Tichys Einblick
Arnold Vaatz in der Budapester Zeitung

Kritik aus der CDU an der Europäischen Volkspartei

Arnold Vaatz, stellvertretender Vorsitzender der Unions-Fraktion im Deutschen Bundestag, ehemaliger Bürgerrechtekämpfer in der DDR, gab der Budapester Zeitung ein Interview, in dem er das Vorgehen seiner Parteikollegen in der EVP scharf kritisierte und seine Sympathien für die Anliegen der Ungarn zum Ausdruck brachte.

IMAGO / Jens Jeske
Nachdem die Europäische Volkspartei am 3. März ihre neue Geschäftsordnung verabschiedet hat, kann sie nun jede ideologische Abweichung von Mitgliedern und Mitgliedsparteien mit sofortigem Ausschluss ahnden und sie praktisch ihres parlamentarischen Mandats berauben. „Die EVP ist zu einem Anhängsel der Linken geworden“, schrieb dazu Viktor Orbán, dessen Fidesz-Partei als Antwort auf die neue Geschäftsordnung die EVP verlassen hatte. „In den Fragen der Migration, der Familienwerte, der nationalen Souveränität, das heißt, in den großen Fragen unserer Zeit, gibt es keinen Unterschied mehr zwischen der EVP und den europäischen Linken“, schreibt er weiter und kündigt an, nunmehr ohne die EVP am Aufbau einer neuen, demokratischen Rechten in Europa weiterarbeiten zu wollen.

Doch zum Vorgehen der EVP gegen ideologische Abweichler unter der maßgeblichen Führung des CSU-Mannes Manfred Weber kam auch Kritik, die schärfste darunter aus den Reihen der CDU. Arnold Vaatz, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion im Deutschen Bundestag, ehemaliger Bürgerrechtekämpfer in der DDR, gab der Budapester Zeitung, einem in Ungarn erscheinenden deutschsprachigen Magazin, ein Interview, in dem er das Vorgehen seiner Parteikollegen in der EVP scharf kritisierte und seine Sympathien für die Anliegen der Ungarn zum Ausdruck brachte. Die Stellungnahme Vaatzs blieb nicht ohne Reaktion. Die SPD-Europa-Abgeordnete Barley, bekannt für ihre hemmungslosen Ausbrüche, sobald sie nur das Wort Ungarn hört, schrieb dazu in einer völligen Umkehrung der Verhältnisse: „Orbán und die Fidesz demontieren die Demokratie in Ungarn und versuchen dasselbe in der EU. Dass CDU und CSU das dulden oder sogar begrüßen, ist eine Schande.“

Im Folgenden dokumentieren wir das Interview, das der Chefredakteur und Herausgeber der Budapester Zeitung, Jan Mainka, mit Arnold Vaatz geführt hat. Der hellsichtigen Analyse des CDU-Abgeordneten ist nichts hinzuzufügen.


„BLEIBEN SIE, WIE SIE SIND!“

Welche wesentlichen Gründe haben zur Verschlechterung der deutsch-ungarischen Beziehungen geführt?

Arnold Vaatz: Die Europäische Union – und als wesentlicher Taktgeber Deutschland – fühlt sich seit Jahrzehnten als moralisch überlegener Vorreiter der Zivilisation und betrachtet die Staaten des ehemaligen Ostblocks als Demokratielehrlinge. Sie reagiert nun mit hilflosem Entsetzen auf ihren Ansehensverlust im ehemaligen Ostblock.

Gesellschaften, die es ablehnen, Feminismus, Gendersternchen, erneuerbare Energien oder Feinstaub für die Kernfragen der Menschheit zu halten, machen die Vertreter unseres Mainstreams wütend. Ungarn ist für sie eine schwere narzisstische Kränkung. Dass sie nicht einmal Wege finden, den Ungarn den Geldhahn zuzudrehen, bringt sie zur Weißglut.

Die schärfsten Angriffe gegen die demokratisch gewählte ungarische Regierung kommen vom CDU-Koalitionspartner SPD. Zurückpfeifen können CDU und CSU diese Angriffe freilich nicht. Es ist schon klar: Die SPD möchte in der großen Koalition – wo es geht – ein eigenes Profil zeigen. Warum aber gibt es von Seiten der CDU/CSU so gut wie keine offene Unterstützung für die ungarischen Positionen?

Die Unionsparteien haben in einem jahrelangen Prozess fast alle Positionen geräumt, die dem medialen Mainstream nicht gefielen. Dazu gehört auch der Meinungswandel in der CDU in Bezug auf Ungarn. Aber das betrifft nicht nur Ungarn und Orbán, sondern auch Polen und Kaczynski, das Vereinigte Königreich und Johnson, wie es natürlich auch den Erzfeind der Menschheit, den Teufel schlechthin, also Donald Trump betraf. Die Massenmörder Castro und Che Guevara kommen dagegen im medialen Mainstream äußerst glimpflich davon. Entsprechend sortiert sich die CDU.

Zwischen der Kohl-CDU und dem Fidesz gab es eine große ideologische Schnittmenge. Durch die unter Merkel vollzogene Linksverschiebung der CDU hat sich diese jedoch stark verringert. Welche gemeinsamen ideologischen Positionen gibt es überhaupt noch zwischen der Merkel-CDU und dem Fidesz?

