Tichys Einblick
Drohende Lebensmittelkrise

Ohne Dünger droht der Welt die Nahrungsknappheit

Während die Bundesregierung daran festhält, vier Prozent der Ackerflächen brachliegen zu lassen, führt der explodierende Preis für Dünger dazu, dass immer mehr Bauern in der Dritten Welt einen Nahrungsmittelengpass befürchten. In der nächsten Saison könnten Lebensmittel für bis zu 500 Millionen Menschen fehlen.

Ein Bauer im ägyptischen Manufia bringt die Ernte ein. Das Land mit seinen rund 100 Millionen Einwohnern war über Jahrhunderte die Kornkammer des Mittelmeeres - und ist heute auf Weizenimporte angewiesen.

IMAGO / Xinhua

Nicht erst mit dem Beispiel Sri Lanka hat das Thema des „biologischen“ Anbaus im Gegensatz zur „chemischen“ Landwirtschaft an Aktualität gewonnen. Nicht nur in vielen Industrieländern hat sich in den letzten Jahren oder Jahrzehnten der Trend durchgesetzt, freiwillig die Erträge zugunsten der Bio-Landwirtschaft runterzufahren. Die Folgen dieser Politik zeigen sich bisher nur ansatzweise. Dass die Welt damit wieder anfälliger für die Auswirkungen von Missernten wird, ist nur ein Faktor, der sich schon Anfang der 2010er Jahre andeutete.

Doch mittlerweile lautet die Frage nicht mehr allein, ob die Anbauländer auf Dünger setzen wollen oder nicht; die Situation hat sich aufgrund multipler internationaler Faktoren so verkompliziert, dass sich mehr und mehr die Frage stellt, ob die Bauern noch auf Dünger zurückgreifen können. Was in Deutschland zu Preiserhöhungen führt, bedeutet für ganze Erdteile ökonomische und wirtschaftliche Instabilität. So hat Bloomberg in einem kürzlich erschienen Artikel davor gewarnt, dass die Welt sich womöglich bald nicht mehr selbst ernähren könnte.

Erwartete Ertragsausfälle von bis zu 15 Prozent

Das Beispiel Brasilien zeigt, dass die Verringerung des Kalidüngereinsatzes zu einem Ertragsrückgang von 14 Prozent führen könnte. Brasilien ist der weltweit größte Sojaproduzent, an dem internationale Lieferketten hängen. In Costa Rica könnte ohne Düngereinsatz die Kaffeeproduktion um 15 Prozent zurückgehen, in Westafrika droht sich die Reis- und Maisernte um ein Drittel zu verringern. „Wahrscheinlich werden die Bauern genug anbauen, um sich selbst zu ernähren. Aber die Frage ist, was sie haben werden, um die Städte zu ernähren“, sagte Patrice Annequin, ein leitender Spezialist für Düngemittelmärkte beim IFDC in der Elfenbeinküste.

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Damit legt Annequin den Finger in die Wunde. Für die Bewohner in Großstädten und Metropolen erscheint der Düngermangel als theoretisches Problem. Doch sie werden die ersten Betroffenen sein, sollten die Erträge gering bleiben. Zitat Bloomberg: „Selbst im harmlosesten Szenario werden die steigenden Preise für synthetische Nährstoffe in den Industrieländern über Monate oder sogar Jahre hinweg zu geringeren Ernteerträgen und höheren Lebensmittelpreisen für alles von Milch über Rindfleisch bis hin zu verpackten Lebensmitteln führen.“ Was das für Entwicklungsländer bedeutet, kann sich jeder selbst ausrechnen.

In den letzten Jahren hatten insbesondere Öko-NGOs Einfluss auf Regierungen und Bauern in der Dritten Welt genommen, um ihnen den „ökologischen Weg“ schmackhaft zu machen. Doch das Nudging in Richtung Düngerverzicht erledigt sich mittlerweile selbst. Ein Landwirt in den Philippinen sagt stellvertretend für seinen Berufsstand, dass er den Einsatz von Düngemittel in diesem Erntezyklus reduzieren müsste – er könne sich die „astronomischen Preise“ schlicht nicht mehr leisten. Ein brasilianischer Kollege erklärt: „Wenn Düngemittel teuer sind, werden wir weniger Dünger verwenden. Wenn wir weniger verbrauchen, werden wir weniger produzieren. Die Lebensmittelpreise werden steigen und alle werden darunter leiden.“

Ein Sack Harnstoff für 57 Dollar

Die Kosten für synthetische Nährstoffe sind allein in Nordamerika mittlerweile dreimal so hoch wie vor der Corona-Krise. In Ländern wie Kenia liegen sie 70 Prozent höher als im Vorjahr. Dort sei der Dünger zwar „lokal“ verfügbar, aber für die Landwirte mittlerweile unerschwinglich. Selbst wenn sie ihn kaufen könnten: Viele Landwirte rechnen damit, dass sie die Kosten nicht mehr decken könnten.

