Tichys Einblick
DUDA ODER TRZASKOWSKI?

Eine zukunftsweisende Stichwahl

Wenige Tage vor dem zweiten Präsidentschaftswahlgang in Polen zeichnet sich den Umfragen zufolge ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Andrzej Duda und Rafał Trzaskowski ab.

Am Sonntag sind mehr als 30 Millionen polnische Staatsbürger dazu aufgefordert, in einer Stichwahl ihren Präsidenten zu wählen. Nachdem vor zwei Wochen beim ersten Durchgang neun Mitbewerber die Segel streichen mussten, waren die beiden verbliebenen Kandidaten in den letzten Tagen im ganzen Land auf Stimmenfang unterwegs. Kurz vor der traditionellen „Wahlkampfstille“ sah eine Umfrage des regierungskritischen Nachrichtenportals OKO.Press den konservativen Amtsinhaber Andrzej Duda knapp vorne.

Für den 48-jährigen Oppositionspolitiker Rafał Trzaskowski darf bereits das Erreichen der Stichwahl als großer Erfolg gewertet werden. In den vergangenen Jahren hat eine Reihe von Affären das Vertrauen in die links-liberale Bürgerplattform (PO) erschüttert und der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) immer wieder neue Munition geliefert. Im Jahr 2014 hat ein handfester Abhörskandal den Blick darauf freigelegt, dass die Ursachen der PO-Krise tiefgreifender waren als bis dahin vermutet. Auch auf lokaler Ebene hat sich die Partei des früheren Ministerpräsidenten Donald Tusk immer wieder neuen Unmut zugezogen. Eine Schattenbank in Gdańsk brachte mehrere Tausend Kunden um ihr Hab und Gut. Die sog. „Reprivatisierungsaffäre“, in der sich die Aneignung kriegsbedingt herrenloser Häuser als Freibrief zum Betrug entpuppte, hängt der in Warschau regierenden PO bis heute nach.

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Die frühere Bürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz geriet deshalb ins Fadenkreuz einer parlamentarischen Untersuchungskommission. Ihr Nachfolger Trzaskowski gehörte schon damals zu ihren engsten Mitarbeitern. Die gewaltsame Übernahme einer Warschauer Redaktion, die 2014 einige Personen aus den Regierungskreisen bloßstellte, hat den Absturz der in Selbstfindung verstrickten PO nur noch beschleunigt und schließlich die PiS an die Macht gebracht. Die regelmäßige Nobilitierung von Alt-Kommunisten, mit denen Trzaskowski auch heute noch den Schulterschluss sucht, haben zusätzlich viele Wähler vergrault. Dennoch ist es ihm gelungen, seiner an eigenen Problemen erstickten Partei wieder Sauerstoff zuzuführen und die vorher in den Umfragen prognostizierte direkte Wiederwahl Dudas zu verhindern.

Dabei schien noch im April der „Duda-Zug“ unaufhaltsam voranzupreschen. Doch dann kam Corona. Im politischen Warschau entfaltete sich daraufhin ein unerbittlicher Streit darüber, ob die Präsidentschaftswahlen wie geplant am 10. Mai stattfinden sollen. Die PiS-Regierung schlug damals eine Briefwahl vor, die während der Pandemie auch in Bayern oder etwa in Südkorea mit Erfolg durchgeführt wurde. Die Opposition versuchte dennoch eine Wahlverschiebung zu erzwingen. Der Senatsmarschall Tomasz Grodzki (PO) sprach allen Ernstes von „tödlichen Briefumschlägen“, welche die Gesundheit der polnischen Wähler in akute Gefahr brächten.

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Die Wahl wurde letztlich auf den 28. Juni verschoben, weil sich plötzlich auch in der PiS parteiinterner Widerstand regte. Die Bürgerplattform nutzte die Chance, um ihre bis dahin erfolglose Kandidatin auszuwechseln. Małgorzata Kidawa-Błońska, die wegen der Corona-Krise zum Wahlboykott aufrief und sodann in den Umfragen prompt unter 5 Prozent rutschte, wurde im Mai durch Trzaskowski ersetzt. Obgleich der PO-Vize schon früher wichtige Ministerposten in der kompromittierten Tusk-Regierung innehatte, verkauft er sich heute geschickt als „frisches“ Gesicht und „makelloser“ Hoffnungsträger. Nicht zuletzt auch deshalb, weil ihn seit seinem Sieg bei den Lokalwahlen 2018 der Mythos des unbeugsamen Kämpfers umgibt, der als einziger die PiS seit ihrem Regierungsantritt in die Schranken wies.

