Tichys Einblick
Problem Sekundärmigration

Bundesregierung will Kosten für Migranten in Griechenland übernehmen

Das deutsche Sozialwesen gilt den Berliner Regierenden offenbar als so vorbildlich, dass daran auch Griechenland genesen soll. Das deutsche Innenministerium will nun Migranten in griechischen Hotels einquartieren und sie dort auf seine Rechnung versorgen. Aus Athen kommt dazu bisher nur Schweigen.

IMAGO / ZUMA Press

Wenn ein Staat unerwünschte Immigration steuern oder vermeiden will, gibt es im Grunde zwei Möglichkeiten: Zum einen kann er seine Grenzen bewachen und so den Zuzug unmittelbar verhindern. Zum anderen kann er den Zugang von Migranten zu Sozialleistungen so weit einschränken, dass sich die irreguläre Einwanderung nicht mehr lohnt – zumindest nicht für diejenigen, die auf dem Arbeitsmarkt chancenlos sind. Die Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD unter dem Vorsitz von Angela Merkel will keine der beiden Möglichkeiten nutzen, wie ein Bericht aus der Welt am Sonntag nahelegt.

Stattdessen denkt sie anscheinend über eine Ausweitung des deutschen Sozialstaats über die deutschen Grenzen hinaus nach. Wie die WamS erfuhr, hat die Bundesregierung Griechenland angeboten, die »Unterbringung und Versorgung« der »aus Deutschland zurückzuführenden Schutzberechtigten mit eigenen Ressourcen zu unterstützen«. Offenbar sollen mit dem Geld Hotels angemietet werden. Also Kost und Logis aus Bundesmitteln unter der griechischen Sonne? Was kommt als nächstes: deutsche Sozialbauten in Patras oder Igoumenitsa? Oder vielleicht die Errichtung eines sekundären Arbeitsmarkts an der europäischen Peripherie aus deutschen Steuergeldern?

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Athen hat das Angebot offenbar noch nicht angenommen, und es scheint durchaus unsicher, dass das geschehen wird. Denn es ist eigentlich eine Art friedlicher Angriff auf die griechische Sozial-Souveränität. Nachdem bereits deutsche Polizisten an griechischen Flughäfen nach irregulär Einreisenden Ausschau halten, wäre dies der nächste Schritt zur Installation deutscher Verwaltungsteile auf griechischem Boden. Das deutsche Sozialwesen gilt den Berliner Regierenden offenbar als so vorbildlich, dass daran nun auch Griechenland genesen soll. Jenes Griechenland, das man in der letzten Zeit mit politischen Forderungen und der Androhung eines Vertragsverletzungsverfahrens überzog, weil es nicht ausreichend für anerkannte »Flüchtlinge« und subsidiär geschützte Migranten in seinen Landesgrenzen sorge. Die Athener Regierung bestreitet das, wollte sich aber gegenüber TE nicht im einzelnen zur Vergabe von Reisepapieren und mangelnden Lebensperspektiven im Lande äußern.
Griechenland zwischen harter Hand und Laissez-faire

Zumindest der erste Vorwurf der Reisepapiere scheint aus der Luft gegriffen: Denn die von Griechenland aufgenommenen Migranten nehmen einfach eine EU-Regelung in Anspruch, die ihnen Reisefreiheit und das Aufenthaltsrecht in einem anderen EU-Staat für zumindest 90 Tage zugesteht. Das gilt als Schlupfloch, aber wer hat die Verantwortung, es zu kontrollieren? So kommen etwa 1000 »griechische Flüchtlinge« pro Monat nach Deutschland, wo ihre Asylanträge konsequent »rückpriorisiert« werden. Insgesamt gibt es 12.000 Fälle, wie das Innenministerium TE auf Nachfrage mitteilte.

Man entscheidet nicht über sie, weil man sie eigentlich ablehnen müsste. Denn nur das erlaubt Paragraph 29 des deutschen Asylgesetzes: Asylanträge sind stets unzulässig, wenn »ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz […] gewährt hat«. »Inhaltlich« müssten daher alle Anträge ohne Prüfung abgelehnt werden. Dieser Muss-Bestimmung entzieht man sich mit der »Rückpriorisierung« (also eigentlich einer Depriorisierung) der Anträge. Und so leben Migranten in Deutschland, die hier zwar keinen Aufenthaltstitel haben, aber dank griechischem Titel »immun« gegen eine Abschiebung sind, und das nicht nur nach Griechenland, sondern auch in ihre Ursprungs- oder andere Transitländer (wie die Türkei).

