Tichys Einblick
Italien: Mehr Flüchtlingsboote, mehr Tote?

Vom Angeklagten zum Ankläger – Matteo Salvini verteidigt Innenminister und Küstenwache

Klare Worte zum Flüchtlingsdrama an der Südküste Italiens fand neben Ministerpräsidentin Meloni auch der Innenminister Matteo Piantedosi, die ihm nun seit Tagen um die Ohren fliegen. Der frühere Innenminister Matteo Salvini kennt das nur zu gut. Er sprang ihm zur Seite und verteidigt auch die Küstenwache gegen Kritik.

Matteo Salvini, 13. Februar 2023

IMAGO / ZUMA Wire

Gerade mal eine Woche alt ist die erneute Flüchtlingstragödie: eine von vielen. Aber die Diskussionen in Italien, auch angefacht von der linken Community um die Sozialisten der Partito Democratico (PD), reißen nicht ab – allein in der EU hält man sich etwas zurück mit Schuldzuweisungen, im Wissen, dass man eine gehörige Verantwortung für das Dilemma der Anlandungen mit illegalen Migranten mitträgt. Seit Jahren schon schlägt das Land des Stiefels Alarm, besonders auch viele Bürgermeister südlicher Hafenstädte.

Das Drama der vergangenen Woche an der Südküste Italiens kostete über 60 Menschen kostete das Leben, darunter auch Frauen und Kinder. Schlechtes Wetter und eine stürmische See machten Rettungsaktionen schwierig bis unmöglich. Zeugenaussagen zufolge befanden sich bis zu 200 Migranten auf dem Boot, das in der Türkei abgelegt hatte. Über 100 Personen wurden bisher gerettet.

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Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni machte einmal mehr unmissverständlich klar: Dem Problem der Massenmigration über das Meer müsse sich die EU so schnell wie möglich annehmen. Die EU müsse nicht nur die Aufgaben, sondern auch die Migranten adäquat verteilen. Zudem, und das klang nach Unterstützung für Innenminister Matteo Piantedosi, müssten aus Europa entsprechende Signale in die Türkei und in die Ablege-Staaten generell gesendet werden: Ihr riskiert Euer Leben, wenn Ihr Menschenhändlern und Schleusern vertraut. Denn auch auf diesem Boot, mit vielen Menschen aus Afghanistan, Pakistan und Bangladesch, zahlten die Passagiere und Familienverbände bis zu 8000 Euro.

Klare Worte zum Flüchtlingsdrama fand auch Innenminister Matteo Piantedosi, die ihm nun seit Tagen um die Ohren fliegen – die aber bei vielen Menschen auch Zuspruch fanden: „Es ist wieder ein trauriger Tag, aber auch eine Hoffnungslosigkeit“, das rechtfertige nicht, „…dass sich Menschen mit ihren Kindern auf eine gefährliche Reise mit ebenso viel Risiko“ begeben würden. Man arbeite an Lösungen eines internationalen Problems, so Matteo Piantedosi, und man müsse das Signal senden: Legt nicht ab, geht nicht auf diese Boote von Schleusern und Schleppern. Genauso müsse man vor Ort helfen, und die Türkei solle ebenfalls ihrer Verantwortung gerecht werden, dafür bekomme sie viele Milliarden Euro Hilfe aus der EU.

Immerhin, unter den geretteten Geflüchteten waren auch Zeugen, die eindeutige Hinweise geben konnten, dass vier Schlepper ihre Flucht schnell vorbereitet hätten, darunter ein Türke, zwei Pakistaner und ein Syrer, zwei von ihnen wurden bereits ausfindig gemacht.

Vertreter von Ärzten ohne Grenzen stießen dagegen ins gleiche Horn wie Italiens linke Politiker: Die Worte von Innenminister Piantedosi seien ein Schlag ins Gesicht der Opfer und Hinterbliebenen. Ja, unmenschlich und zynisch seien sie.

Die PD, mit der neuen Vorsitzenden Elly Schlein, intrumentalisierte hemmungslos die über 60 Todesopfer und forderte eine absolute Umkehr der Restriktionen (wobei die Regierung Meloni mit Piantedosi noch gar nicht alle Gesetze umgesetzt habe – Salvinis Gesetze unter und mit Giuseppe Conte, anno 2019 bis 2020, waren wirklich eindeutig: die Porti Chiusi, geschlossene Häfen) und natürlich ein offenes Italien mit schnelleren Einbürgerungen. Signale also, die noch mehr illegale Migration befördern würden.

Derweil muss sich natürlich auch die Staatsanwaltschaft auf die Suche von Indizien und Beweisen machen – momentan schieben sich Grenzschützer, Beobachter zu Wasser, Frontex, sowie die Guardia Costiera, Küstenwache, gegenseitig die Verantwortung zu. Die einen sahen zwar ein überfülltes Boot, so Frontex, aber ohne eindeutig Alarm geschlagen zu haben, und wenn, dann viel zu spät. Die italienische Küstenwache hingegen fuhr zu mehreren Patrouillen hinaus, rettete zur nächtlichen Stunde, wie es eben nur ging, wurde aber zurückkommandiert, weil die Wellen zu hoch, das Meer zu unruhig gewesen sei – man wollte keine Menschenleben, auf beiden Seiten, riskieren.

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Italiener, Menschenaktivisten und Politiker kritisieren nun lautstark und Konsequenzen fordernd Innenminister Piantedosi sowie die Küstenwache. Einer, der diese Anschuldigungen und Anklagen selbst schon kennt und sich mehrmals (erfolgreich) vor Gericht zur Wehr setzen und verteidigen musste, ist Matteo Salvini, ehemals auch Innenminister, nun unter Giorgia Meloni Minister für Verkehr und Infrastruktur. So sprang Salvini dem anderen Matteo – Piantedosi – auch schnell zur Seite. Man kenne das Problem in Europa seit Jahren. Italien werde absichtlich allein gelassen. Man befördere sogar die illegale Migration, so Salvini – und wies auf seine Zeit als Innenminister hin, in der den echten Flüchtlingen immer geholfen, aber die illegale Migration eingedämmt wurde. In seine Zeit fiel auch die niedrigste Zahl der Toten auf der Mittelmeerroute: über 200 Prozent weniger ankommende Boote und damit auch viel weniger Ertrunkene.

Klar, die Non-Profit-Organisationen zu Wasser, NGOs, schimpften und verfluchten, ja, zeigten Salvini und Italiens Regierung an, aber es galt als ausgemacht, besonders bei den Schleusern in Nordafrika und in Libyen, dass man mit den NGOs gemeinsame Abkommen hatte – ja, man rechnete damit und erhielt Zeichen, wo, welche NGO bereits warten würde. Komisch, auf der Route von der Türkei aus, war keine NGO-Barke zu sichten.

Jedenfalls diktierte Matteo Salvini in die Mikrofone und Notizblöcke der Journalisten: „Es ist schamlos, die Küstenwache und Matteo Piantedosi zu attackieren!“ Er, Salvini lasse es nicht zu, dass die Männer der Küstenwache verunglimpft würden nach alldem, was sie in den vergangenen Jahren unter dem Einsatz ihres Lebens (Carola Racketes Fall ist immer noch omnipräsent) geleistet haben. Kurz fasste es Matteo Salvini so zusammen: „Giù le mani dalla Guardia Costiera“ – Finger weg von den Beamten der Küstenwache!

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