Regierung wolle an dieser Stelle „wieder die Kontrolle übernehmen“ – was Kristerssons Urteil zu sieben Jahren sozialdemokratischer Regierung erahnen lässt. Die Aufgabe sei gewaltig, die neue Regierung müsse sich beweisen.

Daneben belastet die über Jahre hinweg hohe Zuwanderung aber sogar die wirtschaftliche Bilanz Schwedens, die Kristersson in seinem zweiten Hauptpunkt ansprach. Er scheint eine Rezession vorauszusehen. die man durchstehen müsse. Und wiederum sieht er die starke Zuwanderung zusammen mit der „gescheiterten Integration hunderttausender Menschen“, die vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen seien und von Sozialleistungen abhingen, als einen bestimmenden Faktor, was die wirtschaftliche Resilienz des Landes, dessen Fähigkeit mit Krisen umzugehen, angeht.

Die verbleibenden Hauptpunkte seiner Rede erscheinen gegenüber diesen beiden Themenfeldern fast überschaubar: Kristersson will der Energiekrise begegnen und zu bezahlbaren Strompreisen für die Schweden zurückkehren. Daneben will er das Land in die Nato führen und glaubt, den türkischen Präsidenten Erdogan von diesem Schritt überzeugen zu können.

Maßnahmen gegen Langzeitarbeitslosigkeit und Clan-/Gangkriminalität

Insgesamt sieht Kristersson die Situation als ernst, aber nicht als hoffnungslos an: „Generationen von Schweden haben harte Zeiten erlebt und sich darin bewährt.“ Nichts in Schweden sei so kaputt, dass man es nicht reparieren könne – solange man nur alle Kräfte nutzt. Soweit die Versuche in Wähler- und Parlamentsmotivation des neuen Premiers. Doch tatsächlich hat das Land mit einer der höchsten Arbeitslosenraten in der EU zu kämpfen, und ein Anstieg ist für das nächste Jahr vorhergesagt. Die Wirtschaft sieht Kristersson in der Stagnation. Die Inflation nähert sich der Zehn-Prozent-Marke.

Kristersson will die Langzeitarbeitslosigkeit durch niedrigere Eingangssteuersätze und einen Deckel für Sozialleistungen verringern, damit sich die Arbeitsaufnahme wieder lohnt. Auch für Ältere, die derzeit teils erzwungenermaßen den Ruhestand suchen, sollen die Anreize zum Arbeiten erhöht werden. Man brauche die Erfahrung und das Fachwissen der Älteren, das oft übersehen werde. In der am Dienstag gebildeten Regierung gibt es deshalb auch eine eigene Ministerin für Senioren und Sozialversicherungen.

Dann kam Kristersson zurück zu dem Thema, das das Land wirklich aufrüttelt: 53 tödliche Schießereien habe es in diesem Jahr bereits gegeben, die häufig Hinrichtungen glichen. Auch Unbeteiligte seien durch die Gangs ums Leben gekommen. Nun soll ein Beirat für organisierte Kriminalität gebildet werden, der eine Strafverfolgung nach dänischem Vorbild in Gang bringen werde. Daneben sollen die Haftstrafen für Gangkriminalität verdoppelt werden. Die Beteiligung an kriminellen Netzwerken soll strafbar werden. Schließlich sollen auch die Abschiebungen straffälliger Ausländer verstärkt werden. Biographische Bezüge zu Schweden sollen in diesem Zusammenhang leichter wiegen. Hinzu kommen neue Maßnahmen wie stärkere Kontrollen im öffentlichen Raum und der Ausschluss verringerter Strafmaße für erwachsene Täter. Der Ausbau der schwedischen Polizei und Justiz dürfte, so räumt auch Kristersson ein, allerdings Zeit brauchen.

Asyl nur noch für die, die in Schwedens Nachbarschaft verfolgt werden?

Dann kam Kristersson zu dem Thema, das man als Hintergrund der hohen Kriminalität, aber auch der Arbeitslosigkeit sehen kann: „Die Zuwanderung nach Schweden war nicht nachhaltig.“ Die resultierenden Integrationsprobleme würden nun die gesamte Gesellschaft belasten, in der Gestalt von Ghettobildung, Überbevölkerung, Arbeitslosigkeit und Angewiesenheit auf Sozialleistungen. Hinzu kommen Gesundheitsprobleme und schlechte Bildungsergebnisse, Kriminalität und Unsicherheit, die in den betroffenen Vierteln grassieren, aber zugleich von ihnen ausstrahlen.

