Tichys Einblick
Gerichtsprozess wohl Anfang Oktober

Salvini: „Heute Istanbul, morgen Athen und danach stehen sie hier bei uns …“

Italiens Oppositionsführer Matteo Salvini nutzt einen Auftritt im Urlaubsort Milano Marittima, um vor dem Prozess gegen ihn die Werte seiner Lega zu demonstrieren: die Familie und die Freiheit. Und er zeigt sich als Verteidiger gegen den Islamismus.

imago Images/Insiide Foto

Allen Anfeindungen zum Trotz ließ sich der Legachef und ehemalige Innenminister Italiens wie jedes Jahr am Strand von Milano Marittima blicken, wo er noch ein paar Tage zwischen all seinen Reisen im Lande (von den Alpen bis zur Stiefelspitze) entspannen möchte. Doch was heißt schon entspannen im Hinblick auf den Prozess Anfang Oktober in Catania, bei dem sich Salvini verteidigen muss, weil das Schiff „Open Arms“ zu lange festgesetzt wurde im vergangenen Jahr, als er noch Innenminister war.

Der Lombarde Salvini trägt das, wie er sagt, „mit Stolz, weil ich weiß, dass ich nichts Schlechtes getan habe, ich habe und werde mein Land immer verteidigen … “. Con testa alta, mit erhobenem Haupt, wolle er vor Gericht stehen, und Antwort geben. Dass er auf die Unterstützung vieler Bürger, natürlich auch seiner Lega-Sympathisanten, zähle, daraus macht Salvini kein Hehl.

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Ganz leger in heller Hose und einem blauen T-Shirt mit dem Aufdruck von Strichmännchen in Form einer klassischen Familie gekleidet, genießt Salvini sichtlich die Anwesenheit vieler Menschen und Unterstützer und deutet vom Podium hinunter ins Publikum bei diesem lauschigen Sommerabendsfest der Lega ( „La Romagna per Salvini“): „Allesamt anständige Leute, die noch nie irgendwo auf einer Demo Mülleimer zerstört oder Autos mit Steinen beschädigt haben, und die alle Regeln befolgten, wie man sehen kann“, sie säßen mit Distanz zueinander, würden ihren Mundschutz (mehr oder minder) tragen, und vor allem, sie würden andere nicht mit Meinungsmache terrorisieren. Keine Frage, auf wen Salvini abzielt.

Auf der Bühne im bekannten Urlaubsort Milano Marittima fragt dann auch einer der zwei Moderatoren (einer von TG2, dem Nachrichtensender von Rai due, der andere als Redakteur des Quotidiano Nazionale, einer Art Presseagentur), was denn Salvinis Meinung zum „Fall“ der heiligen Hagia Sophia von Istanbul sei.

Salvini räuspert sich kurz, und meint, „Sie war Kirche, Moschee, Museum und nun wieder in Nullkommanichts eine Moschee. Es ist eine Machtdemonstration. Das christliche Symbol in Istanbul wurde einfach gelöscht. Und manche sagen, ach, das sind religiöse Themen und Unterschiede … “, er selbst aber warne davor, so eine Entwicklung einfach abzutun. „Heute Istanbul, morgen Athen und danach stehen sie hier bei uns …“ und würden ihre Ansprüche geltend machen. Für „unsere Werte der Freiheit“, müsste jeder mit der Kraft der Argumente einstehen.

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Der ehemalige Innenminister, der mit seiner Lega, die Regierung „Conte I“ quasi freiwillig verlassen hat, spannt kurz seine Brust, tippt auf sein T-Shirt mit dem Familienlogo und spricht einen Teil seiner Agenda und das politische Manifest der Lega ins Mikrophon: „Dieses Shirt bedeutet für mich Freiheit. Und es repräsentiert das, was manche Leute ganz offen zur Diskussion freigeben, um es neu zu verhandeln. Für etwas angeblich Moderneres. Für mich aber ist es das Ende der Gesellschaft und Zivilisation … “, sagt Salvini, der selbst auch geschieden ist, sein Sorgerecht aber in jeder freien Minute wahrnimmt.

Der Legachef weiter: „Auf diesem Shirt sind die Mama, der Papa und ihre zwei Kinder. Im neuen Italien, das wir regieren möchten, so meine Idee, ist jeder frei, sein eigenes privates Leben zu leben … “, so sei er erzogen worden. Jede noch so falsche Idee müsste mit einer anderen Idee oder Meinung gestellt werden. Nicht mit Prozessen und Anzeigen.

Salvini, der von seinen Gegnern als Rechtspopulist angegriffen wird und dessen Partei als faschistisch oder rassistisch diskreditiert wird, sagt: „Jeder kann ausgehen und tanzen mit wem er möchte, und wenn er nach Hause geht, Liebe machen, mit wem auch immer. Es ist reine Privatsache …“, dann fügt er hinzu, „und wenn die Ärzte und Krankenschwestern jetzt zu einem Covidpatienten kommen, dann ist es dem Kranken egal, ob er von einem Hetero, Homosexuellen, einer Lesbe oder gar einem Transsexuellen behandelt wird. Aber … “, und jetzt hebt Salvini die Stimme zum emotionalen Timbre: „… Ich nehme mir das Recht heraus, die Kinder und deren Rechte immer zu verteidigen, ich werde immer sagen, die Kinder haben ein Recht auf einen Papa und eine Mama, ohne dass ich deshalb gleich in Haft muss … “

Ein Kind, so Salvini von Applaus begleitet, „kann von einer Mama und einem Papa adoptiert werden, und es kommt durch eine Mama und einen Papa auch
auf die Welt.“ Ein Kind dürfe nicht unter den Egoismen der Erwachsenen leiden müssen.

