Tichys Einblick
Österreich

Videokonferenz statt Klassenzimmer – kommt der Volkscomputer?

Kinder aus prekären Verhältnissen investieren mitunter über Jahre ein großes Maß an Energie, um ihre prekäre häusliche Situation vor Mitschülern und Lehrern zu verbergen. Ein ungleicher Kampf gegen Windmühlen in Zeiten massiver Einschränkungen.

imago images / Action Pictures

Die Bundeskanzlerin macht es ja seit Jahren: In Ermanglung der Ernsthaftigkeit, sich mit den Folgen der von ihr zu verantwortenden anhaltenden Massenzuwanderung auseinandersetzen zu wollen, hat Angela Merkel sich ein ums andere Mal öffentlich dem weniger kontaminierten Thema Digitalisierung für Deutschland gewidmet.

Das Land und die Kommunen klagen über eine unzureichende Vernetzung. Auch die deutsche Bürokratie ist in weiten Teilen immer noch eine analoge Geschichte von gestern. Jetzt rächt sich das in Folge der durchaus umstrittenen rigorosen Maßnahmen vom Hausarrest bis zu den Geschäftsschließungen zur Coronakrise, die doch so umfänglich auf die Funktionalität digitaler Prozesse angewiesen wären.

Ganz besonders auffällig wird dieses Defizit im Digitalen gerade wenn es um die Weiterführung des Schulunterrichts per Internet-Videokonferenz als Ersatz zum analogen Frontalunterricht geht. Hier sind es nicht nur technischen Hürden, was die Verbindungsstabilität und den flüssigen Datenverkehr angeht. In vielen Familien spielen sich jetzt Dramen ab, weil es keinen oder nur einen alten Computer gibt. Während besser situierte Familien über hochwertige stolz vorgezeigte klappbare Highendmarkengeräte verfügen.

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Schlechter gestellte Familien verstecken sich verschämt – so überhaupt ein Endgerät für diese Schulkinder zur Verfügung steht – beispielsweise hinter dem schon älteren Aldi-Gerät aus den ebay-Kleinanzeigen, das schon seine besten Jahre hinter sich hat: Hier reichen sich dann allerdings Kompatibilitätsprobleme die Hand mit massiven technischen Hindernissen, wenn so ein Gerät einfach zu veraltet ist, um die aktuelle Version eines Programms aufzuspielen, welches vom Lehrer aber zur Nutzung angewiesen wurde. Die soziale Trennwand wird hier gerade noch ein stückweit höher gemauert.

Und dabei ist ein weiteres Problem noch gar nicht angesprochen: Kinder aus prekären Verhältnissen investieren mitunter über Jahre ein großes Maß an Energie, ihre tatsächliche prekäre Situation zu Hause vor Mitschülern und Lehrern tunlichst zu verbergen. Tapfere kleine Krieger sind das angesichts der Situation im Elternhaus. Nein, nicht nur häusliche Gewalt, auch eine relative Armut von Vater und Mutter mit dem entsprechenden Mangel auch an finanzieller Zuwendung und sozialer Isolation. Hier retteten sich viele Kinder bisher aus der materiellen Armut direkt hinüber in die Anonymität der Kontaktarmut.

Aber was passiert, wenn nun auch noch dieser Schutzraum aufgebrochen, diese Barriere gebrochen wird, weil die Schule während der Coronakrise direkt per Videokonferenz der Lehrer in die Privaträume der Familien eindringt und die schon von der eigenen Armut gebeutelten Kinder in massive Handlungsnot bringt?

Was tun zum einen, wenn der Alltag nicht vorzeigbar ist? Wo verstecken mit der Kamera? Und noch basischer, wenn das Endgerät nicht zur Verfügung steht, das diese Konferenz überhaupt erst praktisch möglich macht?