Dafür ist Griechenland wirklich zu kritisieren, dass es so viele Anträge positiv beschieden hat. Jetzt befinden sich die sekundär Migrierten in einem Schwebezustand, den Seehofers Hotelförderung nach Griechenland reexportieren will. Natürlich ohne Garantie, dass den Migranten ihr neuer Wohnort auf Dauer gefällt.

So kommen wir zur deutschen Rechtsprechung: Das Oberverwaltungsgericht in Münster hatte im Januar entschieden, dass es den Migranten in Griechenland am Nötigsten fehle: Die Wohnungssituation sei angespannt bzw. die Vermieter nicht willens zur Unterbringung, auch Jobs seien Mangelware. Es ist wahr, die griechische Regierung schwankt hier zwischen harter Hand und Laissez-faire. Erst seit kurzem verlangt sie von Asylbewerbern, ihre Wohnung in einem der Aufnahmezentren zu nehmen, andernfalls werden ihnen die staatlichen Unterstützungsgelder gestrichen. Doch ist das Asylverfahren einmal abgeschlossen, so ist der Migrant demselben kargen Sozialsystem unterworfen wie die Griechen.

Die griechische Sozialhilfe liegt derzeit bei 200 Euro für das Familienoberhaupt, 100 Euro für jeden weiteren Erwachsenen sowie 50 Euro für die minderjährigen Familienmitglieder. Der Gesamtbetrag pro Familie ist auf 900 Euro begrenzt, aber die medizinische Versorgung und andere Sozialdienstleistungen sind kostenlos, auch die Integration in den Arbeitsmarkt wird laut dem UNHCR durch Maßnahmen gefördert. Nun kann man sich über die geringe Höhe dieser Zulagen ereifern, aber im ländlichen Griechenland kann man davon und etwas Feldarbeit durchaus leben.

Es ist dabei noch nicht lange her, da mieteten NGOs massenhaft Wohnungen für Asylbewerber an, nicht nur auf den Inseln, sondern auch in den Großstädten Athen und Thessaloniki. Einige beschreiben das heute als Beitrag zur Gentrifizierung in den betroffenen Vierteln. Kommt das nun durch den deutschen Vorschlag zurück? Es würde ihn in Griechenland wohl nicht populärer machen.

EU-Gerichtsurteile kassierten das deutsche Asylgesetz

Vorausgegangen waren dem Münsteraner Urteil andere Entscheide des EuGH in Luxemburg und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. So beschloss der Straßburger Gerichtshof bereits 2011, dass ein Asylbewerber nicht von Belgien nach Griechenland abgeschoben werden durfte, da ihm dort eine erniedrigende Behandlung drohe (gemäß Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention: Verbot der Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung). Dieses Urteil beruht aber auf dem damals viel schwächeren Asylsystem in Griechenland, das inzwischen deutlich straffer geführt wird.

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Am 20. März 2019 schloss sich auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg gewissermaßen dem EGMR-Urteil an, das er allerdings sogar noch ausweitete. Denn statt von einer »erniedrigenden Behandlung« (die dort an den Folter-Begriff anschließt) ist hier die Rede von »unmenschlichen und entwürdigenden Lebensumständen« und die werden dann wiederum als »extreme materielle Not« umschrieben. Das ist schon eine interessante Rechtsevolution – von Folter zur Armut und (quasi) zurück. Armut wird nun offenbar als so etwas Ähnliches wie Folter angesehen. Das ist der eigentliche Sozialamts-Beschluss, der im Endeffekt die Vereinheitlichung der EU-Sozialsysteme verlangt: Wenn einen Antragsteller in einem Mitgliedsstaat »unmenschliche oder entwürdigende Lebensumstände« erwarten, die auch in »extremer materieller Not« bestehen können, dann ist jeder Zweit-Asylantrag in Deutschland legitim. Der EuGH hat damit den Paragraphen 29 des deutschen Asylgesetzes endgültig kassiert.

