Tichys Einblick
Spitzelaufruf

Wie viel Blockwart steckt im Schreiber Ihrer Zeitung?

Frau Vai hat mit ihrer possierlichen „Was wäre, wenn“-Geschichte nichts mit Blockwart zu tun. Sie hat ja nur gemeint, nur so gedacht, nur so eine Idee beim Selbstgespräch-Frühstück.

© Getty Images

Oh nein, nicht schon wieder die AfD verteidigen müssen, mögen Journalisten gedacht haben, als sie – und die folgende Einordnung ist mit Bedacht gewählt – das Saustück im Spiegel /Blog: „Elterncouch“ der Kollegin Juno Vai gelesen hatten, erschienen am Dienstag unter der Headline „Wie viel AfD steckt im Lehrer Ihres Kindes?“ Hier ruft die Autorenmutter von „Vic (14) und Vito (11)“ dazu auf, Lehrer zu bespitzeln und verdächtige Aussagen der Schulleitung zu melden.

Selbstredend hat Frau Vai von den Radikalenerlassen gehört, die linke Gesinnung überprüften und Radikale ggf. vom Schuldienst ausschlossen. Sie empfand das sogar als „skandalösen Eingriff des Staates in die Meinungsfreiheit des Einzelnen.“ Aber das war, wie sie schreibt, „als Teenager.“ Mittlerweile hätte sie dazugelernt: „Angesichts der Demokratiefeindlichkeit in Teilen der AfD kommt man derzeit auf die seltsamsten Ideen.“

Ja, aber warum muss Autorin Vai ihre seltsamen Ideen dem Leser als Blaupause für reales Handeln bei Spiegel Online anbieten? Und warum veröffentlicht SPON so etwas? Und warum wird, wenn es doch eher seltsam ist, was sich die Autorin da zusammengebastelt hat, neben dem Artikel dazu aufgefordert: „Haben Sie Erfahrungen mit rechten Lehrern gemacht? Schreiben Sie uns eine E-Mail!“ Etwa für eine erweiterte Denunzianten-Page?

Juno Vai macht es zunächst wie Sigmar Gabriel. Der hatte im Kampf gegen den politischen Widersacher seine Tochter vorgeschoben und damit den letzten Rest von Anstand nebst Außenministerposten verspielt. Frau Vai schiebt ebenfalls ihre Tochter vor, nur in diesem Falle im Kampf gegen Rechts: „“Herr Ruck* redet manchmal komisches Zeug“, sagt meine Tochter über ihren Politik-Lehrer. Wir sitzen gerade am Frühstückstisch und bekakeln die Lage der Nation.“

Die Kolumne erzählt, dass Tochter Vic erzählt, dass Lehrer Ruck, der in Wahrheit anders heißt, Standpunkte hätte wie folgende: „Merkel hat im Flüchtlingschaos versagt, die Zuwanderer liegen den Deutschen auf der Tasche, die EU macht uns arm, und wir sollten endlich mal aufhören, uns wegen Hitler immer schuldig zu fühlen.“

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Weiter geht es damit, dass Autorin Vai beschließt, sich diesen Ruck einmal „aus der Nähe anzusehen.“ Besuchte sie bisher keine Elternsprechtage? Wollte sie sich bisher nicht dem Verdacht aussetzen, zu den nervigen Helikopter-Eltern zu gehören oder war einfach immer anderes wichtiger? Nun denn, jetzt, wo es um Nazis und den Kampf gegen Rechts geht, scheint irgendetwas in ihr geweckt worden sein. Inwieweit allerdings zum Wohle des Kindes passiert, was dann passiert, mag dahin gestellt sein. Frau Vai pirscht sich ran an diesen Herrn Ruck und anstatt über die schulischen Leistungen ihrer Sprösslinge zu sprechen, was ja der ursprüngliche Sinn und Zweck solcher Veranstaltungen sein sollte, erteilt sie dem Lehrer Nachhilfeunterricht in Demokratie. Ganz unschuldig tastet sie sich heran an den Pädagogen: „Ob denn geplant sei, im Unterricht mal eine Sitzung des Bundestags zu analysieren, da sei ja einiges los zurzeit.“ Und darauf hin hätte Lehrer Ruck so ein „irres Leuchten in den Augen“ bekommen und erklärt: „und das nur dank der AfD!“

Nun muss so eine Kolumne nicht der Wahrheit entsprechen, manchmal hilft es, beispielhaft exemplarisch vorzugehen, wenn man bestimmte Vorgänge, die doch hätten passieren können, bildhaft machen will. Aber wie abgeschmackt und unglaubwürdig – oder einfach nur doof? – ist eigentlich, was Frau Vai hier über Herrn Ruck aufschreibt? Realistischer wird es dann dort, wo Vai behauptet, mit dem vermeintlichen Nazi-Lehrer noch ein bisschen gescherzt haben zu wollen. Realistisch, weil sie glaubwürdig die Reaktion des Herrn Ruck aufschreibt: „Der Lehrer betrachtet mich wie ein seltsames Insekt und schaut auf seine Uhr.“ Ja, seltsam. Aber keineswegs ein seltenes Insekt. Wer heute mit Lehrern Gespräche führt jenseits der Idee, einen die Pädagogen bespitzeln oder vorführen zu wollen, der weiß um die Wut der Lehrer auf nervige Eltern.

