Tichys Einblick
Die kleinen Boote aufhalten

Britische Regierung will Asylrecht einschränken und schneller abschieben

Ihre illegale Einreise soll Bootsmigranten am Ärmelkanal künftig den Eintritt in das britische Asylsystem verwehren. Auch eine Ansiedlung oder der Erwerb der britischen Staatsbürgerschaft wäre dann ausgeschlossen. Kritiker behaupten, London sei zu keinen Abschiebungen fähig.

Premierminister Rishi Sunak

IMAGO / ZUMA Wire

Am Dienstag will die britische Regierung neue Regeln zur illegalen Migration der Öffentlichkeit vorstellen. In der kommenden Woche soll der Gesetzentwurf dann im Parlament behandelt werden. Laut Presseberichten sollen aufgegriffene Migranten, die illegal in das Vereinigte Königreich einreisen, in Gewahrsam genommen und abgeschoben werden. Ein Asylantrag soll den illegalen Bootsmigranten nicht mehr möglich sein. Sie sollen vielmehr so bald wie möglich in ihr Herkunftsland oder ein sicheres Drittland – wie Ruanda – gebracht werden. Das gilt ausdrücklich auch für Familien. Die Migranten sollen zudem mit einer unbegrenzt gültigen Einreisesperre („life ban“) versehen werden, also nicht mehr rechtmäßig nach Großbritannien einwandern können.

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Das „Aufhalten der Boote“ ist eine der fünf Prioritäten von Premierminister Rishi Sunak. Der Sonntagsausgabe der Daily Mail sagte Sunak, er sei entschlossen, dieses Versprechen einzuhalten. Ein Regierungsmitarbeiter sagte der Times, es sei „schlimm genug, dass illegale Einwanderer unser Asylsystem missbrauchen, um ihre Abschiebung zu vereiteln“. Noch viel schlimmer sei aber, dass „sie sich hier dauerhaft niederlassen und einen Antrag auf Einbürgerung stellen können“. „Die Möglichkeit, sich in diesem Land niederzulassen und britischer Staatsbürger zu werden, ist kein Menschenrecht, sondern ein Privileg. Deshalb werden wir illegalen Migranten verbieten, jemals wieder nach Großbritannien zu kommen, nachdem wir sie abgeschoben haben.“ Die Kosten der neuen Politik werden bei drei Milliarden Pfund angesetzt – das entspricht etwa den jetzigen Kosten des britischen Asylsystems.

Das Innenministerium soll durch das geplante Gesetz dazu verpflichtet werden, illegale Migranten so schnell wie möglich zu inhaftieren und abzuschieben, wie zuerst der Telegraph berichtete. Dazu sollen die Rückführungsverfahren beschleunigt werden. Auch die Einspruchs- und Berufungsrechte von Migranten sollen eingeschränkt werden. So werde das Einspruchsrecht gegen Rückführungen „ausnehmend stark eingeschränkt“ werden. Man soll wohl verstehen, dass Berufungen die absolute Ausnahme bleiben sollen.

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Angesichts dieser Regelungen versteht sich von selbst, dass es für die illegalen Migranten keine Möglichkeit zur Ansiedlung oder zum Erwerb der britischen Staatsbürgerschaft geben soll. Allerdings will die Regierung zugleich neue „sichere und legale“ Wege zum Stellen eines Asylantrags schaffen, die vorerst noch im Dunkeln bleiben. Auf der Website der Regierung ist nicht mehr so sehr von „Asyl“ als vielmehr von „gewährtem Schutz“ die Rede, was semantisch in der Nähe liegen mag, aber nicht ganz identisch ist.

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Sollte das Gesetz vom Straßburger Menschenrechtsgerichtshof blockiert werden, der durch die britische Mitgliedschaft im Europarat noch immer für das Königreich gültige Urteile verkünden kann, will Sunak erwägen, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zu verlassen und die Zuständigkeit des Menschenrechtsgerichtshofes einzuschränken. Im vergangenen Juni hatte die einstweilige Verfügung eines einzelnen (!) Straßburger Richters in letzter Minute den geplanten Ausflug abgelehnter oder straffällig gewordener Asylbewerber nach Ruanda verhindert.

Die Zahl der in Großbritannien ankommenden Migranten hat sich seit 2019 stetig erhöht und lag im vergangenen Jahr bei 45.756. Das sind deutlich weniger, als 2022 in Deutschland ankamen, aber eindeutig zu viele aus Sicht der britischen Regierung. In der Tat weisen die Zahlen im neuen Jahr 2023 auf einen weiteren starken Anstieg der illegalen Migration auch in Großbritannien hin. Befürchtet wird eine Nahezu-Verdoppelung auf 85.000 illegal Einreisende.

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Die meisten Migranten kamen zuletzt aus Albanien, „einem sicheren Land“, und durchreisten selbstredend eine Reihe von „sicheren Ländern in Europa“, um zum britischen Kanal zu gelangen, wie Wissenschaftsminister George Freeman gegenüber Times Radio sagte. Der Staatsminister sagte, man müsse ein klares Signal senden, dass die Hotelunterbringung im gesamten Land aufhöre und das Untertauchen illegaler Migranten nicht hingenommen werde. In der Tat halten die angenommenen Asylanträge nicht ganz Schritt mit den wachsenden Aufgriffszahlen. Der Verdacht liegt nahe, dass viele illegal untertauchen.

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Kritiker haben Zweifel, dass die britische Regierung zu Abschiebungen in größerer Zahl in der Lage sein wird. Der Weg nach Ruanda sei durch mehrere Gerichtsurteile versperrt. Ein anderes sicheres Drittland könne London nicht vorweisen, und den Zugang zur Eurodac-Datenbank der EU, durch die sich Registrierungen in EU-Ländern nachweisen lassen, habe man durch den Brexit verloren. Die Grenzbehörden erwarten nun sogar einen Ansturm von Schleppern und illegalen Migranten, die versuchen, das Land sozusagen „in letzter Minute“ noch vor der Gesetzesänderung zu erreichen.

Eventuell werden aber nach Sunaks Nordirland-Deal mit der EU-Führung Abmachungen mit den europäischen Nachbarn leichter fallen. Angeblich führt die Londoner Regierung derzeit Gespräche mit verschiedenen europäischen Regierungen darüber, wie man sicherstellen kann, dass „Flüchtlinge“ im ersten sicheren Land bleiben, das sie erreichen. Besonders mit der französischen Regierung habe es nach der sogenannten Windsor-Einigung eine „Annäherung“ gegeben, wie wiederum der Staatsminister für Wissenschaft George Freeman sagte.

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