Tichys Einblick
US-Rückzug abgeschlossen

Das Ende in Kabul

Der Einsatz des Westens ins Afghanistan ist vorbei: Um 23.59 Ortszeit verließ das letzte US-Flugzeug den Flughafen Kabul. Die Taliban jubeln: "Wir haben wieder Geschichte geschrieben."

Major General Chris Donahue geht als letzter US-Soldat in Afghanistan an Bord einer C-17-Maschine

IMAGO / UPI Photo

Generalmajor Chris Donahue, Kommandeur der 82. Luftlandedivision, war der letzte US-Militär, der am späten Montag an Bord eines C-17-Flugzeugs ging und damit die US-Mission in Kabul beendete. Eine Minute vor Mitternacht Kabuler Zeit hob der letzte C-17 Militärtransporter vom Hamid Karzai International Airport ab. Damit endete plötzlich auch der Lärm der landenden und startenden Militärmaschinen.
Der letzte Flug fand unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt, nachdem der ISIS-Ableger ISKP zwei Anschläge verübt hatte. Bei einem davon handelte es sich um ein Selbstmordattentat, bei dem mindestens 175 Menschen starben, darunter 13 US-Soldaten.

Die am 14. August begonnene Lufttransportoperation war die größte, die das US-Militär je durchgeführt hat. Mehr als die Hälfte der Flotte von 222 C-17 Globemaster III der US-Luftwaffe hatte sich daran beteiligt. In den Minuten kurz vor Mitternacht blieben nur noch fünf Lufttransporter am Boden in Kabul, besetzt mit handverlesenen Crews.
Die letzten Stunden waren mit die gefährlichsten. Die Militärs fürchteten Anschläge und Raketenangriffe, Bilder, die US-Präsident Biden in Bedrängnis gebracht hätten. Die Raketenabwehr hatte den Flugplatz vor Raketen der ISIS-K geschützt und waren die letzten Anlagen, die ausgeschaltet wurden. „Sie waren bis zur letzten Minute einsatzbereit“, sagte ein US-Sprecher. „Dann gingen die Streitkräfte zu diesen Anlagen und warfen eine Thermitbombe auf sie.“ Die fünf Flugzeuge hoben ohne diesen Schutz ab.

Sendung 26.08.2021
Tichys Ausblick Talk: „Afghanistan und der schwache Westen: Was bleibt?“
Der amtierende Botschafter Ross Wilson und Armeegeneral Chris Donohue saßen als letzte US-Beamten, die Afghanistan verließen, im letzten der fünf Flugzeuge. Jedes Team hatte eine Checkliste mit detaillierten einzelnen Schritte. Sie informierten sich über internes Chat-System, um sicherzugehen, dass auch alle Personen anwesend waren und jeder Schritt abgeschlossen war.
„Der Sicherheitsbereich um die Flugzeuge auf dem Hamid Karzai International Airport wurde immer kleiner“, sagte ein Verteidigungsbeamter.
Zuvor hatten die US-Streitkräfte alle Flugzeuge, Fahrzeuge und Artilleriegeschütze, die sie auf dem Flughafen zurücklassen wollten, außer Gefecht gesetzt. Zurück blieben 70 MRAPs, Fahrzeuge, die minengeschützt sind, 27 Humvees und 73 Flugzeuge, die jedoch nicht einsatzfähig waren.

„Flush the force“, so lautete Minuten später der letzte Befehl auf der Checkliste. Danach rollten die fünf Globemaster in weniger als 10 Minuten zum Start. Am 30. August um 23.59 Uhr Kabuler Zeit hob die letzte C-17 vom Boden ab. Bevor das Flugzeug abflog, schickte Donohue eine letzte Nachricht: „Gute Arbeit geleistet, ich bin stolz auf euch alle.“
Eine Stunde später erschien der Leiter des US-Zentralkommandos, Marinegeneral Kenneth F. McKenzie, auf Videoschirmen zur Pressekonferenz des Pentagon und gab den Abzug bekannt: „Ich bin hier, um den Abschluss unseres Rückzugs aus Afghanistan und das Ende der militärischen Mission zur Evakuierung amerikanischer Bürger bekannt zu geben“

„Wir haben nicht alle, die wir wollten, rausgeholt. Aber ich denke, wenn wir noch 10 Tage länger geblieben wären, hätten wir auch nicht alle rausgeholt, die wir rausholen wollten. Und es hätte immer noch Leute gegeben, die enttäuscht gewesen wären. Es ist eine schwierige Situation.“ Präsident Joe Biden hatte Anfang des Jahres den 31. August als Termin für den Abzug festgelegt.
In Kabul wachten die Bewohner heute früh unter der Herrschaft der Taliban auf. Die Nacht in Kabul verlief ruhig, nachdem Freudenschüsse und Feuerwerk zu hören und zu sehen waren, mit denen die Taliban ihren Sieg feierten.
Ein Al Jazeera-Korrespondent berichtete aus Kabul, dass die Atmosphäre in der afghanischen Hauptstadt nach den nächtlichen Siegesfeiern ruhig sei: „Für die Taliban ist dies ein historischer Sieg. Die Taliban haben ihren Kampf in Afghanistan gegen ausländische Mächte immer als einen Ritus für die nationale Souveränität bezeichnet.“

Abzug aus Afghanistan
Bundeswehr könnte in Afghanistan mehr leisten, wenn sie dürfte
Heute früh marschierten der Sprecher der Taliban-Regierung, Zabihullah Mudschahid, und seine Truppen zum Flughafen von Kabul und übernahmen ihn. Der Sprecher sagte heute morgen vor Reportern, das Land sei jetzt eine „freie und souveräne Nation“. Er versuchte gleichzeitig, alle konkurrierenden Gruppen einzubinden: Der Sieg seine Gruppe gehöre „uns allen“.
Gegenüber India Today hatte er vor ein paar Tagen bereits ganz staatsmännisch verkündet: „Wir wollen gute Beziehungen zu Indien. Es ist ein bedeutendes Land in der Region.“ Er betonte, dass von Afghanistan keine Gefahr ausgehe.
Haqqani, ein hochrangiger Funktionär der Taliban, in einem Tweet: „Wir haben wieder Geschichte geschrieben. Die 20-jährige Besetzung Afghanistans durch die Vereinigten Staaten und die NATO ist heute Nacht zu Ende gegangen. Ich bin sehr glücklich, dass ich nach 20 Jahren Dschihad, Opfern und Entbehrungen diese histori-schen Momente erlebe.“
Die Taliban äußerten gegenüber Al Jazeera, dass sie eine „integrative Übergangsregierung“ planen, der Führer aller Ethnien und Stämme angehören sollen.

Aus Peking hieß es, dass China die Lage in Afghanistan nach dem US-Abzug „sehr genau“ beobachte. Nach Berichten der Peking-Korrespondentin von Al Jazeera wolle China, das mit wachsenden umfangreichen Investitionen auch in Afghanistan beteiligt ist, an seiner Politik der Nichteinmischung festhalten und den Taliban „Raum geben, um sich zu beweisen“. Washington wurde von China gleichzeitig aufgefordert, sich an den „Aufräumarbeiten“ nach dem Rückzug zu beteiligen.
In den USA wird Biden von den US-Republikanern scharf kritisiert, während die Demokraten ihn loben. Dan Crenshaw, ein republikanischer Abgeordneter und Kriegsveteran, der in Afghanistan gekämpft hat, warf der Regierung vor, das Land gegen die nationalen Sicherheitsinteressen Washingtons an die Taliban auszuliefern.

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