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Dann der verbale Spagat zurück zur Islamisierung (Hagia Sophia) und zur anhaltenden Massenmigration. Seine Ansichten werden europaweit von Menschen geteilt, die im Alltag sehen und erfahren, wozu eine unkontrollierte Migration führen kann. Menschen des gesunden Menschenverstands, also jene, die der EU entglitten zu sein scheinen.

Matteo Salvini sagt: „In Italien leben fünf Millionen registrierte und reguläre Migranten und Geflüchtete. Es sind meine Brüder und Schwestern, es interessiert mich nicht, ob jemand die weiße, schwarze, rote oder gelbe und grüne Haut hat. Wir schenken Respekt, und dürfen Respekt einfordern … Wenn Du Dich in Italien an Gesetze hältst, Respekt entgegenbringst, hast Du hier eine schöne Zukunft“.

Wenn jedoch – auch hier wieder „Bravo, bravo“ Rufe im Publikum – die Zuwanderer meinen, „die Kirchen, das Kreuz und die Weihnachtskrippe gefallen mir nicht, oder die Piedina schmeckt mir nicht … “, dann müssten diese Leute eben wieder dorthin zurück, woher sie gekommen sind. Unsere westliche Kultur, so Salvini, sei auf „Vernunft, Liebe und Freiheit“ aufgebaut. Italien sei aber zur Zeit den Gesetzen nach auf Denunziationen aufgebaut. Antidiskriminierungsgesetze bewirkten das pure Gegenteil, seien das Gift jeder Gesellschaft. Oder ist es normal, fragt Salvini rhetorisch, dass man eine Anzeige und Strafen riskiert, wenn man sich zur klassischen Familie, aufgebaut auf einer geschlossenen Ehe, bekennt?

Covid-19 und die Wirtschaft

Er wünsche sich ein Italien, das wieder träumt und tatkräftig voranschreitet. Auch zur Erinnerung an die rund 35.000 Verstorbenen der Coronapandemie, darunter Ärzte und medizinisches Personal, müsse das Land wieder anpackend nach vorne schauen. Vorsicht sei weiterhin richtig – aber bitte mit Augenmaß.

Hier am Strand kontrolliere man, ob die Leute auch mit der Mundmaske aus dem Wasser kommen, aber zugleich kämen junge Männer an Land, ohne irgendwelche Sanktionen, im Gegenteil. Planlos sei die Regierung Conte, die bisher nur  das anhaltende Notstandsgesetz zum Machterhalt verabschiedet habe, und jenes, das Migranten mehr Rechte bei der Arbeit auch mit fehlenden Papieren einräume.

Die Wirtschaft sei momentan am Boden, es brauche ein großes Manöver, und das sei die wahre Angst der EU, dass Nationen wie Italien die EU-Normen und Regularien ignorieren (können). Salvini: „Die Welt beneidet uns um Dinge, die wir produzieren. Und dann möchte uns die EU vorschreiben, was gesund sei und was nicht? Unser Olivenöl oder die Mozzarella wird herabgestuft, aber die Fertigpizza und Softgetränke der Konzerne für gut befunden? Ich bitte Sie … “, er wolle den Polen beispielsweise nicht vorschreiben, wie und was die Bürger dort essen sollten. Jedes Land habe seine Eigenheiten, Kultur und Traditionen.

Bildung und Schule

Spontan bittet Salvini nach einem Zwischenruf den jungen Filippo auf die Bühne, dessen Mutter im Publikum sitzt. Nein, seine Maske lasse er auf, weil sie aus Venetien sei und er sei ein Venetier aus Padova. Applaus im Publikum, Filippo übernimmt das Mikrophon, und Salvini scherzt, pass bloß auf, ich habe schon drei Prozesse am Hals.

Wie lief es während Corona denn so mit dem Unterricht, möchte Salvini wissen und was Filippo von den neuen Plänen mit Schichtunterricht, mehreren Gruppen sowie Schulstühlen und Bänken mit Rollen unten dran halten würde?

Der Schüler aus Padova sagt, es sei alles halbherzig gewesen, auch der Onlineunterricht wirkte unvorbereitet, er lief zwar, aber die Lehrer waren gestresst. Zu den Schulbänken? Das sei absurd, dann könne man ja gleich Boxautos mieten, und so den Unterricht abhalten. Lautes Auflachen. Noch schnell die Bitte nach einem Selfie Salvini ins Ohr geflüstert, bevor es Salvini so zusammenfasst: „Diese Jugend gibt uns noch Hoffnung, während sich andere mit Joints selbst abschießen … “

Der Regelunterricht müsse wieder normal anlaufen nach den Ferien, das würden auch die Infektionszahlen hergeben. Man könne nicht alles auf die meist berufstätigen Eltern abwälzen. Italien sehne sich nach Normalität und die Unternehmen müssten wieder durchstarten. Allein, die jetzige Regierung bremse dies aus.