Tichys Einblick
Europol

EU-Terrorismus-Bericht – Der beständige Dschihad und eine gebrochene Welle

Im September 2019 warnte Europol vor einer internationalen »Welle« rechtsterroristischer Gewalt. Der nun veröffentlichte Terrorismusbericht wirft ein neues Licht: Die Bedrohung durch islamistische und linksextremistische Terrorakte ist deutlich größer.

imago Images/Belga

Die europäische Polizeibehörde Europol hat ihren Bericht zur Situation und Entwicklung des Terrorismus in der EU für das vergangene Jahr 2019 vorgelegt (»European Union Terrorism Situation and Trend report 2020«). Schon im Vorfeld gab es Streit um den Bericht. Im März hatte Nikolaus Fest, bis 2014 stellvertretender Chefredakteur der Bild am Sonntag und seit 2019 AfD-Abgeordneter im EU-Parlament, aus dem noch unveröffentlichten Dokument zitiert. Laut Fest gingen die beiden größten terroristischen Gefahren in der EU 2019 vom Islamismus und vom Linksextremismus aus. Dagegen seien die wenigen rechtsextremen Terrorakte tatsächlich »Anschläge verwirrter Leute, oftmals Waffennarren mit kruden Verschwörungstheorien«. Sogar »die rassistischen Passagen« der Bekennerschreiben entsprängen, so Fest, »einer generellen Wut auf die Welt« und dem »Gefühl, überall zu kurz gekommen zu sein«. Ein »festes Feindbild« gab es laut Fest nicht in diesen Texten.

Für die ARD griffen Georg Mascolo und der »Faktenfinder« Patrick Gensing die Aussagen Fests auf, die sie in ihrer Überschrift als »irreführend« bezeichneten. Die Gefährdung durch den Linksextremismus sei moderat, der Bericht betone dagegen »ausdrücklich die zunehmende Bedrohung durch Rechtsterroristen«, die sich im Verborgenen radikalisiert hätten. Nun ja, was im Verborgen geschieht, ist immer interpretierbar, man sieht es ja nicht. Der Dialog zwischen dem Abgeordneten und den Medienleuten zeigt, wie verschieden man Statistiken lesen und auswerten kann. Kurz zusammengefasst, hat Fest die Zahl der Anschläge als Maß genommen, während sich die »ARD-Faktenfinder« an der Einordnung von Europol und so an einem mutmaßlichen »Trend« orientieren.

Tatsächlich gab es EU-weit eine leichte Zunahme bei den rechtsterroristischen Taten: von einem Anschlag im Jahre 2018 auf sechs im Jahr 2019, von denen allerdings fünf scheiterten oder vereitelt wurden. In Italien ist die Zahl der rechtsgerichteten Terrorakte leicht angestiegen, in Frankreich haben sie dagegen stark abgenommen, in Deutschland sind die rechtsterroristischen Anschläge von niedrigem Stand auf Null gefallen. Es handelt sich also um einen Anstieg auf niedrigem Niveau, und insofern bleibt der Rechtsterrorismus – der Zahl der Anschläge nach – immer noch weit hinter dem islamistischen und linksextremen Terror zurück.

Die Theorie der internationalen »Welle«

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Woher nimmt die ARD aber die »ausdrückliche« Warnung vor dem Rechtsterrorismus? Denn diese Warnung mag aus dem Europol-Bericht schon irgendwie hervorgehen, »ausdrücklich« steht sie aber nicht in dem 98-Seiten-Dokument. Wie an dem Text Gensings und Mascolos deutlich wird, greift man an dieser Stelle großzügig auf einen »vertraulichen« Strategiebericht zurück, der schon im September 2019 dem Rechercheverbund aus WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung vorlag. Damals hatte Europol beklagt, dass viele »extremistische Aktivitäten« nicht als Terrorismus klassifiziert würden. Deshalb gebe es auch keine ausreichende Datengrundlage zum Rechtsterrorismus. Dazu fehlt es schon an einer einheitlichen Definition von Rechtsterrorismus oder rechtem Terror in den verschiedenen EU-Staaten. Aber Fest hat es gerade anders herum bewertet: Die bundesdeutsche Klassifizierung der Taten von Halle und Kassel wäre demnach korrekt und die Morde Taten von Einzeltätern. Terrorismus ist nach bundesdeutscher Auffassung eine »gruppenbasierte« Ausübung von Gewalt.

