Tichys Einblick
Naturkost-Unternehmer unter friendly fire

Shitstorm in der Bio-Märchenwelt: Rapunzel-Gründer Wilhelm gegen Masken und Impfen

Der Gründer der Bio-Marke Rapunzel, Joseph Wilhelm, hat mit einer wilden Kritik an Maskenpflicht und angeblichen Impfschäden einen Shitstorm auf sich gezogen. Man wirft ihm Eugenik vor. Verdaut die (Öko-)Revolution ihre eigenen Kinder?

imago images / sepp spiegl

Man sagt, die Elternschaft würde den Menschen nachhaltig verändern. Klar ist: Wer Kinder hat, der muss sein Leben deutlich umstellen, will er dem Nachwuchs rundum gerecht werden. Ein Detail dieser Umstellung kann man häufig am Frühstückstisch beobachten: in Form von Voelkel-Biosäften, Bio-Vollkornbroten, dem Klassiker, der vegetarischen Streichcreme Tartex in diversen Geschmacksrichtungen und weiteren Produkten unter dem Label Rapunzel und Markenamen wie Zwergenwiese (übernommen von Rapunzel). Längst liegen Bioläden nicht mehr hinter den sieben Bergen, sondern oft in bester innerstädtischer Lage auf Supermarktgröße angeschwollen. Discounterketten haben den veganen Braten längst gerochen und sich wie beispielsweise Penny die Sängerin Nena mit einem Bekenntnis zu Bio zu Hilfe geholt.

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Laut Rapunzel-Internetseite werden mittlerweile 600 Rapunzel-Produkte in Bio-Qualität angeboten, die Nuss-Cremes in verschiedenen Sorten kommen sogar in neuem Gläschen-Design und neun Geschmacksrichtungen von Macadamia über Kokos-Mandel bis Zartbitter. Das Öko-Unternehmen wirbt damit, dass die Rohstoffproduzenten fair behandelt werden, 1992 entstand sogar ein hauseigenes Fairhandels-Siegel. Neuerdings bietet die Rapunzel Naturkost GmbH auf ihrer Website auch eine „Quarantäne-Küche“ an, dort wird auf die hausinterne Rapunzel-Datenbank mit 1.300 verschiedenen Rezepten zum Nachkochen während der Corona-Einschränkungen verwiesen. So macht eben jeder Unternehmer das Beste aus der Krise oder sucht die Lücke, die andere hinterlassen, die noch ärger eingeschränkt werden. Lebensmittel durften ja weiter verkauft werden, Gastronomien blieben viele Wochen über geschlossen.

Man könnte also denken, in dieser grünen Rapunzel-Märchenwelt sei alles in bester Ordnung. Märchen? Wenn man das Böse als Element des grimmschen Märchenkatalogs mitdenkt, dann gilt das sicher bis heute. Denn über dem Erfinder der streichzarten Zwerge und Rapunzel sind gerade düstere Wolken aufgezogen. Der damit erfolgreiche 65-Jährige Joseph Wilhelm hat sich in die Nesseln gesetzt. Daran schuld ist eine Ausgabe der „Wochenbotschaft von Joseph Wilhelm“, die Kritiker gegen den erfolgreichen Bio-Produzenten aufbrachte. Der Schmäh – oder moderner: Shitstorm – hat sich schon binnen Stunden tief in Wilhelms Wikipedia-Eintrag eingegraben, wenn es da jetzt heißt:

„Während der COVID-19-Pandemie in Deutschland positionierte er sich im firmeneigenen Newsletter Wochenbotschaft als Gegner des „Maskenzwangs“ und warnte vor „Jagdkommandos, die widerstrebige Impfgegner einfangen und zwangsimpfen“.“

Bemerkenswert für Wikipedia: Verlinkt wird auf den Rapunzel-Newsletter selbst, obwohl eine Relevanz nach Wikipedia-Regeln eigentlich zwingend erst dadurch entsteht, dass ein anerkanntes Leitmedium einen bestimmten Sachverhalt berichtet und nicht etwa, weil einem aktivistischen Gegner irgendeine Verlautbarung seines Hassobjektes in einer Firmenproduktwerbung nicht passt.

