Tichys Einblick
Erschreckende Ferne

Von der Kälte des Retters

Wer empathisch die Panik der Jesidin nachvollziehen kann – und ein Übermaß an Empathie braucht es nicht einmal dazu –, wer Mitgefühl formuliert, ist nur Teil einer unliebsamen digitalen Erregung?

Yazidi woman Ashwaq Haji (1st-L) allegedly used by the Islamic State group (IS) as a sex slave, poses for a photograph in tribute to jihadists' victims from her village of Kocho near Sinjar along with their relatives, as she visits the Lalish temple in Lalish, northern Iraq, on August 15, 2018. - A young Yazidi woman who fled to Germany but returned home to northern Iraq says she cannot escape her Islamic State group captor who held her as a sex slave for three months. Ashwaq Haji, 19, says she ran into the man in a German supermarket in February. Traumatised by the encounter, she returned to Iraq the next month. Like many other Yazidis, she was kidnapped by IS when the jihadists seized swathes of Iraq in the summer of 2014.

AFP/Getty Images

Baden-Württemberg leistet sich ein Referat „Nichtchristliche Religionen, Werte, Minderheiten und Projekte Nordirak“. Geleitet wurde es bis vor kurzem von Dr. Michael Blume, der als Autor in seine Vita schreibt, er sei evangelischer Christ und mit einer Muslima verheiratet. Weiter heißt es da über Blume „2015/16 verantwortete er das Sonderkontingent des Landes für schutzbedürftige Frauen und Kinder aus dem Nordirak.“ Eine Initiative, die maßgeblich auf Ministerpräsident Kretschmann zurückgeht.

Als einziges Bundesland hatte man damals über ein Sonderkontingent „tausend Frauen und Mädchen aus dem Nordirak aufgenommen, die besonders schutzbedürftig sind.“ Mehrheitlich handelte es sich hier um Frauen jesidischen Glaubens, die von den Kämpfern der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) mit brutalsten Methoden verfolgt und versklavt wurden. Die Flüchtlingshilfe des Landes schreibt dazu: „Nun sind sie in 22 Kommunen im Land untergebracht, wo sie in Sicherheit leben können und auch therapeutisch begleitet werden.“

Woher kommt die Kälte des kundigen Retters?

Blume war über ein dutzend Mal im Norden des Iraks „in besonderer Mission unterwegs“. Sein Auftrag sei es gewesen, „mit einem Einsatzteam den Weg (zu) bereiten, um letztlich knapp 1.100 junge Frauen und Mädchen aus dem Land und damit in Sicherheit vor der brutalen Verfolgung durch IS-Milizen bringen zu können.“

Mindestens eine dieser Frauen ist nun ausgerechnet in den Nordirak zurückgekehrt. Und sie begründet ihre Rückkehr in einem Youtube-Video damit, dass sie in Deutschland von ihrem ehemaligen IS-Peiniger aufgespürt wurde und sich seitdem bedroht fühlt. Die deutschen Sicherheitsbehörden, die sie in ihrer Not kontaktierte, hätten ihr nicht jene Sicherheit geben können, die nötig gewesen wäre.

Michael Blume war mit dieser Frau bekannt. Wie er nun allerdings diesen Fall kommentiert, muss als wesentlicher Teil dieser Verstörung betrachtet werden, wenn Blume gegenüber dem SWR sagt: Am besten bei der Begegnung des Terrors sei Ruhe und nicht Panik.

Eine Geschichte der Schande
Eine als Sklavin verkaufte Jesidin trifft auf ihren IS-Peiniger - in Deutschland
Worte, wie schallende Ohrfeigen. Und mindestens ein Maß an Empathielosigkeit, das sprachlos macht, wenn einer traumatisierten Jesidin, die ausgerechnet in Deutschland ihrem Peiniger begegnet, weil auch dieser hier mutmaßlich Asyl beantragt hat, gesagt bekommt, sie solle demjenigen, der sie terrorisiert hat, mit Ruhe begegnen, anstatt mit Panik. Die heute 19-jährige ist zwar umgehend zur Polizei gegangen, doch die konnte offenbar nichts für sie tun, berichtet der Südwestdeutsche Rundfunk. Als über einen viel zu langen Zeitraum nichts passierte, flüchtet die junge Frau wieder zurück in den Irak, weil sie sich in Deutschland nicht mehr beschützt fühlt.
Erschreckende Kälte

Zunächst einmal liest sich das wie ein ungeheures Versagen derer, die Schutz angeboten, die eigens ein Sonderkontingent aufgemacht haben, die Mitarbeiter mehrfach in den Nordirak schickten, um diese misshandelten und ihrer Freiheit beraubten Frauen in Sicherheit zu bringen. Michael Blume war wie gesagt mit der jungen Frau persönlich bekannt. Nun erklärt eben dieser Blume, er könne das Bedürfnis der Frau, wieder zu fliehen, nachvollziehen. Jedoch sei nicht geklärt, ob die Erinnerung dem Opfer vielleicht nicht einen Streich gespielt hat.

