Tichys Einblick
Eigeninteressen der Funktionäre

Wohlfahrtsverbände zur Essener Tafel: Was gut ist, bestimmen wir!

Wenn nun die Wohlfahrtverbände ausgerechnet eine kleine Tafel in Essen mobben, dann ist das schäbig von Organisationen, die einmal gegründet wurden, um Wehrlose vor Schäbigkeiten zu schützen.

© PATRIK STOLLARZ/AFP/Getty Images

Nicht als erste, aber dafür mit großem Aufgebot kritisieren die deutschen Wohlfahrtsverbände die Entscheidung der Essener Tafel für eine bestimmten Zeitraum zusätzlich zu den bereits regelmäßig versorgten Ausländern (75 Prozent ) vorläufig keine weiteren mehr aufzunehmen.

Ein Bündnis von mehr als 30 Sozialverbänden und Organisationen hatte zur Pressekonferenz geladen. Es sprach u.a. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. Mit dabei auch Pro Asyl und ihr Geschäftsführer Günter Burkhardt. Der stellte gleich mal unmissverständlich klar, was hier die Meta-Ebene dieser Tafelkritik zu sein hat:

„Wenn man das, was jetzt auf der Bundesebene angefangen hat, mit der Diskussion über das konkrete Thema Essen (Stadt), fortsetzt, wird Rechtspopulismus wachsen. Es wird die Akzeptanz für Einwanderung für Flüchtlinge sinken. Und das dieses Land ein Einwanderungsland ist, Einwanderung auch im Eigeninteresse benötigt, und dazu gehört auch die Aufnahme von Flüchtlingen, muss ins Bewusstsein der Menschen kommen. Und hier erwarten wir von der neuen Bundesregierung andere Akzente als sie zu hören waren während der Regierungsbildung.“

Die Kritik der Wohlfahrtsverbände an der Entscheidung der Essener Tafel folgt also der von Pro Asyl vorgetragenen angeblichen Notwendigkeit im deutschen Eigeninteresse weitere Migranten aufzunehmen? Die Kritik an Essen soll also offensichtlich bewirken, dass die Akzeptanz für noch mehr Einwanderung gesteigert wird. Die Notwendigkeit der Aufnahme von Migranten „muss ins Bewusstsein der Menschen kommen.“

Ulrich Schneider lobt zunächst einmal jenen, den Essenern abgetrotzten „runden Tisch“. Nun war die skandalisierte Entscheidung der Essener bereits an einem runden Tisch entstanden. Aber es war der Tisch der Essener im Hinterzimmer der Tafel. Und an diesem Tisch wurde tatsächlich kein Platz freigehalten für die Futterneider der organisierten Wohlfahrt, die nun vehement darauf bestehen: Was gut ist, bestimmen wir. Wer privat Gutes tun will, der findet dafür in den Sozialverbänden und Organisationen ausreichend Möglichkeiten.

Zur Untermauerung des eigentlichen Anliegens und offensichtlich, um die abtrünnigen Ehrenamtlichen auf Spur zu bringen, schickt Ulrich Schneider aus der Pressekonferenz eine wirkmächtige Drohung nach Essen: „Was die Entscheidung der Essener Tafel anbelangt, vorerst keine Ausländer als Neukunden aufzunehmen, ist das objektiv eine ethnische Diskriminierung.“

Notfalls also per Gesetz. Und wenn es keine ausreichenden Gesetze gibt, werden eben entsprechende Novellierungen angestrebt. Dazu passen die Erörterungen Steffen Augsbergs, Professor für Öffentliches Recht, der befand: „Aus juristischer Perspektive ist dabei eingangs festzuhalten, dass das deutsche (wie jedes) Rechtssystem durchaus an verschiedenen Stellen die Nationalität zur Grundlage von Ungleichbehandlungen macht.“ Fast so, als spreche er über einen merkwürdigen Anachronismus, befindet der Professor: „Unsere Verfassung unterscheidet im Grundrechtsteil zwischen sog. Deutschen- und Jedermann-Grundrechten.“

Pflichtvergessen
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Angesichts der Drohung Ulrich Schneiders an die Adresse der Essener Tafel ist dann aber die eigentliche Schlussfolgerung des Professors viel interessanter: Die Tafel „ist aber prinzipiell nicht verpflichtet, die Grundrechte Anderer zu achten.“ Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz fände auf die Tafeln keine Anwendung, weil diese Lebensmittel letztlich verschenken, nicht verkaufen. Und dann dürfe man die Tafelentscheidung keiner „unmittelbaren Grundrechtsbindung unterwerfen, weil sie durch den „Schutz vor dem Verhungern“ staatliche Leistungen ersetzten. Es wäre rechtspolitisch skandalös und im Übrigen völlig kontraproduktiv, auf eine derartige staatsersetzende bzw. staatsergänzende private Tätigkeit mit einer Verschärfung der rechtlichen Bindungen zu reagieren.“