Laut mancher Leute hat sich Joseph Wilhelm also in seinem wöchentlichen Kundenbriefing im Ton vergriffen und dafür einen veritablen Shitstorm kassiert. Frisst hier die (Öko-)Revolution ihre eigenen Kinder? Schauen wir mal, was Wilhelm noch so erzählt hat in seiner wöchentlichen Ansprache an seine Rapunzel-Gemeinde. Und gleich vorweg: Schreiben kann der Mann auch. Lustig ist er. Unterhaltsam und selbstironisch:

„Liebe Freunde, (…) draußen pfeifen die ersten Vögel gegenüber von meinem Zimmer in der blühenden Apfelplantage, der Morgen fängt an zu grauen. Wildtauben gurren. In meinem Alter kommt es vor, dass Mann dann um diese Zeit schon mal wohin muss. Die Gedanken springen an und mir ist klar, das wird nichts mehr mit schlafen.“

Möglicherweise wäre es doch besser gewesen, nach der Erleichterung noch ein bisschen zu schlafen, denn dann nimmt das Schicksal wie in einem bösen Grimms-Märchen schon grausam seinen Lauf, als der Herr über das Rapunzel-Imperium sich politisch unkorrekt und über eine geradezu episch lange Wortstrecke echauffiert. Hier nur ein paar Auszüge dieser umfangreichen Brandrede kurz nach dem Aufstehen:

„Ja, wir leben in merkwürdigen Zeiten und zum Denunziantentum wird öffentlich aufgefordert.“ Wilhelm spricht weiter von einem „Wirrwarr willkürlicher länderspezifischer und nicht nachvollziehbarer Regelungen und Verordnungen im Zusammenhang mit der Krise.“ In Deutschland unterwegs zu sein in Zeiten von Corona, beschreibt er folgendermaßen: „Eine Fahrt durch unser Geisterland über Geisterautobahnen mit lauter Geisterfahrern.“ Und es wird Satz für Satz schärfer, was Wilhelm von den Maßnahmen der Bundesregierung hält:

„Für mich stellt das Tragen von Masken die höchste Form von Demütigung dar. So mussten in australischen Gefängnissen die Gefangenen außerhalb ihrer Zelle Masken tragen. Sie mussten sich unterwerfen und es war sichergestellt, dass sie „brav“ blieben und nicht aufbegehrten. Die den meisten Menschen eingebleute Todesangst im Zeichen des C-Virus macht uns unterwürfig und untertan – warum tun wir uns das an?“

Der Bio-Unternehmer outet sich in seinem frühmorgendlichen Furor auch als Kritiker der so genannten „Mainstream“-Presse und schießt auf den letzten Metern seines Textes aus allen Rohren:

„Dass da ein Präsident des Weltärzteverbandes öffentlich Zweifel am Maskentragen äußert – wie ungelegen. Aber dafür stehen ja die Armeen willfähriger Mainstream-Journalisten parat, um allfällige mutige Zweifler an dieser oder anderen Maßnahmen mit dem Damoklesschwert der Angst und des Todes mundtot zu machen, bevor solche Botschaften irgendwo angekommen sind. Und sollte all dies noch nicht ausreichend sein, um uns gefügig und unterwürfig zu machen, dann wird halt noch eins drauf gesetzt mit der Androhung und Aussage: „Impf-Pflicht ab Herbst“! Dann bekommt man halt einfach eine Spritze verabreicht. Ich seh schon vor meinem geistigen Auge Jagdkommandos, die widerstrebige Impfgegner einfangen und zwangsimpfen, um so das Überleben unserer Rasse sicherzustellen.“

Mainstream-Presse, Zwangsimpfung und Masken als Unterwerfungsinstrument. Tatsächlich: Wer hier braver Bürger ist und sich schon seit ein paar Samstagen über die demonstrierenden deutschen Querköpfe und Querulanten ärgert, der wird sich beim Rapunzel-Erfinder fragen, was als nächstes kommt: Eine per Youtube-Video ins Land geblasene Verbrüderung von Joseph Wilhelm mit Xavier Naidoo beim gemeinsamen Frühstück über den selbstgezogenen Soja-Sprossen aus der Rapunzel-Anzuchtdose? Und nach der Erregung über Angela Merkel und Co dann ein Gespräch über „Ein Manifest für das Wohlergehen der Erde“? Denn auch das gibt es bei Rapunzel auf der Startseite im Internet. Ein netter Anknüpfungspunkt für Naidoo und Co?

