Tichys Einblick
Maske auf und durch

Madrid startet wieder mit Präsenz-Messen

Ganz Europa schaut auf die spanische Hauptstadt, die in der Pandemie erneut für Schlagzeilen sorgt. Der größte Messenveranstalter des Landes öffnet.

IMAGO / Lagencia

Der Kampf zwischen Katalonien und Madrid um die ausländischen Investoren ist bekannt. Im Moment gewinnt die spanische Hauptstadt den Wettbewerb jedoch eindeutig. Nicht nur wegen der für viele gefährlichen katalanischen Separatisten-Regierung, die seit Jahren trotz aller ökonomischen Nachteile weiter an der Unabhängigkeit von Spanien festhält, sondern auch wegen der mutigen Madrider Öffnungsstrategie in dieser Pandemie.

Die auch deswegen umstrittene Regionalpräsidentin Isabel Ayuso setzt seit vergangenem Herbst auf einen eigenen Weg aus der Gesundheitskrise, der die Gastronomie und den Einzelhandel aufatmen lässt und ihr bei den gerade angekündigten Neuwahlen im Mai Stimmen verschaffen dürfte. Ärzte und Virologen schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, weil sie alles anders macht als der Rest, und die Inzidenzzahlen im Vergleich zu Deutschland immer noch hoch sind.

Während Italien und Frankreich über neue Restriktionen nachdenken, lässt Spanien dagegen wieder massiv Touristen ins Land, obwohl rund 14.000 Menschen bisher allein in der Hauptstadt an oder mit dem Virus starben, landesweit sind es nach offiziellen Angaben rund 73.000.

Madrids zahlreiche Luxushotels brauchen die Touristen

Auch die Eventbranche kommt nach einem Rekordjahr 2019 in Madrid langsam wieder ins Rollen. Die ersten Kongresse und Konferenzen stehen wieder auf dem Programm. Hotels wie das gerade geöffnete „Four Seasons“ freuen sich auf Gäste. Seit Monaten stehen sie leer, viele haben zu oder ihre Zimmer kurzfristig in Luxus-Appartements umgewandelt. Ayuso, die selbst im vergangenen Jahr am Virus erkrankte, unterstützt trotz aller Kritik die Strategie der Messeorganisation Ifema, jetzt als erste in Europa wieder Präsenzmessen zuzulassen.

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Zunächst fand das nationale Treffen am 22. März von Gastronomen und Barbesitzern während der „Hospitality Innovation Planet“ statt. Im Mai wird auch international wieder geöffnet mit der Tourismus-Messe Fitur, für die nach Aussagen von Ifema bereits 70% der Aussteller von 2019 ihre Zusage erteilt haben. Bei der letzten Edition kamen rund 120.000 Besucher aus aller Welt. Madrid braucht Touristen und wagt deswegen den Sprung ins kalte Wasser. „Auch um unsere Mitarbeiter aus der Kurzarbeit zu holen“, sagt Eduardo López-Puertas, Ifema-Geschäftsführer im Interview (siehe unten).

Mit der ersten Messe im März traten 40 Personen wieder ihren normalen Arbeitsalltag an. Anfang April sollen 90 Prozent der Belegschaft folgen und einen Monat später soll Ifema wieder auf Hochtouren laufen. Ifema hatte 2019 noch 61 Messen selbst ausgerichtet und hatte bis dahin neben den deutschen Messe-Standorten einen festen Platz in der Agenda zahlreicher Firmen hat. Das kulturelle und gastronomische Angebot der Stadt, das Wetter und die Sicherheit auf den Straßen macht Madrid zu einem der attraktivsten Messe-Orte in Europa.

„Wir werden die Besucherzahlen reduzieren und von allen einen negativen Test verlangen“, kündigt López-Puertas als Schutzmaßnahmen an. Bei der Messe zu Anfang dieser Woche wurden nur die rund 300 Aussteller und Service-Mitarbeiter von Ifema und den Restaurants verpflichtet, sich testen zu lassen. Ansonsten sollten strikte Hygiene, Abstand, Fiebermessen am Eingang und hochmoderne Belüftungskontrollen für Sicherheit sorgen. Aber es bleiben viele Zweifel, weil die Inzidenz-Zahlen in Spanien teilweise wieder leicht ansteigen.