In ihrem offiziellen Bericht illustrierte die Europol-Direktorin Catherine de Bolle die angeblich wachsende Bedeutung des rechtsextremen Terrorismus anders. Kurz gesagt, ist ihr Argument jenes der »internationalen Welle«. 2019 gab es demnach eine »Welle rechtsgerichteter gewaltsamer Vorfälle«, zu denen de Bolle »die schrecklichen Angriffe in Christchurch (Neuseeland) und weitere in den USA« zählt. Zuletzt habe die Welle nun auch EU-Europa erreicht. Zum Hauptargument für die Wellen-Theorie wird aber eine zunehmende Vernetzung einer rechten Szene. Viele rechtsextremistische Gruppen in der EU seien nicht gewalttätig, trügen aber zu einem »Klima der Angst und Feindseligkeit gegenüber Minderheitengruppen« bei. Dies könne wiederum »die Schwelle für einige radikalisierte Einzeltäter« senken, die »in größere Online-Gemeinschaften« eingebettet seien. Wer von allen hat nun recht? Blicken wir auf die Zahlen.

Blick auf Zahlen und Fakten

Im Jahr 2019 starben zehn Menschen durch politisch motivierten Terror in der EU, 27 wurden verletzt. Die Definition des Terrorismus ist dabei durchaus anspruchsvoll. Nicht jede Gewalttat, die sich gegen zufällige Individuen oder eine ganze Gruppe von Menschen richtet, zählt dazu. Insgesamt gab es 119 Terrorangriffe, von denen die meisten scheiterten oder vereitelt wurden. Alles in allem waren es 26 linksextremistische, 21 islamistische, sechs rechtsextremistisch motivierte und drei Anschläge mit einem spezifischen Einzelanlass, die in dem Bericht nicht näher erläutert werden. Alle zehn Todesopfer gehen auf islamistischen Terrorismus zurück.

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Die Mehrheit der Attentate (57) gehörte noch immer in die Kategorie der nationalistischen und separatistischen Anschläge. Allerdings hat sich deren Zahl seit 2017 mehr als halbiert. Im Jahr 2019 gingen fast alle nationalistischen Attentate (bis auf zwei) auf republikanische Gruppierungen in Nordirland zurück. 2019 ist auch das letzte Jahr, in dem die Lage in Großbritannien Teil dieses Berichts war. Daneben werden die baskischen Freiheitskämpfer, die PKK und die tamilischen Befreiungstiger als »ethno-nationalistische oder separatistische Gruppen« genannt, die aber alle nicht mit Terrorakten in der EU aktiv waren. Es handelt sich stets um ethnische Gruppen, die sich von einem größeren Nationalstaat abspalten wollen.

Auffallend ist daneben der solide Kern der islamistischen und linksextremistischen Attentate, die über die Jahre hinweg in etwa gleichen Zahlen auftraten. Bei den islamistischen Attentaten ist festzustellen, dass im Vergleich zu den Vorjahren deutlich weniger von ihnen erfolgreich waren (nur noch drei), während die Zahl der vereitelten Anschläge sich auf hohem Niveau (um die 15 pro Jahr) stabilisiert hat. Man könnte also sagen, dass Polizei und Sicherheitsbehörden hier gute Arbeit leisten, was aber die Gefahr nicht vollständig bannen kann. 85 Prozent der dschihadistischen Terroristen waren männlich, aber auch acht muslimische Frauen wurden als Täterinnen erfasst. 70 Prozent waren zwischen 20 und 28, die jüngsten sogar 16 und 17 Jahre alt. 60 Prozent der islamistischen Täter stammten aus dem vom Angriff betroffenen Land.

Der links-anarchistische Terrorismus beschränkte sich fast vollständig auf die Südländer Griechenland, Italien und Spanien mit einer Festnahme in Österreich (verhaftet wurde ein türkischer Anarchist von der DHKP-C). Insgesamt kam es zu 26 Attentaten, von denen nur eines misslang. In Italien gab es eine Verdoppelung der linksterroristischen Anschläge auf 22. Noch stärker stiegen dort die Festnahmen linker Terroristen im Vergleich zu 2018 an (von acht auf 98).