Aber weiter in besagtem Morgenbriefing: Wilhelm macht klar, wie er sich zum Zwangsimpfen gegen Corona positionieren wird: „Nur über meine Leiche.“ Und er warnt seine vielen Leser auch gleich einmal vor allen Grippeschutzimpfungen, die für sein Dafürhalten nicht weniger, sondern mehr Krankheiten zur Folge hätten. Das will er in vielen persönlichen Gesprächen mit Impfopfern selbst herausgefunden haben.

„Ich habe in den letzten Wochen viele Gespräche in meinem Umfeld geführt mit Menschen, die sich in den letzen Jahren gegen Grippe/Influenza haben impfen lassen. Und merkwürdigerweise habe ich von keinem gehört, dass er/sie nicht krank geworden sei. Im Gegenteil, einige haben mir berichtet, dass sie genau im Impfjahr dermaßen heftig krank geworden seien wie nie zuvor und sie deshalb von weiteren Impfungen Abstand genommen haben.“

Der Unternehmer fordert die Ministerpräsidenten der Länder auf, an die Bürger zu appellieren für eine Gesundung des Immunsystems zu sorgen. Aber wie das? Auch das weiß Wilhelm: Durch gesunde Ernährung. Der Schelm braucht hier nicht einmal auf seine Zwergenprodukte hinzuweisen, denn seine Sonnenaufgangsansprache findet ja zwischen seinen ganzen sicherlich auch das Immunsystem fördernden Bio-Produkten statt. Andererseits, wenn der Hersteller selbst nicht von seinen Produkten überzeugt wäre, wer dann?

Wilhelm ballert jetzt aus allen esoterisch-biologistischen Rohren: „Viren sind höchst intelligente ‚Wesen’ und erfüllen ihre Aufgabe genau so, wie sie sie zu erfüllen haben im großen Zusammenspiel der Naturkräfte. Nicht viel anders verhalten wir Menschen uns, dazu gehören auch unsere Politiker.“ Diese virulenten Politiker aber haben laut Wilhelm keinen eigenen Willen mehr: „Das was sie entscheiden und tun, entspringt schlussendlich nicht ihrem ‚freien Willen’, sondern sie müssen und können nur so handeln, wie sie es an ihrer Stelle und in ihrer Verantwortung tun.“

Aber dieser Joseph Wilhelm wäre wohl nicht so erfolgreich, wenn er nicht überall auch das Positive sehen könnte. Wer so lange im Auftrag der Zwerge unterwegs ist, der hat auch ein paar märchenhafte Botschaften im Jutesack dabei, wenn es darum geht, ganz im Stile von beispielsweise Katrin Göring-Eckardt dieser staatlich verordneten Zwangspause noch etwas Positives abzugewinnen: „… so kann das auch ein großes Geschenk von ‚Mutter Erde’ an uns Menschen sein, neue Wege in eine humanere und lebenswertere Zukunft einzuschlagen. Freiwillig und in harmonischer Bequemlichkeit würden wir Menschen uns diese Gelegenheit niemals verschaffen, es muss und kann nur so geschehen, wie es gerade geschieht.“ Am besten wohl noch mit einem Gläschen Macadamia-Creme auf dem Tisch, wenn Nutella als richtig böse geoutet wurde. Allerdings: Der Fett- und Zuckergehalt bei Rapunzel ist auch nicht von schlechten Eltern, obwohl das Palmöl wohl ganz fehlt.