Hinter der Kostenexplosion verortet Bloomberg eine ganze Reihe von Faktoren. Der Hauptrohstoff für einen Großteil des weltweiten Stickstoffdüngers ist Erdgas. Sanktionen gegen einen weißrussischen Düngerlieferanten und die Abbindung eines Fünftels der weltweiten Nährstoffexporten durch den Ukraine-Krieg wirken wie ein Brandbeschleuniger. Doch auch Stürme an der US-Golfküste, die die Produktion in der Region behindert haben, haben ihren Anteil an der Verknappung. Zugleich sind die Auswirkungen der Corona-Krise spürbar, in der die Produktion heruntergefahren und Lieferketten unterbrochen wurden.

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Demnach wäre wohl auch ohne Ukraine-Krieg – ähnlich wie bei der Energiekrise – eine Verringerung aufgetreten, aktuelle Ereignisse verschlimmern sie lediglich. Der weltweit größte Phosphatproduzent China hat seine Auslieferungen mittlerweile beschränkt und die Krise damit verschärft. Für Entwicklungs- und Schwellenländer steigt damit das Risiko von Hungersnöten und politischen Krisen. In den Philippinen kostet ein Sack Harnstoff derzeit 57 Dollar; hier rechnet man mit Ernterückgängen von rund 10 Prozent. In Peru gibt es ein Defizit von 180.000 Tonnen Harnstoff, die Produktion von Reis, Kartoffeln und Mais könnte um bis zu 40 Prozent zurückgehen.
In Afrika droht ein Nahrungsmittelengpass für 100 Millionen Menschen

Sollten sich die Prognosen bewahrheiten, dann könnten in der nächsten Saison 36 Millionen Tonnen Reis weniger zur Verfügung stehen – genug, um 500 Millionen Menschen zu ernähren. In den subsaharischen Gebieten Afrikas könnte die Produktion von Lebensmitteln um etwa 30 Millionen Tonnen zurückgehen, dem Nahrungsbedarf von 100 Millionen Menschen. Das sind übrigens Voraussagen, die vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine gemacht wurden.

Selbst in den USA gibt es Sorgen, dass die Weizenernten schlechter ausfallen als in den Vorjahren. So hätten viele Landwirte es versäumt, den Stickstoff anzubringen, als der Weizen aus der Winterruhe kam. Dies könnte den Proteingehalt des Getreides beeinträchtigen und zu einer „niedrigeren Weizenklasse“ führen. Die Auswirkungen auf den US-Export kann noch nicht beziffert werden. Dass Lebensmittel sich in den kommenden Jahren verteuern werden, ist auch ohne Inflation deswegen beschlossene Sache.

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Zwar versuchen die Landwirte entgegenzusteuern. Diejenigen, die vor dem Preisanstieg Dünger ergattern konnten, gehen mit diesem strategischer um, indem sie ihre Böden testen. Statt großzügige Schätzungen abzugeben, bringen sie so viel Dünger aus, wie nötig ist. Bei hohem Phosphor- oder Kaliumgehalt ist keine Düngung nötig. Diese „Präzisionslandwirtschaft“ ist zwar in einigen Ländern bereits seit Jahrzehnten üblich, aber keine globale Praxis. Andernorts verzichten die Bauern auf Pflanzen wie Mais und bauen Bohnen an. Organischer Dünger wie Klärschlamm oder Kompost gewinnt zugleich wieder an Bedeutung.
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Die Frage bleibt offen, ob diese Ansätze helfen, um einem seit Jahren laufenden Trend entgegenzusteuern. Die globale Landwirtschaft hat in der Theorie die Mittel, um auch eine wachsende Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die „Grenzen des Wachstums“ sind ideologisch selbst gemacht. Sie könnten für Teile der Erde zur existenziellen Gefahr werden – mit Auswirkungen, die durch Bürgerkrieg, kollabierende Produktionsketten, Rohstoffengpässe und Migration auch auf den Westen zurückgeworfen werden.

In Deutschland hat man diese Zeichen der Zeit offenbar nicht erkannt. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hält daran fest, dass ab 2023 vier Prozent der Ackerflächen brachliegen sollen. Das ist angesichts der internationalen Verstrickungen aber längst keine nationale Frage mehr. Die Grünen sprechen von der Verantwortung in der Welt, handeln aber agrarpolitisch wie Nationalisten. Deutschland trägt mit seiner Öko-Politik seinen Teil zur sich verschärfenden Lebensmittelkrise bei.

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