In Deutschland gibt es schon seit Jahren eine Reihe von privaten Initiativen, die man aktuell nicht hoch genug bewerten kann: Menschen, die ehrenamtlich um gebrauchte Computer bitten, diese annehmen und auf einen aktuellen technischen Stand bringen wie beispielsweise die Computertruhe e.V., die möglichst viele Computer für bedürftige Menschen bereithalten wollen. Aber auch dieser Verein muss in der Corona-Krise die Fahnen streichen: „Spendenannahmen und – abgaben eingestellt – ausgenommen ist die Annahme von Sachspenden per Post.“

Der Stand der deutschen Digitalisierung geht so: Landesweit ist keine staatliche Maßnahme bekannt, die sich darum kümmert, dass alle Schüler flächendeckend und ohne Ansehen der Lebensumstände einen brauchbaren Computer zur Verfügung gestellt bekommen. Ein echtes Armutszeugnis für den Bildungsstandort Deutschland. Nein, mit dem einst als „Volkscomputer“ beworbenem Medion-Endgerät für etliche hundert Euro von Aldi hat auch das rein gar nichts zu tun.

Und wieder einmal sind es die Österreicher, die uns in der Coronakrise, wo so viele Schulkinder so einen Rechner zwingend brauchen, vormachen, wie es schneller und besser geht. Wien hat eine Idee und setzt diese sogleich um. Der Spiegel titelt darüber: „5000 Laptops für Kinder im Homeschooling.“

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Leihweise sollen diese internetfähigen Computer und Laptops Schülern ab der fünften Klasse und schon ab dieser Woche zur Verfügung gestellt werden. Eingekauft wurden sie von der Stadt Wien und auch gewartet von entsprechend geschulten Mitarbeitern. Wien leistet sich einen „Digital-Stadtrat“ also nicht nur pro Forma als Alibi für vermeintlichen Fortschritt. Bürgermeister Michael Ludwig wirbt für diese Aktion explizit auf seiner Internetseite ludwig2020.wien . Er schreibt dazu: „Wir lassen in Wien kein Kind zurück.“ und nennt es seine „„Home Schooling“- Offensive.“ im Rahmen einer „Wiener Digitalen Bildungsstrategie“.

Es wird darüber hinaus mit „Microsoft Office 365“ eine digitale Lernplattform kostenlos für alle Wiener, die sie benötigen, zur Verfügung gestellt. Weitere Ideen der Bevölkerung sind in Wien willkommen auf einer extra dafür installierten Internetseite www.partizipation.wien.at. Wer sich nun aber so weit aus dem Fenster lehnt, muss natürlich anschließend auch liefern. 5000 Computer sind zunächst ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass in Wien etwas ganz real passiert.

Aber da muss es natürlich weiter gehen. Wie sieht es beispielsweise in der österreichischen Hauptstadt mit den Internetanschlüssen und Verbindungsverträgen für in prekären Verhältnissen lebende Familien und dort insbesondere für solche mit Schulkindern aus?

Deutschland hat hier allen Grund mit einem neidischen Auge nach Wien zu schauen. Da mutet es schon ein bisschen – pardon – schwiemelig an, wenn hierzulande zunächst ganz zaghaft der Deutsche Philologenverband auf einmal wienerisch spricht und einen Laptop für alle Schüler fordert. Alle sollen das gleiche Endgerät haben. Auch dass sicher ein guter Ansatz um zu verhindern, dass auch hier über Markenprahlerei Schüler aus ärmeren Haushalten ausgegrenzt werden – rund um die gleiche Thematik wird übrigens schon länger auch die Frage von Schuluniformen diskutiert.

Und der Verband weiß auch, wie es zu bezahlen wäre, wenn in der digitalen Wüste Deutschland aus einem Bundesdigitalpakt gerade einmal erst fünf der zur Verfügung stehenden bisher 40 Millionen Euro abgerufen wurden. Wien legt vor. Was hindert die deutschen Kultusministerien eigentlich daran, einfach mal flugs nachzuziehen?

Nun macht halt mal was Sinnvolles.

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