Nur ein Punkt unter vielen in Kristerssons Aufzählung ist die „auf Ehre basierende Unterdrückung“, mit der er offenbar importierte religiös-patriarchalische Muster anspricht, die praktisch immer mit der muslimischen Zuwanderung nach Europa einhergehen. Hierzu will der neue Premier „Jungfräulichkeitstests, Hymenrekonstruktionen und Jungfräulichkeitszertifikate“ kriminalisieren. Bei Kindern, die verschwinden, sollen schärfere Regeln greifen, die auch Geldstrafen gegen die Eltern ermöglichen. Die Ehe zwischen Cousins soll verboten werden.

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Daneben kündigt Kristersson einen Paradigmenwechsel in der schwedischen Migrationspolitik an. Zwar müsse das Asylrecht erhalten bleiben, nicht zuletzt weil die EU-Verträge das von Schweden erwarten, aber die neue Regierung will sich nun offenbar auf den – auch gewissermaßen dänischen – Standpunkt stellen, dass internationaler Schutz nur zeitweilig gewährt werden soll, und zwar nur für diejenigen, die „vor Konflikten und Krisen in der Nachbarschaft Schwedens fliehen“. Das wäre allerdings eine vollständige Kehrtwende in dem Land, das sich seit 2015 als Retter hunderttausender „Flüchtlinge“ aus entlegenen Weltgegenden verstand und dabei, proportional gesehen, zeitweise eine größere Last als Deutschland auf sich nahm. Die schwedischen Asylregeln will Kristersson nun so anpassen, dass sie nicht großzügiger sind, als es das EU-Recht absolut verlangt. Die schwedische Entwicklungshilfe soll sich künftig an der Vermeidung illegaler Migration und von deren Ursachen orientieren.
Pull-Faktor Sozialleistungen eindämmen, Abschiebungen erleichtern

Verschärft werden sollen daneben die Kontrollen von Ausländern im Inland. Auch für die Familienzusammenführung sollen höhere Hürden errichtet werden. Schließlich sollen freiwillige Rückkehrer ermutigt werden. Es soll leichter werden, vergebene Aufenthaltstitel wieder zu entziehen. Die Regeln für den Erwerb der schwedischen Staatsangehörigkeit sollen strenger werden. Zu guter Letzt sollen auch formal unbescholtene Ausländer ausgewiesen werden können, wenn sie mit Straftätern oder gewaltbereiten Extremisten kooperieren, die schwedische Grundwerte bedrohen. Transitzentren sollen eingeführt werden, deren genauer Charakter vorerst unklar bleibt.

Um die Pull-Wirkung des schwedischen Wohlfahrtsstaates zu verringern, sollen Ausländer sich die Teilhabe am Sozialsystem künftig durch Arbeit oder Erwerb der Staatsangehörigkeit verdienen. Die illegal im Land Lebenden sollen jedes Recht auf Sozialleistungen verlieren.

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Die Qualität und Rechtssicherheit der schwedischen Asylverfahren soll gesteigert werden. Hier will Kristersson allerdings auch neue Kriterien wie die religiöse Konversion oder den Status als „LGBTIQ-Person“ einbeziehen. Das klingt nach einer Ausweitung der Asylgründe. Arbeitsmigration soll dagegen erschwert werden, mit höheren Einkommensgrenzen und dem Vermeiden eines „Spurwechsels“, wie er in Deutschland von der Ampel vorangetrieben wird. Hochqualifizierte Zuwanderung, etwa von Forschern und Studenten, soll aber ermöglicht werden.

Auch interessant: Man erwägt ein schwedenweites Bettelverbot. Wer auf rechtmäßigem Wege nach Schweden kommt, um „das Richtige zu tun“, ist dem Konservativen Kristersson willkommen. Erfolgreiche Einwanderung samt Integration in die schwedische Gesellschaft führe zu mehr Wohlstand.