Insgesamt erreichten die linksextremistischen Taten so erneut das Niveau von 2016 und 2017. Da scheint es irgendwie egal zu sein, ob der linke Terror nun »im Kontext von großen Treffen … wie G20« auftritt oder nicht, wie Mascolo und Gensing abwiegelnd bemerken. Linke und Anarchisten bevorzugen Bomben oder »improvised incendiary devices« (IID), also wohl Molotow-Cocktails oder andere brennende Objekte, und beschädigen damit vor allem Gebäude und Infrastruktur, meint der Bericht. Die eigentlichen Täter blieben meist unbekannt, nur namenlose Kollektive bekannten sich online zu den Taten. Die Texte sind primär in der Landessprache gehalten und werden nur gelegentlich ins Englische übersetzt. Der terroristische Linksextremismus ist ein seit vielen Jahren eingenistetes Phänomen.

Islamismus, Salafismus, Dschihadismus

Islamistische Gruppen oder Einzeltäter stellen nach wie vor die größte Bedrohung für die Länder der EU dar, wo es um Attentate mit Bomben und anderen Explosionskörpern geht. Diese Terroranschläge richten sich stets gegen zivile Ziele, meist gegen Orte, an denen viele Menschen zusammenkommen, wie Einkaufsstraßen, Konzerte und Kirchen. Die islamistischen Täter zeigen – neben den bekannten Messerangriffen – ein steigendes Interesse an Schusswaffen und Sprengstoff.

Insgesamt wurden drei islamistische Anschläge im Jahr 2019 vollendet, zwei davon durch Einzeltäter. Zehn Menschen verloren dadurch ihr Leben. Vier Attentate misslangen, 14 wurden verhindert. Bei ihnen handelte es sich naturgemäß eher um in der Gruppe geplante Attentate. Darunter war ein Anschlag auf eine belebte Einkaufsstraße in Lyon mit einem sogenannten »improvised explosive device« (IED), das zur Erhöhung seiner Tödlichkeit Metallteile enthielt. In Deutschland wurden am 30. Januar drei Iraker festgenommen, die mutmaßlich ein Bombenattentat planten. Im November wurden nochmals drei Männer in Offenbach und später ein 26-jähriger Syrer in Berlin verhaftet, die jeweils verdächtigt wurden, ähnliche Anschläge nach IS- Vorbild zu planen.

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Unter den ›erfolgreichen‹ Anschlägen sticht der vom 18. März 2019 im niederländischen Utrecht begangene hervor. Ein 37-jähriger Mann erschoss dort vier Menschen in einer Tram. Laut einem in einem gestohlenen Fluchtauto hinterlassenen Brief wollte der Täter Vergeltung für das Attentat von Christchurch üben: »Ich tue das für meine Religion. Ihr bringt Muslime um und wollt uns unsere Religion wegnehmen, aber ihr werdet keinen Erfolg damit haben. Allah ist groß.« Sein Bruder war zudem in der islamistischen Kalifats- oder Kaplan-Bewegung aktiv. Unbekannt blieb, ob auch der Verdächtige eine aktive Rolle in diesem Netzwerk gespielt hatte oder nur eine Randfigur war. Bis dahin war er den Behörden nur als ein manchmal gewalttätiger Missetäter, doch nicht als Extremist aufgefallen. Der IS bezog sich auf die Tat aus Utrecht in seinem wöchentlichen Newsletter. Der Täter wurde zwar zu Lebenslang verurteilt, das niederländische Gericht glaubte aber, dass er vor allem aus einer Persönlichkeitsstörung heraus und aus Frustration gehandelt habe. Die Interpretation seiner Lage durch die Linse der »racialisation« habe ihm eine neue Identität gewährt.