Dennoch: Die Effizienz dieser Protokolle und seine enormen Organisationskapazitäten hat Ifema nicht nur bei der ad hoc Ausrichtung der Klimakonferenz COP 25 bewiesen, die im Dezember 2019 kurzfristig von Chile nach Madrid verlegt wurde, sondern auch vor einem Jahr, als die Hallen in ein Krankenhaus umgewandelt wurden, weil das Gesundheitssystem der Hauptstadt unter den hohen Infektionszahlen kollabierte.

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Aber die Virologen warnen, dass es bald wieder so weit kommen könnte. Denn das Drama von vor einem Jahr, bei dem in kurzer Zeit Tausende Menschen in Madrid an Covid-19 starben, entstand wegen der laxen Umgangsweise im Februar und Anfang März, als Europa bereits begann Messen und Events abzusagen. Spanien ließ dagegen nicht nur Frauendemos am 8. März im ganzen Land zu, sondern sagte auch die internationale Kunstmesse ArcoMadrid nicht ab. „Es ist ohne Frage ein kritischer Moment, aber irgendwann müssen wir den Schritt zurück wagen“, sagt López-Puertas.

Barcelona dagegen ist noch vorsichtig, was Massenevents betrifft. Die „Fira de Barcelona“ startet erst Ende Juni mit dem „Mobile World Congress“ die Präsenz-Aktivitäten. Einige Events wie die „Alimentaria“ wurden bereits vorsichtshalber auf 2022 verlegt. „Das meiste Geld mit Messen wird in Madrid gemacht, auch wenn Katalonien mehr Besucher empfängt. Der frühe Start der Ifema wird den Abstand verstärken“, ist sich der Ökonom Juan Carlos Martínez von der IE Business School in Madrid sicher. 4,3 Mrd. Besucher kamen 2019 auf das Ifema-Gelände im Norden der Stadt, das schon in vieler Hinsicht Geschichte gemacht hat. Im März 2004 wurden aus der Messe Leichenhallen für die Opfer der Terror-Anschläge auf die Nahverkehrszüge. Jetzt soll hier der Startschuss fallen, den spanischen Kongress- und Event-Tourismus wieder anzutreiben.

Abhängigkeit vom Tourismus – nicht nur an den Küsten

Spaniens BIP hängt zu 12 Prozent vom Geschäft mit den Touristen ab. Weltweit liegt das Land nach Berechnungen der ICCA auf dem vierten Platz der Messe-Standorte. Es geht in der Branche jedoch die Angst um, dass sich Branchentreffs dieser Größenordnung langfristig reduzieren könnten, weil es 2020 auch ohne Messen für viele Firmen gut weitergegangen ist oder einige Sektoren derzeit so angeschlagen sind, dass sie die Kosten für Stand und Promotion, für Hotels und Flieger nicht tragen wollen. Die deutsche IT-Traditionsmesse CeBit wurde schon vor der Pandemie von der Agenda gestrichen, weil die Firmen keinen Nutzen mehr darin sahen. Schnelle Datennetze machen auch virtuelle Treffen möglich wie die Pandemie zeigt.

„Die Organisatoren von Veranstaltungen sind dabei, ihr altes Geschäftsmodell zu überdenken. Tatsächlich hat sich gezeigt, dass es nicht mehr genügt, Quadratmeter zu kaufen. Viele der spanischen Veranstalter ergreifen jetzt die Chance, neue Geschäftsperspektiven zu entwickeln“, erklärt Baptiste Boulard, Mitbegründer des Event-Unternehmens Swapcard. Allerdings sind nicht alle Optimisten: „Von meinen Kunden wird niemand zur Fitur 2021 kommen, was auch daran liegen dürfte, dass die Gebühren und Kosten nicht gesenkt wurden, obwohl es immer wieder diese Unsicherheit gibt, dass am Ende alles abgesagt wird“, berichtet der Chef der Madrider Event- und Beratungsagentur Lime-xl, Joaquín Gómez: „Ich halte Präsenz-Messen in diesem Jahr noch für schwierig“, sagt der in Deutschland aufgewachsene Marketingexperte.

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