Nun gäbe es heutzutage wahrscheinlich eine Vielzahl Gründe mehr, und völlig andere, als sie Frau Vai hier aufführt, Lehrern einmal die Leviten zu lesen, wenn inflationär die nächste linkspolitische wie regierungskonforme Agenda durchs Klassenzimmer gejagt wird und Kindern als fotokopierte Unterrichtsmaterialien immer neuen Studien privater Stiftungen vorgelegt werden, die sich bei näherer Beschau in vielerlei Hinsicht als ungeeignet erweisen (Wir haben vielfältig berichtet). „Fast wöchentlich belehren Autoren der Bertelsmann-Stiftung das Land. Das regt viele auf. Zurzeit zum Beispiel die Lehrer.“, berichtete gerade die Süddeutsche Zeitung.

Nun hat Lehrer Ruck Autorin Vai zu allem Überfluss auch noch schief angeschaut. Aber die erfahrene Rechercheurs-Jägerin weiß, wie man böses rechtes Wild zur Strecke bringt und legt an: „Zu Hause google ich den Pädagogen und finde nichts über eine AfD-Mitgliedschaft. Ruck engagiert sich lediglich in einer Arbeitsgemeinschaft für Heimatkunde – was seine Privatsache ist und ihn wohl kaum zum Nazi macht.“ Nein, kaum. Aber es ist schon arg verdächtig, Frau Vai, oder?

Zum Glück, sagt sich Vai das selbstberuhigend, läuft ihre Tochter auch nicht Gefahr, „indoktriniert zu werden, denn sie ist mit einer gehörigen Portion Skepsis und einem natürlichen Unwillen gegenüber jeder Form von Manipulation ausgestattet.“ Also diese Stelle in der Kolumne ist wirklich gut. Denn nun kann man sich lebhaft vorstellen, was wirklich im Hause Vai los ist, wenn Mama wieder am „Frühstückstisch die Lage der Nation bekakeln“ will und ihre Kleinen hoffentlich die Augen verdrehen, nicht nur, weil wieder das Nutella fehlt und das Vollkornbrot vom Vortag auch so schmeckt.

Also man hofft hier tatsächlich inständig, dass die 14jährige diese Eigenschaften besitzt, die Mutti ihr attestiert. Sicher ist es indes keineswegs. Das sind so Gespräche, wo man nicht Mäuschen sein möchte. Wo man jedes Blockwart-Gen und sei es noch so sparsam vorhanden, auflösen kann.

Eine Freundin von Frau Via hat ihre politischen Frühstücks-Schulungen für ihren Sohn allerdings schon an den Nagel gehängt: „Der Ruck hat aus ihm einen lupenreinen Populisten gemacht, da helfen auch keine sachlichen Argumente mehr. Keine Ahnung, ob sich das wieder rauswächst.“, klagt diese. Und man fragt sich, wo der Junge das her hat. ist er manipulierbarer oder mit noch mehr „natürlichem Unwillen gegenüber jeder Form von Manipulation“ ausgestattet, als die Vai-Kinder?

Was für ein Dilemma in einer Geschichte, wo Väter nicht vorkommen und Männer nur Nazi-verdächtige Rucks sind. Eine Alleinerziehenden-Geschichte mit Müttern als seltsame Insekten. Neulich hatte Via dann angeblich „ein konspiratives Treffen lokaler AfD-Mitglieder besucht, um eine Idee davon zu bekommen, wie diese Menschen so ticken.“ Und sie wurde überrascht: „Egal ob Inklusion, Frauenrechte oder Flüchtlinge – die Parteivertreter gaben sich im Gespräch so liberal und menschenfreundlich, dass ich innerhalb von Minuten fast vergaß, dass es Menschen wie Björn Höcke in der AfD gibt.“

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Gut, das war vielleicht etwas naiv gedacht oder die Tarnung nicht perfekt genug und man hielt besser hinterm Berg als Lehrer Ruck? Immerhin, es gab „Käseschnittchen, koffeinfreien Kaffee und jede Menge bürgerliches Wohlwollen.“ Wo waren die AfD-Mettteller? Aber ansonsten hatten alle Angst vor der eloquenten Frau Via: Man bewahrte ihr gegenüber „Habachtstellung. Nur die altbekannte Opferhaltung, die hatten alle drauf.“ Und weil die Kolumne dann die vorgeschriebene Schlagzahl fast erreicht hat, müssen halt die üblichen Verweise Richtung Björn Höcke noch folgen. Die helfen ja immer. Und schaffen wieder Ordnung im so schrecklich durcheinander geratenen Oberstübchen der zweifachen seltsamen Insekten-Mutti.

Hoffentlich melden sich nun genügend Laien-Blockwarte, die Konkretes zu berichten haben, so konkret bitte, dass Köpfe rollen, dass Lehrer ihren Job verlieren, wenn es dem Spiegel gelingt, mittels Leserbriefen „nachzuweisen, dass Pädagogen gegen die Verfassungstreuepflicht verstoßen“. Frau Vai hat dann allerdings mit ihrer possierlichen „Was wäre, wenn“-Geschichte nichts damit zu tun. Sie hat ja nur gemeint. Hat nur so gedacht. Nur so eine Idee beim Selbstgespräch-Frühstück. Nur eine weitere Möglichkeit, etwas über ihre Kinder zu schreiben, über Vic und Vito, über Kinder, die, wie sie schreibt, „manchmal wahnsinnig süß“ seien. Die sie aber manchmal auch „wahnsinnig“ machen. Nach diesem Artikel ahnt man, in welchen Momenten letzteres sein könnte. Also liebe Vic und lieber Vito: tapfer bleiben! Denn ihr seid die wahren Helden des Alltags.