Der islamistische Terrorismus ist dabei sehr ungleich auf die EU-Länder verteilt, was angesichts demographischer Unterschiede nicht wirklich verwundert. Manche Staaten berichteten keine Aktivität, andere ein unvermindert hohes Maß an Propaganda, Rekrutierung und ›Trainierung‹ der Rekruten. 436 islamistische Verdächtige konnten festgenommen werden. Das ist immer noch ein hoher Wert, allerdings waren es in den drei Jahren 2015 bis 2017 um die 700 Festnahmen pro Jahr. Die allermeisten Festnahmen gelangen dabei in Frankreich (202), gefolgt von Spanien (56) und Österreich (43). Deutschland, könnte man sagen, hinkt mit nur 32 hinterher, in den Niederlanden gab es fast genauso viele Festnahmen (27), in Dänemark immerhin noch 21. Aber natürlich könnte es auch sein, dass es in Deutschland eben nicht so viele dschihadistische Gefährder gab.

»Selbstradikalisierung« – ein zweifelhaftes Konstrukt

Der Bericht spricht übrigens konsequent von dschihadistischen Anschlägen und definiert den Dschihadismus als Unterströmung des sunnitischen Salafismus, der im Nahen Osten und darüber hinaus von Al-Qaida und dem Islamischen Staat (IS) repräsentiert wird. Der sunnitische Islam sieht sich demnach von einer globalen Koalition von Christen, Juden, Hindus, Buddhisten, aber auch säkularen Akteuren angegriffen. Wer mit diesen Kräften zusammenarbeitet, wird zum Nicht-Muslim erklärt und damit zum legitimen Ziel der Gewalt. Das Fernziel ist die Etablierung eines islamischen Staates.

Da man den islamistischen Terrorismus auf eine bestimmte Richtung des Islam zurückführt, die in Gestalt von Al-Qaida und dem IS auch organisatorische Strukturen aufgebaut hat, wird die Zuschreibung der einzelnen Taten zum IS zu einer interessanten Frage. Sicher würde ein Bekenntnis des IS die terroristische Qualität einer Tat erhärten, aber es scheint keineswegs notwendig. Denn es muss keine feste Organisationsstruktur geben, stattdessen kann die ideologische Aufladung und Gleichschaltung der einzelnen Täter oder Zellen auch durch Internet-Propaganda geschehen.

Auch unter Dschihadisten gibt es solche losen Netzwerke, die Teil eines »breiteren islamistischen Milieus« sind, das Menschen dem Terrorismus zuführen kann. Diese Netzwerke entstehen meist an Ort und Stelle und besitzen laut dem Europol-Bericht keine Verbindung zu größeren Netzwerken im Nahen Osten, wie Al-Qaeda oder dem IS. Dennoch bleibt diese sogenannte »Selbstradikalisierung« ein zweifelhaftes Konstrukt. Denn tatsächlich wird ja sehr bewusst eine Propaganda durch den IS übers Internet gestreut.

Daneben haben sich viele islamistische Terroristen aus der EU auch ganz konkret dem IS angeschlossen oder wollten das tun. 2019 wurden zwei solche Reisen von EU-Mitgliedsstaaten verhindert. Die offiziell bekannten Rückkehrer sind wenige. Dafür, dass Terroristen systematisch in die EU eingeschleust würden, gibt es angeblich keine Anzeichen. Hunderte IS-Kämpfer mit EU-Pässen verbleiben in Syrien und dem Irak, auch wenn ihre Organisation – der Islamische Staat – weitgehend geschlagen ist. Zu bemerken ist außerdem, dass sich der IS seitdem zu einer verdeckten Gruppierung transformiert hat, die auch Schwestergruppierungen in Afrika, dem gesamten Nahen Osten und Teilen Asiens unterhält. Trotz des Todes von Al-Baghdadi im Oktober 2019 stellt der IS weiterhin eine Bedrohung des inneren wie äußeren Friedens dar.

Das einzige Attentat, für das der IS die Verantwortung übernahm, war der Messerangriff in der Londoner Fishmongers’ Hall, bei dem auch ein Bombenanschlag vorgetäuscht wurde. Doch der Täter war ein Freigänger, der über seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft sprechen sollte. Er hatte gleichwohl früher eine IS-Schulung durchlaufen.