Und weil der erfolgreiche Bio-Unternehmer eben auch einer mit Visionen ist, ahnt er jetzt schon, dass diese Corona-Einschränkungen, gegen die er gerade noch so vermeintlich glühend gewettert hat, für sein Unternehmen schon in wenigen Jahren überaus erfolgreiche sein könnten, dann, wenn seine besonderen Produktionsbedingungen und sein Anspruch möglicherweise bald von ganz oben vorgeschrieben werden für die ganze Branche und er dann voranschreiten wird:

„In diesem Sinne bedanke ich mich bei allen Politikerinnen und Politikern für ihr Handeln, so wie es sich darstellt und bin voller Vertrauen in die Weisheit des Lebens und von „Mutter Erde“, dass genau das passiert, was uns Menschen zur weiteren Entwicklung dienlich ist. Ich für meinen Teil bin dankbar und bescheiden. Dasselbe wünsche ich euch allen auch – bleibt tapfer und werdet aktiv, falls ihr es noch nicht seid.“

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Leseraktion: Wie verliefen die Demonstrationen am Samstag?
War der Spagat zwischen Regierungskritik und Vorfreude auf steigenden Umsatz zu groß am frühen Morgen? Der Shitstorm tobt jedenfalls. Vorgeworfen wird ihm unter anderem, es für „einen natürlichen und evolutionär hilfreichen Vorgang“ zu halten, „wenn Menschen durch Krankheiten „natürlich ausgelesen“ (selektiert) werden.“ Das sei Sozialdarwinismus und Eugenik. Also ausgerechnet jene Eugenik, die auch aus rechten wie linken Kreisen am Engagement von Bill Gates erst angeblich identifiziert und dann kritisiert wurde. Ob er mag oder nicht: Joseph Wilhelm wird so in einem Atemzug genannt mit Verschwörungstheoretikern wie beispielsweise dem Veganer Koch Attila Hildmann, dessen Rezepte bis vor kurzem noch auf der Rapunzel-Website standen.

Zwischen 11:00 Uhr und 12 Uhr am heutigen Montag wurden die Wochenbotschaften dann bei Rapunzel vom Netz genommen. Dort heißt es jetzt: „Diese Seite ist vorübergehend nicht verfügbar. Wir bitten sie aktuell um etwas Geduld: unsere Stellungsnahme folgt.“

Es ist sicher lohnend, sich neben dieser amüsanten bis bizarren Streiterei um Worte und rotgrüne Kämpfe um Deutungshoheit einmal die Geschichte der Bio-Bewegung in Deutschland genauer anzuschauen. Eine Bewegung, die nicht erst seit Rapunzel aktiv ist, sondern zurückreicht bis in die deutsche Gründerzeit samt ihrer Aussteiger und die später auch die Nazis unter ihrem obersten Graupen-Suppen-Esser und Vegetarier inspirierte. So ist beispielsweise Renate Künasts Veggie-Tag keine neue Erfindung. Wer seine ältere Verwandtschaft befragt, der wird dort vom Eintopfsonntag erfahren, einer 1933 eingeführten Propagandaaktion. So schrieb das Magazin mit den meisten Hitler-Porträts auf dem Cover, also der Spiegel, noch Anfang 2019: „Für die Nationalsozialisten war Essen politisch. Eintopf und Vollkornbrot sollten helfen, den Krieg zu gewinnen.“

Ist Essen jetzt wieder politisch geworden? Wird den Kindern ernährungsbewusster und umsichtiger Eltern mit gehobenen Einkommen (Rapunzel kostet!) jetzt auch noch ihr gesundes Essen als Nazifraß versalzen? Ein Grinsen freilich bleibt unverkniffen, wenn der Grüne, der zum erfolgreichen Unternehmer geworden ist, wagt, mit einer Meinung auszuscheren aus dem Verbund der Gutmeinenden und gar von „Mainstream-Presse“ zu reden. Dann wird die alternative Klientel richtig giftig und verdaut sich einfach mal selber.

Solange die in allen politischen Lagern begehrten Rapunzelprodukte allerdings im Regal bleiben, darf amüsiert vom Spielfeldrand zugeschaut werden.

PS: Eine besonders amüsante weitere Passage der Wilheminischen Wochenschau übrigens die Szene, wo dieser große Lieferant der deutschen Veggie-Szene seinen Veggie-Kunden erzählt, wie er auf Reisen den nächsten Döner-Laden sucht, um sich dort so ein leckeres Schabefleischpaket im Fladenbrot einzuverleiben. Wohl bekomm’s!

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