Ohne dass ich mit allem einverstanden wäre, was der Fidesz tut – Orbáns Russland-Politik halte ich beispielsweise für falsch und geschichtsvergessen –, lässt sich das auf einen einfachen Nenner bringen. Der Fidesz bezieht heute in wesentlichen Fragen Positionen, die die CDU vor zwanzig Jahren vertreten hat. Zu einigen dieser Positionen steht die CDU heute in einem unversöhnlichen Gegensatz, so etwa in der Energiepolitik, der Genderpolitik und der Einwanderungspolitik. In den Bereichen, in denen die CDU ihre Position nicht verändert hat – NATO, Gesundheitspolitik, bestimmte Bereiche der Sozialpolitik, transatlantische Kooperation (sofern die Amerikaner uns genehme Präsidenten wählen), Wirtschaftspolitik, europäische Zusammenarbeit (das Thema Zuwanderung und Flüchtlinge ausgenommen) – gibt es große politische Schnittmengen, sofern nicht der Fidesz seine Position verändert hat, wie beispielsweise in Bezug auf Russland.

Inwiefern verfängt in Deutschland das permanente Dauerfeuer von Seiten weiter Teile der deutschen Mainstream-Medien und Politik auf Ungarn bei den einfachen Bürgern? Inwieweit gelingt es Medien und Politik, die deutschen Bürger gegen Ungarn aufzuhetzen und antiungarische Ressentiments zu säen? Wie immun sind die deutschen Bürger gegen die pausenlose antiungarische Agitation?

Ob man es Hetze nennen soll, weiß ich nicht. Im Wesentlichen besteht die mediale Auseinandersetzung mit Ungarn darin, dass man die ungarische Position in den Medien nicht oder nur sehr selektiv zu Wort kommen lässt. Man wird ausschließlich mit den Kommentaren der Ankläger bombardiert. Obendrein werden wirklich interessante Dinge wie etwa die Zusammenarbeit der ungarischen Linken mit der rechten Jobbik beim Kampf um kommunale Spitzenämter in Deutschlands Medien konsequent verschwiegen. Diese Information zählt einfach nicht zu der für die Bürger „geeigneten“ Nachrichtenauswahl.

Ich weiß nicht, wie all das in Westdeutschland ankommt. Im Osten beklatschen das aber vielleicht ein paar Kirchenleute, Grünen-Fans, Linke und die Antifa. In der Breite verfängt diese Medienstrategie überhaupt nicht. Im Gegenteil: Sie weckt Erinnerungen. Ich glaube übrigens, dass man sich in Ungarn das Ausmaß von Einseitigkeit unserer Leitmedien überhaupt nicht vorstellen kann, weil dort die Presselandschaft nach meinem Eindruck weit vielfältiger und regierungskritischer ist, als in Deutschland.

Welche konkreten Wege sehen Sie für eine Normalisierung des deutsch-ungarischen Verhältnisses?

Ich sehe da mittelfristig keine Veränderungen. Nach den Wahlen 2021 in Deutschland wird es so weitergehen wie bisher. Die Erosion in Lateineuropa wird wieder Fahrt aufnehmen und die Stabilisierungskapazitäten des Nordens immer stärker strapazieren. Aber der Mainstream in Deutschland wird sich – koste es, was es wolle – durch Argumente nicht verändern, sondern erst, wenn unsere falschen Weichenstellungen – hier denke ich zuerst an die wirtschaftlichen Folgen unserer Energiepolitik – in eine wirklich ausweglose Lage geführt haben.

Was die CDU betrifft: Der große Marsch nach links hat die CDU von einer etwa 40-Prozent-Partei zu einer 30-Prozent-Partei und im Osten gar zu einer 20-Prozent-Partei gemacht. Die Liaison mit den Grünen wird diesen Trend in den nächsten Jahren vermutlich noch verstärken. Je krampfhafter sich die CDU am Mainstream festklammert, umso mehr wird sie verlieren.

Aber dank der Zersplitterung des linken Lagers in Grüne, Linke und SPD wird sie auf absehbare Zeit die Regierung stellen können – früher oder später in Koalitionen mit den SED-Nachfolgern, wie dies informell in Thüringen schon der Fall ist. Sie wird wechselnde Koalitionen anführen, in denen die Partner noch mehr nach Gender, Öko, Technik- und Wirtschaftsfeindlichkeit und allen möglichen Wenden (Energiewende, Landwirtschaftswende, Verkehrswende, Ernährungswende etc.) drängen. Dort wird sie ein wenig bremsen, damit der Zug nicht aus den Gleisen springt, und versuchen, sich als Stimme der Vernunft und des Maßes zu profilieren, aber an der prinzipiell falschen Weichenstellung wird sie nichts ändern.

Was könnte Ungarn für eine Normalisierung tun? Mehr erklären? Weniger missverständliche Äußerungen tätigen?

Man muss nicht immer Öl ins Feuer gießen. Das tut Viktor Orbán manchmal. Und entwickeln Sie ein bisschen Mitleid mit Leuten, die an dem Verlust ihres Ansehens leiden, sich von einer Hysterie in die nächste hineinsteigern und nicht mehr herausfinden. Bleiben Sie ansonsten um Gottes Willen, wie Sie sind, und wie meine gesamte Generation Sie lieben gelernt hat.


Dieses Interview erschien zuerst in der Budapester Zeitung Wir danken für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.

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