Nicht jede extreme Tat ist Terrorismus

Der rechtsgerichtete Terrorismus wird im Europol-Bericht als internationale Bewegung präsentiert. Die Ereignisse von Christchurch (Neuseeland), Poway und El Paso (USA), Bærum (Norwegen) und Halle werden zu einer »Welle« zusammengefügt, da die Täter »ähnlichen« Online-Communities angehörten und sich an den jeweils vorangegangenen Verbrechen inspiriert hätten. Zur »Welle« werden diese Verbrechen nur, indem man plötzlich – und nur in diesem Fall – Taten aus drei Kontinenten betrachtet und außerdem noch die Einzeltaten aus Halle und dem norwegischen Bærum hinzunimmt. Doch nicht alle diese Vorfälle werden auch von den nationalen Justizsystemen als terroristisch bezeichnet.

Das einzige ›erfolgreiche‹ rechtsextreme Attentat geschah einen Tag nach dem Anschlag von Christchurch. Ein 50-jähriger Mann suchte im britischen Surrey nach einem beliebigen Opfer und stach auf einen 19-jährigen Bulgaren ein. Nachdem man ein Video von dem Attentat in Christchurch auf dem Handy des Mannes fand, beurteilte ein Richter seine Tat als Rechtsterrorismus. In Litauen gab es einen versuchten Bombenanschlag durch Rechtsextremisten, der vereitelt wurde. In Polen sollen zwei Männer Anschläge gegen Muslime geplant haben; sie wurden festgenommen.

Die beiden deutschen Vorfälle, die der Bericht erwähnt, werden von den Sicherheitsbehörden nur als »rechtsextremistische Gewalttaten« angesehen. Es handelt sich also nicht um Terrorismus. Da ist zum einen der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, begangen von einem polizeibekannten Rechtsextremisten. Der zweite Vorfall ist der Anschlag von Halle, der mit Verweis auf einen Fachbeitrag als antisemitisch und »antifeministisch« bezeichnet wird. Es waren zwei Taten von Einzeltätern, ohne dass eine Organisation oder auch nur eine ideologische Gruppe im Hintergrund erkennbar wäre. Sie werden daher der individuellen Kriminalität zugeschlagen. Noch schwieriger dürfte die Abgrenzung von Kriminalität und Geisteskrankheit im Fall Hanau werden. Aber das gehört in den Bericht vom nächsten Jahr.

Auch zwei Angriffe auf französische Moscheen werden nicht als Terrorakte klassifiziert. Einer der Angriffe war die Tat eines Geistesgestörten, der in einem islamischen Zentrum in Brest erst mehrere Menschen erschoss, dann sich selbst tötete. In Bayonne griff ein Achtzigjähriger eine Moschee an. Der Mann glaubte zwar an Verschwörungsideen, hasste den Islam und misstraute den Institutionen seines Landes, aber zum Terrorismus wird eine Tat erst, wenn eine planende Organisation mit einer festumrissenen Ideologie und Wirkungsabsicht im Hintergrund steht.

Gewaltakte zwischen Amoklauf und Beziehungstat

Auch die von außerhalb der EU berichteten Taten taugen nur zum Teil als Elemente einer terroristischen »Welle«. So war der Anschlag in El Paso in Texas am 3. August 2019 kaum von einem Amoklauf zu unterscheiden. Sicher, der 21-jährige Täter hatte vorher etwas von hispanischen »Eindringlingen« im Internet geschrieben. Hier, wie bei dem Attentat auf eine Synagoge im kalifornischen Poway, könnte man auch schlicht von Nachahmertaten zu dem Anschlag von Christchurch sprechen. In anderem Zusammenhang spricht man ja manchmal von »Trittbrettfahrern«. Hier rechtfertigt offenbar die Schwere der Tat eine andere Bewertung. Ob das objektiv und rational ist, wäre zu überprüfen.

Der Attentäter aus dem norwegischen Bærum, das als reichste Kommune des Landes bekannt ist, tötete zunächst seine chinesische Stiefschwester, um dann in das Islamische Zentrum des Ortes einzudringen, wo er aber nur eine Person leicht verletzen konnte. Die Vermengung der Beziehungstat mit einem Anschlag erinnert an das Hanauer Geschehen. Die Frage der geistigen Gesundheit diskutiert der Europol-Bericht im Abschnitt zum dschihadistischen Terrorismus. Es ist aber natürlich eine übergreifende Frage. Immer stellt sich die Frage, welche psychischen Faktoren ein Täter – auch wenn er sich ein ideologisches Konzept von der Welt und seinem Handeln zugelegt hat – zu seiner Tat bewegt haben.