Mal davon abgesehen, wie menschlich ungeheuerlich diese Aussage ist, völlig unabhängig davon, ob ihr im Kern doch eine Wahrheit innewohnen könnte, müsste hier doch an erster Stelle ein Vorschuss an Glaubwürdigkeit stehen, der dringenden und zügigen Handlungsbedarf diktiert. Kam aber nicht. Stattdessen legte Blume noch nach und erklärt den langen Zeitraum zwischen dem ersten Kontakt der jungen Frau mit der Polizei und der nun endlich aufgenommenen Arbeit der Bundesanwaltschaft mit den umfangreichen Ermittlungen der Polizei, die jetzt ihre Möglichkeiten ausgeschöpft hätte.

Kälte wg. Wärme des Amtssessels?

Nun hält selbst Michael Blume laut SWR die Aussage des Opfers für glaubwürdig, dass sie ihren Peiniger in Deutschland wiedererkannt haben will. Leider, so Blume, sei die junge Frau schon wieder in den Irak ausgereist und habe nicht die Ruhe gehabt, die Ermittlungen der Polizei und jetzt der Bundesanwaltschaft abzuwarten. Aber woher soll so eine Ruhe kommen? Wie weit muss sich ein Staatsbediensteter im von ihm geleiteten Referat von der realen Welt entkoppelt haben, den Mut aufzubringen, solche Sätze zu formulieren? Auch gegenüber dem Deutschlandfunk sagt Blume, es wäre besser gewesen, Ashwaq T., so heißt die Frau, hätte Ruhe bewahrt.

Aber dabei belässt es Michael Blume nicht. Die Empörung über das Versagen der Schutzbeauftragten, der Polizei und Staatsanwaltschaften, die Empörung nicht zuletzt über Blumes Kommentare, sind für Blume selbst eine „digitale Erregung“. Wer also empathisch die Panik der Jesidin nachvollziehen kann – und ein Übermaß an Empathie braucht es nicht einmal dazu –, wer Mitgefühl formuliert, ist nur Teil einer unliebsamen digitalen Erregung? Dass es nun aber so eine digitale Erregung ist, die solche Fälle überhaupt erst öffentlich machen, scheint nun wieder Blume besonders zu erregen, wenn er weiter ausführt, die Jesidin hätte im Internet „falsche Freunde“, die gar nicht die Absicht hätten, die neuen Medien verantwortlich zu nutzen. So wird aus dem ungeheuren individuellen Versagen jener, die Schutz versprochen haben, eine allgemeine Kritik der Chancen und Gefahren des Internets. Auf Facebook schreibt Blume: „Lasst uns also bitte aufhören, mit ‚digitaler Panik‘ und Gerüchten Terroristen und Rechtspopulisten auch noch zu füttern!“

Die Jesidin ist in den Nordirak zurückgekehrt. Die veränderte Sicherheitslage dort erlaubte dies offensichtlich. Jedenfalls im Vergleich mit dem individuellen Sicherheitsempfinden, welches das IS-Opfer in Deutschland hatte, als sie hier ihrem Peiniger begegnete. Die Ermittlungen wurden daraufhin eingestellt. Das Landeskriminalamt in Baden-Württemberg hatte im Kurznachrichtendienst Twitter mitgeteilt, die Ermittlungen könnten im Moment nicht fortgeführt werden, „da die Zeugin für Rückfragen aktuell nicht erreichbar ist.“

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Ebenso äußerte sich auch die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Allerdings ist Ashwaq T. durchaus mindestens telefonisch erreichbar, sie fragt sogar irritiert gegenüber der Deutschen Presse Agentur, die keine Schwierigkeiten hat, mit Ashwaq T. ins Gespräch zu kommen: „Warum rufen die mich nicht an?“ Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft hatte zuvor mitgeteilt, die Angaben von Ashwaq T. seien leider nicht sehr präzise gewesen, und der Name, den sie nannte, habe sich keiner Person zuordnen lassen. Nun ist das bei multiplen Identitäten, insbesondere bei potenziellen Gefährdern, eher Regel, als Ausnahme und kaum eine Frage präziserer Angaben.