Die Armut ist also in Europa verboten, trotz der alljährlich wiederkehrenden Behauptungen, die Schere zwischen Arm und Reich habe sich wieder geöffnet. Errichtet wird so eine innereuropäische Hierarchie zwischen Aufnahmeländern erster und zweiter Güte. Wenn es ein Migrant schafft, auf irgendeinem Weg von einem B-Land in ein A-Land zu gelangen, dann hat er gemäß dem EuGH Anrecht auf ein Asyl-Upgrade.

Moria-Migranten und Sekundärmigranten

Derweil hat Deutschland die Aufnahme von knapp 3000 Migranten direkt von den griechischen Inseln abgeschlossen. Am vergangenen Donnerstag setzte die letzte Maschine in Hannover-Langenhagen auf. Bekanntlich ging es dabei ja ursprünglich um Familien mit kranken Kindern und unbegleitete Minderjährige, vor allem Mädchen. Deutschland hat auch bei diesem Deal mit den EU-Partnern wieder mehr als die Hälfte der Last übernommen. In der Pressemitteilung dazu kommt Seehofer auch auf die »gemeinsamen Mindeststandards« zu sprechen, die überall in der EU für Schutzsuchende zu gelten hätten.

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Aber wann und wo wären diese »Mindeststandards« eigentlich definiert worden? In der EU-Richtlinie 2011/95/EU, auf die auch das BAMF in diesem Zusammenhang verweist, heißt es, dass »Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in dem Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt hat, die notwendige Sozialhilfe wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats erhalten«. Nichts anderes tut Griechenland.

Gibt es dazu weitergehende Beschlüsse aus dem EU-Ministerrat oder von den Staats- und Regierungschefs auf irgendeinem Gipfel? Man wird vergeblich nach so etwas suchen. Dieser vorgeblich gemeinsame EU-Rahmen erscheint häufig als leitende Vorstellung, die durch Druck aus dem Zentrum erzwungen werden soll. Das versucht Seehofer auch in dieser Sache nun also wieder, indem er den Sekundärmigranten Hotelzimmer in Griechenland bezahlen will.

Im nächsten Satz spricht der Minister sogar von »Hilfe vor Ort«, die nötig sei. Aber Griechenland ist kein Dritte-Welt-Land, in dem »Flüchtlingen« geholfen werden muss. Das Land ist EU-Mitglied und hat zuhauf entsprechende Gesetze und Regelungen eingeführt.

Womöglich wäre es lohnender, wenn der Minister tatsächlich die endlosen Frontex-Arbeitsgruppen beenden könnte, wie es der Spiegel meldet.


Hinweis in eigener Sache: Mit Hilfe von Spenden aus dem Leserkreis führt TE eine Reihe von Gerichtsverfahren, nachdem die angeblich Seenotrettungs-Organisation „Mare Liberum“ unsere Berichterstattung vielfach gerichtlich angegriffen hat. TE hat wichtige Teilerfolge erzielt. „Mare Liberum“ mußte einräumen, dass eingeworbene Spenden nicht für die Rettung von Menschen in Seenot aufgewendet werden, sondern für andere Zwecke. „Mare Liberum“ hat eingeräumt, dass die Organisation anders als ihre Satzung dies vorsieht und sie in ihrer Spendenakquisition suggeriert noch nie einen Menschen aus Seenot gerettet hat. Wir sind davon überzeugt, dass „Mare Liberum“ oder zumindest wesentliche Teile seiner Mannschaft andere, fragwürdige Vorhaben vor der griechischen Küste betreiben. Die griechischen Behörden haben eine Reihe von Vorwürfen gegen verschiedene sog. NGOs erhoben, zu denen auch eine angebliche Zusammenarbeit mit Schlepperorganisationen gehört. Ob und wie weit diese Aussagen den Tatsachen entsprechen ist Gegenstand unserer Recherchen und der Ermittlungs- und Strafverfahren der Behörden vor Ort. 

Wir bedanken uns bei allen Spendern, die uns die Rechtsstreitigkeiten und Recherchen vor Ort zur Rechtsfindung ermöglichen.

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