Auffällig ist, wie viel Raum der Bericht auf die Darstellung der Kommunikation und Vernetzung der Rechtsextremen legt, als ginge es im wesentlichen um Gedankenverbrechen, die sich schon in der Verbreitung von »Hass« vollenden. Rechtsextreme benutzen demnach Online-Foren und »pseudo-news sites«, um ihre Ideologie zu verbreiten. Hinzu kämen randständige Plattformen (»fringe platforms«), die entweder von Rechtsextremen selbst gegründet oder von diesen kolonisiert wurden. Man verwende dabei Englisch als lingua franca. Doch damit wären wir schon fast beim »Lächeln der Faschisten« (frei nach Susanne Hennig-Wellsow), denn Englisch als Verkehrssprache ist kaum ein Vorrecht der Rechtsextremen.

Zu den ausdrücklich gewaltfreien Organisation in diesem Feld werden die Identitären gezählt, die allerdings durch ihre publizistischen Aktivitäten »zum Hass ermutigen« und daher mutmaßlich das Potential besitzen sollen, Einzeltäter zu inspirieren. Offenbar stellt man sich den Weg zur Gewalt ähnlich vor wie bei dschihadistischen Muslimen und ihren IS-Netzwerken.

Schmuggeln, Schleusen, Merchandising: Die Geldquellen der Extremisten

Zu den Finanzen der Gruppen, erfährt man, dass alle terroristischen Vereinigungen auf passive Unterstützer zählen können. Einzeltäter und kleinere Zellen haben geringe Kosten und können sich meist selbst oder mithilfe ihres näheren Umfelds finanzieren. Republikanische Gruppierungen in Nordirland finanzieren sich traditionell über kriminelle Aktivitäten, Schmuggel und organisierte Spendensammlungen. Rechte Gruppen greifen dagegen auf freiwillige Spenden, Konzerte oder Beiträge von Unterstützern zurück, zum Teil auch auf den Verkauf von Merchandising-Artikeln.

Zu den Einkommensquellen mancher Gruppen zählen laut der belgischen Polizei Straßenraub, Ladendiebstahl und Erpressung. Diese Praxis sei zum Teil von islamistischen Predigern gutgeheißen worden, um dschihadistische Anschläge vorzubereiten. In manchen Fällen sind dabei komplexe kriminelle Strukturen beteiligt, die meist auf starken Familienbanden beruhen und Einkünfte aus teils legaler Arbeit dem Terrorismus zufließen lassen. Des weiteren würden sogenannte Hawala-Banken genutzt, die durch ihre informelle Struktur ideal sind, um Gelder aus einem Land in das andere (auch außerhalb Europas) zu transferieren. Man spricht auch von Untergrundbanken, die nur auf einem Netz von individuellen Akteuren basieren und keine offizielle, rechtliche Struktur besitzen.

Die im Libanon sitzende schiitische Hizbollah, deren militärischer Arm in der EU als terroristische Vereinigung gilt, verdient ihr Geld möglicherweise auch mit Drogen- und Diamantenschmuggel. Wahrscheinlich spielt auch die Schleusertätigkeit für illegale Immigranten, so der Bericht, eine Rolle bei der Finanzierung von Terrorismus. Eine Verbindung von Schleusertum, Tabakschmuggel und islamistischer Propaganda konnte die italienische Polizei im Falle einer kriminellen Vereinigung tunesischer Staatsbürger nachweisen.

Befürchtet wird zudem, dass Asylbewerber ohne Bleibeperspektive besonders anfällig für die Anwerbeversuche von Islamisten sind. In Belgien konnte ein solches Phänomen in freilich geringer Zahl beobachtet werden. Im Mai 2019 wurden vier Somalier in Italien festgenommen, nachdem sie an religiösen Stätten Geld für Terrorismus – in diesem Fall in ihrem Heimatland – gesammelt hatten.

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