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Tuberkulose: eine Spurensuche in Heidelberg

Tuberkulose-Erkrankungen stehen weltweit an erster Stelle der tödlichen Infektionskrankheiten. Unwissenschaftlich betrachtet ist Tuberkulose eine der großen Geißeln der Menschheit mit mehr Toten als aus allen Kriegen und Morden zusammengenommen.

© Getty Images

Zum Jahreswechsel 2017/18 wurden an einer Osnabrücker Schule Fälle von Tuberkulose bekannt. Der Rektor der Schule schrieb damals an besorgte Eltern:  „Tatsächlich hatte man bei zwei Lehrkräften unserer Schule eine geringgradig ansteckende Tuberkulose diagnostiziert. (…) Erst in dem Moment als der Gesundheitsdienst festgestellt hatte, dass die Infektion beider Lehrkräfte auf den gleichen Erregerstamm zurückging, wurde seitens des Amtes entschieden, dass man sich auf die Suche nach dem möglichen „Urstamm“ macht.“

Das Fazit des Rektors lautete damals: „Lehrer und Schüler sind zusammengerückt und somit gewinnen wir der ganzen Aufregung tatsächlich noch etwas Gutes ab.“ Ob in dem Falle ein physisches Zusammenrücken die beste aller Lösungen ist und hier nicht eher Fatalismus oder sogar Fahrlässigkeit behauptet werden muss, sei einmal dahin gestellt. Weitere medial besprochene Tuberkulose-Fälle gab es auch an einer Dresdner Schule. Und laut Osnabrücker Rektor an weiteren Schulen im Land: „Wir sind nicht die einzige Schule, die mit dem Thema Tuberkulose zu tun hat, aber wir sind eine der wenigen Schulen, die mit dieser Thematik medienöffentlich umgehen muss.“ Am Ende sind also die Medien schuld, wenn besorgte Eltern alarmiert reagieren, weil überhaupt berichtet wird?

Wir gehen hier einem weiteren Fall nach, basierend auf einer anonymisierten Zusendung eines Heidelberger Lesers an die Redaktion. Der Absender sorgt sich, weil in Heidelberg neuerdings „Schutzsuchende“ mit Mundschutz herumlaufen. Fotoaufnahmen, die das zu belegen scheinen, hingen der Mail an. Laut Email sollen die fotografierten Personen Patienten der Thorax-Klinik sein, eine Heidelberger Spezialklinik für Tuberkulose mit Patienten weit über den Rhein-Neckar-Kreis hinaus.

Wir sprachen in dieser Angelegenheit mit Prof. Felix Herth, dem zuständigen Mediziner der Klinik und mit einem Fachmann des Gesundheitsamtes für den Rhein-Neckar-Kreis/Heidelberg. Auch die zuständigen Pressestellen erteilten Auskunft oder vermittelten weiter. Daraus ergibt sich zusammengefasst folgendes Bild:

Zunächst wird darauf verwiesen, dass auch Patienten einer Heidelberger Krebsklinik bisweilen ein Mundschutz empfohlen wird, um Infektionen zu vermeiden. Wenn es sich bei den fotografierten Personen im Stadtgebiet um Patienten der Thorax-Klinik handelt, dann ist dieser Mundschutz aber tatsächlich einer, der andere Personen schützen soll. Gegen eine Ansteckungsgefahr durch Tuberkulose sei so ein Schutz jedoch völlig ausreichend.

Wenn man sich schon Sorgen mache, dann bitte nicht hier, wo der Schutz sichtbar getragen wird. Allerdings hätten grundsätzlich Patienten mit offener Tuberkulose für einen bestimmten Zeitraum eine „Ausgangssperre“. Das wäre eine der Therapieauflagen. Bei unauffälligem Behandlungsverlauf wird im Zeitfenster von zwei bis drei Wochen aus der offenen eine geschlossene Tuberkulose, letztere kann dann ohne Mundschutz und Klinik-Residenzpflichten auskommen.