Soweit der Rechtsfachmann zur offensichtlich gewagten, wenn nicht falschen Annahme Schneiders, in Essen fänden rechtsbrecherische ethnische Diskriminierungen statt. Im Übrigen hatte der Pro Asyl Geschäftsführer die eigentliche Motivation der Kritik ja bereits formuliert. Warum sich die deutschen Wohlfahrtsverbände hier allerdings derart instrumentalisieren lassen, muss die Frage sein.

Also warum tun sie das? Weil sie sich in ihrem Hoheitsgebiet „Gutes tun“ mit einer neuen Sicht auf die Dinge konfrontiert sehen, noch bevor sie selbst dazu irgendeine Entscheidung gefällt haben oder weil sie gänzlich unfähig sind, hier eine zu fällen?

Fakt ist: Ein kleiner ehrenamtlicher Essener Ex-Bergmann bekommt in wenigen Tagen mehr Presse als die versammelten Wohlfahrtsverbände, auch das mag ein dicker Stachel im Fleisch der professionellen Armutsbekämpfer gewesen sein und diesen hektischen Aktionismus samt – nun wieder vielbeachteter – Pressekonferenz hervorgebracht haben. Der Zug fährt, schnell aufgesprungen und den Versuch unternommen, den Lokomotivführer vom Stuhl zu schubsen und selbst den Kurs zu bestimmen. Nun wollen wir das Bild nicht überreizen, aber wer schon mal Zug gefahren ist, der weiß, das Umlenken keine Option ist. Es geht immer geradeaus mit durchgedrücktem Rücken. Die Kohlen im Kessel bestimmen die Geschwindigkeit. Und das für viele Tafeln die Hütte unter der Massenzuwanderung lichterloh brennt, ist auch keine neue Erkenntnis.

Nun ist noch etwas besonders absurd am Auftritt und an der Kritik der Wohlfahrtsverbände: Bei den Tafeln geht es um die Verteilung einer sowieso begrenzten Menge an Lebensmitteln, die im Markt nicht mehr verkauft werden können. Jedes spendende Unternehmen ist intern bemüht, diese Überschüsse immer weiter einzugrenzen. Der Rohstoff Gutes-zu-tun ist also nicht nur endlich, er wird sinken. Und dieser begrenzte Vorrat ist eine reine Zugabe.

"Je suis Jörg Sartor!"
Merkel und der berühmte Tropfen?
Wer nämlich alle sozialen Leistungen konsequent in Anspruch nimmt, sie also gegenüber dem Staat für sich durchsetzen kann, der versteht diese Verteilung sowieso als Bonus. Natürlich gibt es Süchte und psychologische Geschichten, die schon mal die knappe Sozialhilfe über Gebühr schröpfen. Früher waren das beispielsweise trinkende und/oder spielsüchtige Elternteile. Eben diese Lücke füllen die Tafeln mit ihren knappen Ressourcen, mit individuell begrenzten Mitteln. Es kann also gar kein „Grundproblem einer Überlastung der Tafeln“ geben, da sich hier in der Theorie anstellt, wer schon versorgt ist oder eben aus genannten Gründen nicht zurecht kommt.

Wenn nun die Wohlfahrtverbände ausgerechnet gegen eine kleine Tafel in Essen mobil machen und das zudem mit Gesetzen zur Antidiskriminierung untermauern wollen, dann ist das schäbig von Organisationen, die einmal gegründet wurden, um Wehrlose vor Schäbigkeiten zu schützen.

Schade, denn damit stellt man auch die Arbeit zehntausender Helfer in den eignen Reihen in ein schlechtes Licht und verkauft sich zudem willfährig an eine bedingungslose Offene-Grenzen-für-alle-Politik von Partnern wie ProAsyl. Dann frisst die Ideologie den Bedürftigen noch den letzten Bissen vom Tafeltresen, weil die Wohlfahrtverbände um ihre Deutungshoheit als Berufsgute fürchten. So eine Gemeinheit kann man nicht mehr höflich kommentieren.

Was die Bürger in Deutschland davon halten, hat eine INSA-Umfrage für die „Bild“-Zeitung abgefragt: Demnach halten 57,6 Prozent der Befragten die Entscheidung der Tafel für richtig, vorerst nur noch Inhaber eines deutschen Passes aufzunehmen. Lediglich 27,2 Prozent finden den Entschluss falsch.