Tichys Einblick
Für Linke sind Journalisten nicht gleich

„Relativ komfortabler“ Knast in Venezuela?

Ein deutscher Journalist wird vom sozialistischen Regime in Caracas festgehalten. Aus der Linkspartei gibt es dazu noch höhnische Kommentare wie seinerzeit von der AfD zur Inhaftierung von Deniz Yücel.

General view of El Helicoide, the headquarters of the Bolivarian National Intelligence Service (SEBIN) and building of the CICPC (Scientific Police), in Caracas

FEDERICO PARRA/AFP/Getty Images

Der Berliner Reporter Billy Six sitzt seit mehr als zehn Wochen in einem Geheimdienstgefängnis in Venezuela. Ihm werden „Spionage“, „Rebellion“ und „Verletzung von Sicherheitszonen“ vorgeworfen, heißt es. Als Beleg dienen unter anderem Fotos, die Six von einer Wahlkundgebung des sozialistischen Präsidenten Nicolás Maduro gemacht hat. Am 17. November wurde er verhaftet, aber bis heute ist kein Prozess gegen ihn eröffnet. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ nennt die Vorwürfe gegen den 32-Jährigen „hanebüchen“ und forderte mehrfach seine sofortige Freilassung.

Auffällig ist, dass die deutsche Medienszene sich nur mäßig über die Inhaftierung von Six erregt hat. Das mag daran liegen, dass der Reporter unter anderem für die rechtskonservative Berliner Wochenzeitung „Junge Freiheit“ schreibt – nicht gerade das Lieblingsblatt der linksliberalen Journalisten. Einige Zeitungen haben Artikel geschrieben, andere ignorierten den Fall. „Verbände wie der Deutsche Journalistenverband schweigen, das finde ich enttäuschend“, sagt Dieter Stein, der Chefredakteur der „Jungen Freiheit“.

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Das Auswärtige Amt habe viel zu lange gewartet, um sich um einen Kontakt zu Billy Six zu bemühen, kritisiert er. „Erst zwei Monate nach seiner Inhaftierung besuchte der deutsche Botschafter ihn erstmals im Gefängnis und konnte ein Telefonat mit den Eltern organisieren. Billy Six hat bis heute keinen Anwalt.“ Zwischenzeitlich ging Six in Hungerstreik, um eine Verlegung aus einer Einzelzelle zu erwirken. Seit etwa zehn Tagen gab es aber kein Lebenszeichen mehr von dem Reporter, der im berüchtigten Gefängnis El Helicoide des venezolanischen Geheimdienstes Sebin in Caracas einsitzt.

Geradezu zynisch das Verhalten des Linkspartei-Politikers Andrej Hunko, der auf Twitter schrieb, El Helicoide sei „vergleichsweise komfortabel“; außerdem sei Six vielleicht ein „rechtsextremer Aktivist“ – implizit wollte der Linken-Politiker damit andeuten, dass Six womöglich zurecht im Gefängnis säße. Später nannte Hunko seine Aussagen „überspitzt“, distanzierte sich also halbherzig von den höhnischen Bemerkungen. Der Bundestagsabgeordnete gilt wie viele Linken-Politiker als Anhänger der venezolanischen Sozialisten, die vor zwanzig Jahren mit Hugo Chávez die Macht übernommen und unter seinem Nachfolger Maduro das Land zugrunde gerichtet haben.

Seit zwei Wochen ist Maduro in die Defensive geraten, denn nach Massenprotesten hat sich der Oppositionspolitiker Juan Guaido, der Präsident der demokratisch legitimierten Nationalversammlung, zum Gegenpräsidenten ausgerufen. Die USA und zwanzig weitere Länder unterstützen Guaido, Moskau und Peking sowie Kuba stehen hinter Maduro. Aus der Türkei rief Erdogan ihm zu: „Bruder Maduro, bleibe hart, wir sind mit dir.“

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Wie brutal das sozialistische Regime gegen Oppositionelle und die Bevölkerung vorgeht, hat der Journalist Wolfram Weimer kürzlich geschildert, der sich vor allem auf Berichte des UN-Menschenrechtskommissars stützt: Dessen jüngster Report von 2018 nennt die Zahl von mindestens 12.320 willkürlichen Internierungen, darunter Kinder, in Venezuela. Das Regime wendet systematisch Folter an. „Die dokumentierten Misshandlungen und Foltern umfassen Elektroschocks, schwere Schläge, Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt, Erstickungen mit Plastiksäcken“, heißt es im Bericht des Hochkommissars. Derzeit sitzen laut Guaido mindestens 300 politische Gefangene in den Knästen des Karibiklandes. Im Gefängnis El Helicoide, das laut dem Linken-Abgeordneten Hunko „relativ komfortabel“ ist, stürzte vor einigen Wochen ein Oppositionspolitiker aus dem Fenster im 10. Stock in den Tod.

In dieser Woche wurden weitere Journalisten inhaftiert. Wie die Pressegewerkschaft SNTP meldete, wurden am Mittwochabend die chilenischen Reporter Rodrigo Pérez und Gonzalo Barahona sowie die Venezolaner Maiker Yriarte und Ana Rodriguez in der Nähe des Präsidentenpalastes Miraflores ohne Angabe von Gründen verhaftet.
Der spanische Fernsehsender RTVE und andere Medien berichteten, es seien sogar „sieben bis acht“ Journalisten in Caracas festgesetzt worden, darunter drei Mitarbeiter der spanischen Nachrichtenagentur efe und zwei Franzosen.

Maduro kann sich bislang noch auf das Militär stützen. Dabei muss man bedenken, dass in der venezolanischen Armee mehrere tausend „Sicherheitsberater“ aus Kuba tätig sind. Venezuela schickte Havanna jahrelang verbilligtes Öl, dafür sandte Kuba Ärzte, Lehrer – und eben auch Geheimdienstspezialisten, die wissen, wie man eine Diktatur errichtet und Oppositionelle mundtot macht. Dass die Armeeführung zu Maduro hält, liegt auch daran, dass die Generäle (angeblich fast 2.000) von den Sozialisten ernannt wurden und mit der Führung der Staatskonzerne und wohl auch mit Schmuggel und teils Drogengeschäften viel Geld verdienen. Sie haben viel zu verlieren, käme es zum Regimewechsel. Und Offiziere genießen Privilegien, während das gemeine Volk hungert. Der Reporter Billy Six hatte vor Ort über die Zustände recherchiert, dabei kam er ins Fadenkreuz der Geheimdienstleute. Möglicherweise wurde ihm auch zum Verhängnis, dass er kein gültiges Journalisten-Visum vorweisen konnte.

Sein Schicksal hängt nun auch vom Verlauf der großen politischen Ereignisse ab. Falls Maduro stürzt oder Neuwahlen verliert und die Opposition die Macht übernimmt, dürfte Six schnell freikommen. Falls sich Maduro hält, könnte Six noch lange im Gefängnis bleiben. Im Extremfall sollen ihm laut venezolanischem Gesetz 28 Jahre Haft drohen, hieß es. Mehr öffentlicher Druck aus Deutschland wäre aber in jedem Fall wünschenswert und könnte ihm helfen.