Wiederkehr der TBC?
Der Tuberkulose auf der Spur: Eine telefonische Odyssee
Nun ist „Ausgangssperre“ ein starkes Wort. Überwacht wird diese an der Heidelberger Klinik allerdings von niemandem. Abwesenheiten werden zwar möglicherweise registriert, aber hier wird niemand überprüft, ob er nur im anliegenden Park unterwegs war oder schon beim Stadtbummel. Auch ein Mundschutz kann zwar angewiesen, aber doch nicht erzwungen werden. Das Gesundheitsamt wird hier erst aktiv, wenn die Klinik den Anlass liefert. Dann muss das Amt jemanden mit offener Tuberkulose, der sich möglicherweise obendrein noch der Behandlung verweigert, dazu bringen, die ärztlichen Anweisungen strikt zu befolgen. Aber auch wenn die Klinik den roten Knopf drücken sollte, sind dem Amt enge Grenzen gesetzt: Strenggenommen ist so eine „Ausgangssperre“ nämlich nichts weiter als eine dem Patienten empfohlene Quarantäne.

Das Gesundheitsamt müsste einen richterlichen Beschluss über das Ordnungsamt erwirken, um eventuell eine physische Festsetzung durchzusetzen. Die fände dann aber nicht an der Thorax-Klinik in Heidelberg statt, sondern in der einzigen dafür zuständigen Klinik des Bundesgebietes, in der Lungenklinik in Parsberg. Dorthin müsste der Patient, der andere Menschen gefährdet, der renitent ist, verbracht werden. Die Parsberger Klinik behandelt solche krankheitsuneinsichtigen Patienten mit ansteckender Tuberkulose (TBC). Und ausschließlich solche Patienten, die aufgrund einer richterlichen Anordnung hierher verbracht werden. Also dann, wenn die Klinik überhaupt meldet und wenn das Gesundheitsamt dann noch alarmiert genug ist, diesen Prozess einer Reihe notwendiger Maßnahmen engagiert zu starten.

Das Gesundheitsamt für den Rhein-Neckar-Kreis und Heidelberg veranlasst so eine Maßnahme ein bis zwei Mal im Jahr. In der Regel spricht man zuvor erst einmal „eindringlich“ mit Patienten, die den ärztlichen Auflagen nicht nachkommen. Dann schaut man, wie sich die Sache entwickelt. Wer nach dieser langen Reihe von Amtshandlungen trotzdem nach Pasberg käme, wäre dort mindestens für drei Monate festgesetzt. Und, so der Mitarbeiter des Gesundheitsamtes mit einem Schmunzeln, die hohen Tore in Pasberg wären beeindruckend, wenn man sie durchschreiten müsste.

Nun haben die festgestellten Tuberkulose-Neuerkrankungen bei Immigranten aus dem Zuständigkeitsgebiet dieses Gesundheitsamtes nach eigenen Angaben kontinuierlich abgenommen. Waren es 2016 noch 84 Fälle und 2017 50 Fälle, wurden 2018 bisher gerade einmal sieben Fälle festgestellt. Allerdings gesteht auch der Gesprächspartner dieses Gesundheitsamtes ein, das die fehlenden Pflichtuntersuchungen nach Infektionsschutzgesetz für den dezentral untergebrachten Familiennachzug nicht zielgerichtet wären. Der Argumentation, das eine flächendenkende Untersuchung so nicht mehr gewährleistet sein kann, kann sich auch das Gesundheitsamt nicht ganz entziehen.