Wenn aber nun die Presseagentur effektiver arbeit als die Verfolgungsbehörden, wenn außerdem der SWR recherchiert und die Darstellung der Frau stützt, wenn zudem und die stellvertretende Vorsitzende des Zentralrates der Jesiden, Zemfira Dlovani, dem SWR mitteilt, weitere Mädchen hätten den mutmaßlichen IS-Kämpfer wiedererkannt, dann darf man hier von einem multiplen Versagen sprechen.

Michael Blume setzt auch hier noch einen drauf und schreibt auf einem Blog, auf dem ZEIT Online als Partner genannt wird: „Ashwaqs Angaben enthalten Sprünge, beginnend schon bei falschen Daten. Sie wurde von der Landespolizei angehört, aber konnte den IS-Peiniger nicht eindeutig identifizieren.“

Michael Blume schadet all das allerdings wenig. Er wurde Anfang des Jahres als „hochgeschätzter Experte für Religionsfragen“ zum neuen Antisemitismusbeauftragten der Landesregierung ernannt. Kein geringerer als Ministerpräsident Kretschmann selbst erklärte zur Ernennung Blumes: „Wir alle müssen dafür Sorge tragen, dass Minderheiten bei uns nicht angegriffen und kein Keil in unsere Gesellschaft getrieben wird“.

Kälte statt Empathie

Halten wir also fest: Wenn ein nach Tunesien ausgewiesener Gefährder wegen Verfahrensfehler nach Deutschland zurück geholt werden muss, aber eine Jesidin, die ausgerechnet hier auf so einen Gefährder trifft, der auch noch ihr ehemaliger Peiniger sein soll, die daraufhin panisch ausgerechnet in jenes Land zurück flieht, welches Ort ihrer Versklavung war, dann läuft etwas grundsätzlich schief in Deutschland. Allerdings können wir nun, was schief läuft, immerhin an Personen festmachen. Und Michael Blume ist so eine Person, die offensichtlich aus politischen Beweggründen ein paar der elementarsten Vorraussetzungen für seine Arbeit über Bord geworfen hat: Mitgefühl, Einfühlungsvermögen und eben jene Empathie, die im Umgang mit traumatisierten Menschen unerlässlich sein muss.

Übrigens unabhängig davon, ob sich die Jesidin nicht am Ende doch geirrt haben könnte, was allerdings höchst unwahrscheinlich ist und nicht an erster Stelle der Prävention stehen darf, wie hier offensichtlich passiert. Die Fernsehjournalistin Düzen Tekkal hat gerade für eine weitere Verstörung in dieser Angelegenheit gesorgt, als sie darauf hinwies, dass der Fall Ashwaq T. möglicherweise nicht einmal ein zutiefst bedauerlicher, aber eben ein Einzelfall sei, als Tekkal twitterte: „Ashwaq T. ist kein Einzelfall. So hat eine Jesidin der von Baden-Württemberg Aufgenommenen IS Gefangenen, circa vor einem halben Jahr einen ihrer Peiniger im Fernsehen identifizieren können, der sich im Irak als „Flüchtling“ ausgab.“

Und Düzen Tekkal befindet weiter: „Auch wenn im Fall von Ashwaq T.noch genau eruiert werden muss, wie es wirklich war, dürfen wir eines niemals tun – Die IS Überlebenden nicht ernst nehmen oder Ihnen keinen Glauben schenken! Wenn diese Frauen in Deutschland bedroht sind, sind wir es alle.“ Quasi an die Adresse Michael Blume gerichtet schreibt Tekkal in einem weiteren Tweet: „Terror bekämpfen wir am Besten, indem wir den Opfern Sicherheit und Unterstützung bieten. Damit decken wir Taten und Täter auf und schützen uns alle letztlich auch selbst!“

Nun ist die neue Stelle des Michael Blume als Antisemitismus-Beauftragter des Landes zweifellos eine besonders sensible. Dem Land und Winfried Kretschmann sei also dringend angeraten, ein besonderes Auge auf die Arbeit eines Mannes zu werfen, der – drücken wir es vorsichtig aus – auf so unsensible Art und Weise mit Menschen in äußerster Not umzugehen bereit ist. Davon unbenommen sind Verdienste des Michael Blume, als es darum ging, diese Frauen aus dem Nordirak zu retten. Hier gebührt ihm Anerkennung. Aber seit damals muss irgendetwas furchtbar schief gelaufen sein.