Die Legende von den Großstädten sowie deren Funktion als „demokratische Bollwerke“ hält sich seitdem hartnäckig. Dabei hat der erste Wahlgang vor zwei Wochen die Mythenschöpfer Lügen gestraft. Anders als bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2015 schaffte es Andrzej Duda diesmal, auch große Metropolen wie Rzeszów, Lublin, Kielce oder Białystok zu erobern. Trzaskowskis Erfolg ist eher darauf zurückzuführen, dass er eine politische Wendigkeit an den Tag legt, die man zuvor allenfalls Donald Tusk zugeschrieben hatte.

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Im Streit um das Thema LGBT fordert er zwar mehr Rechte für sexuelle Minderheiten, aber kein Adoptionsrecht für homosexuelle Paare. Zuvor hat sich jedoch sein Stellvertreter im Warschauer Rathaus für ein solches ausgesprochen. Auch seine Sympathie für die Flüchtlings- und Geldpolitik der EU überging Trzaskowski im Wahlkampf mit dem Schweigen der Barmherzigkeit. Um zu gewinnen, musste er nämlich ebenfalls in dem EU-skeptischen Becken des Nationaldemokraten Krzysztof Bosak fischen, mit dem er seine vermeintlichen „wirtschaftsliberalen“ Gemeinsamkeiten betonte.

Auf seinen Wahlveranstaltungen erging sich Trzaskowski in konzilianten Absichtserklärungen und versuchte somit enttäuschte PiS-Wähler zu erreichen. Die Verärgerung über Journalisten, die ihm unbequeme Fragen stellten, wusste er mit dem Gedanken zu zügeln, dass er am Ende vielleicht doch am längeren Hebel sitzt. Zu einer scharfen Replik ließ er sich nur dann hinreißen, wenn er zu den PiS-Reformen befragt wurde. Er werde diese „mit dem heißen Eisen ausbrennen“, so der PO-Politiker. Dies gelte wohl auch für andere ambitionierte Pläne der Konservativen. So versicherte Trzaskowski vor einigen Monaten, Polen brauche keinen eigenen modernen Flughafen, weil es doch bald einen neuen in Berlin gebe.

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Aber auch Duda ist niemand, der seine Worte hütet. Vor den Tuchhallen in seiner Heimatstadt Krakau sagte er, die Bürgerplattform sei langfristig gesehen „weitaus schlimmer als die Pandemie“. Zu dem TV-Duell mit dem amtierenden Präsidenten ist der Herausforderer Trzaskowski nicht erschienen. Stattdessen hat er eine gesonderte Pressekonferenz anberaumt. Als der Warschauer Bürgermeister von einem der Journalisten gefragt wurde, ob er auch noch nach der Präsidentschaftswahl zu seinen wortreichen Versprechen stünde, entfuhr ihm die Aussage: „Mit Sicherheit, aber es kann sich auch etwas ändern“.

Trotz dieser politischen Inkonsequenz und der zahlreichen Skandale in seiner Partei hat Trzaskowski dennoch berechtigte Hoffnungen, die Stichwahl für sich zu entscheiden. Vermutlich auch deswegen, weil er auf das ganze mediale Waffenarsenal westlicher EU-Länder zählen darf, zumal in Deutschland. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA liegen die Sympathien der Deutschen und vieler in der BRD lebenden Polen deutlich bei dem linken PO-Kandidaten. Dies ist das Ergebnis einer seit Jahren höchst einseitigen Osteuropa-Berichterstattung. Duda hat sich im Wahlkampf wiederholt kritisch über den Einfluss deutscher Medienkonzerne auf die Politik in Polen geäußert.

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