Nun gibt es in Heidelberg eine Institution, die, zumindest ihrer Idee nach, durchaus Vorbildcharakter für Deutschland haben könnte und der Idee zentraler Auffanglager entspricht: „Patrick Henry Village“, das zentrale Ankunftszentrum des Landes Baden-Württemberg, eine ehemalige US-Militärfläche. Hier können bis zu 600 Immigranten täglich registriert und gesundheitlich untersucht werden. Alleine vier Röntgeneinrichtungen decken die benötigten Kapazitäten hinreichend ab, auf Tuberkulose-Erreger hin schon im Moment der Ankunft der Immigranten quasi lückenlos zu untersuchen. „Außerdem stellen sie vor Ort bei einem Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ihren Asylantrag. Danach werden die Flüchtlinge auf die Stadt- und Landkreise verteilt. Wer also generell bemängelt, dass politisch nichts gegen Zuwanderung getan wird, kann feststellen, das Zuwanderung hier, wenn schon nicht eingedämmt, dann immerhin perfekter organisiert wird als anderswo im Bundesgebiet.

Grob fahrlässig
Risiko Familiennachzug: Keine Gesundheitskontrolle
Die Fachleute aus den Spezialkliniken und Gesundheitsämter verbreiten Optimismus und erteilen einer Alarmstimmung eine klare Absage. Ja, sie wissen um die Mittel und Wege. Aber sie straucheln leider, wenn es um die Belege der Durchsetzung geht. Durchaus beunruhigend darf man es finden, wenn in allen Gesprächen, die wir zu diesem Artikel mit den zuständigen Fachleuten geführt haben, niemand darüber informiert schien, dass der gesamte dezentral untergebrachte Familiennachzug überhaupt keinen verpflichtenden Untersuchungen nach dem Infektionsschutzgesetz unterliegt. Man wusste es schlicht nicht oder hat keinen Gedanken daran verschwendet, weil andere zuständig sind. So werden dann aber alle noch so gut organisierten Maßnahmen in Unterkünften hinsichtlich der flächendeckenden Suche nach Tuberkulose-Erregern ad absurdum geführt.

Tuberkulose-Erkrankungen stehen an erster Stelle der weltweiten Statistik der tödlichen Infektionskrankheiten. Unwissenschaftlich betrachtet ist Tuberkulose eine der großen Geißeln der Menschheit mit mehr Toten als aus allen Kriegen und Morden zusammengenommen. Nicht ohne Grund lauten die historische Synonyme „Weiße Pest“, „Schwindsucht“ oder „Weißer Tod“.

Kriege sind hier aufgrund fehlender Hygiene, Mangelernährung und weiterer kritischer Faktoren sogar expliziter Nährboden für epidemische Ansteckung und Erkrankungen. Die deutschen Kriegsgenerationen dürften fast flächendeckend Tuberkulose erlebt haben. Tuberkulose kann nur hinsichtlich einer akuten Erkrankung behandelt werden. Sie verschwindet nie ganz aus dem Körper. Bei extrem geschwächten oder schwer erkrankten Menschen kehrt sie zurück. Das ist die Ausgangslage. Und auch der Nährboden für eine besondere Sorge und Vorsicht im Umgang mit dieser via Tröpfcheninfektion ansteckenden Krankheit.

Wenn sich nun besorgte Leser an TE wenden und Fotos mitschicken von Immigranten, die mit Mundschutz durch ihre Innenstadt flanieren, dann könnte man beruhigend sagen: Der Mundschutz ist sinnvoll. Aber man muss dann auch die Frage stellen, wie viele Erkrankte möglicherweise ihren Mundschutz am Kliniktor einfach abgenommen haben und nun ohne einen solchen unterwegs sind. Einer genügt? Zwar braucht es auch hier intensiver Tröpfcheninfektionen, aber wer sich infiziert, fragt nicht danach, wie selten seine Infektion ist, er erkrankt möglicherweise schwer, mindert seine Lebensqualität und wird dann bis zum Lebensende hoffen müssen, dass zu den üblichen Alterserkrankungen und der damit einhergehenden Schwächung des Immunsystems nicht noch die in ihm schlummernde Tuberkulose zurückkehrt.