Und das ist der abschließende Punkt Kristerssons in diesem Kapitel: „Jeder, der nach Schweden kommt, muss natürlich ein Teil der schwedischen Gesellschaft werden.“ Aber wenn man solche Sätze sagen muss, dann ist das Kind meist schon in den Brunnen gefallen. Parallelgesellschaften haben sich gebildet und sollen nun – ob durch Appelle oder Maßnahmen – wieder zurückgedrängt werden. Auch die neue schwedische Regierung will hier die üblichen Dinge durchsetzen: Kenntnisse der Landessprache, Befolgung der Landesgesetze, Verdienen des eigenen Lebensunterhalts. Man ist noch nicht ganz auf dänischem Niveau angekommen, wo ghettoisierte Stadtviertel mit dem Abriss von Sozialwohnungen rechnen müssen, aber dass Segregation zu Problemen führt, hat man auch in Schweden erkannt.

Stolz auf Fossilfreiheit, aber auch Gleichbehandlung aller Energiearten

Man übernehme die Verantwortung für ein phantastisches Land, schloss Kristersson seine Rede in etwa ab. Bereits seit den Siebzigerjahren habe man Schweden immer stärker von Emissionen befreit und sei so zu einem der ersten „fast vollständig fossilfreien Industrienationen der Welt“ geworden. Schweden sei ein Land, in dem „klima-smarte Wind-, Wasser- und Nuklearenergie“ für „sauberen, verlässlichen und günstigen Strom“ sorgen. An dieser Stelle gibt es aber noch Diskussionsbedarf in Schweden. Einige zweifeln an Kristerssons Aussage. Andere wie die neugewählte Schwedendemokratin Elsa Widding (SD) widersprach im Reichstag offen. „Alles, was wir im Klimabereich tun, ist Symbolpolitik“, sagte sie laut der Malmöer Tageszeitung Sydsvenskan.

Für Aufruhr sorgt nun die Ankündigung der Regierung, die Subventionen für Offshore-Windanlagen zu streichen. Laut Kristerssons Programm werden „alle Arten von Energie benötigt“, sie sollen aber „ihre Kosten selbst tragen“. Das schmeckte der Vorsitzenden einer Klima-NGO, Cecilia Hermansson, nicht, die laut Dagens Nyheter die Sorge streute, die betroffenen Unternehmen könnten nach Finnland abwandern. Die Unternehmen selbst dementierten das umgehend.

Eine europäische Fußnote der Regierungsbildung: Wie das Svenska Dagbladet berichtet, könnte die schwedischen EU-Abgeordnete Karin Karlsbro aus der Renew-Europe-Fraktion im EU-Parlament ausgeschlossen werden. Der Grund ist die Beteiligung der schwedischen Liberalen an der Koalition, die auf die Stimmen der Schwedendemokraten angewiesen ist. Stéphane Séjourné, Parteichef der Macron-Partei „Renaissance“ (früher LREM), sagte: „Unsere Gruppe (Renew Europe) wurde gegründet auf der Basis des Kampfes gegen die Populisten und die extreme Rechte. Ich kann nicht hart mit meinen politischen Gegnern und weich gegenüber meinen Fraktionskollegen sein, wenn sie dasselbe tun.“

Von der Abgeordneten Karlsbro hängt freilich wenig ab in Schweden. Eher schon werden die Wähler – auch die der Schwedendemokraten – darauf schauen, ob Kristersson bei den angekündigten Punkten liefern wird. Davon wird abhängen, ob fast 90 Jahre sozialdemokratischer Herrschaft in Schweden (mit meist kurzen Unterbrechungen) vorerst Geschichte bleiben.

Fast zeitgleich mit Kristerssons Regierungserklärung hat sein neuer Außenminister Tobias Billström von der konservativen Partei der Moderaten gegenüber der Nachrichtenagentur TT am Dienstag den Abschied vom Begriff der „feministischen Außenpolitik“ verkündet, den seine Amtsvorgängerin Margot Wallström 2014 geprägt, und Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock übernommen hat. Billström sagte: „Die Gleichstellung der Geschlechter ist ein grundlegender Wert in Schweden und auch ein grundlegender Wert für diese Regierung.“ Der Ausdruck „feministische Außenpolitik“ werde aber gestrichen, „denn Etiketten haben die Tendenz, den Inhalt zu verschleiern“.

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