Tichys Einblick
BKA-Papier über Corona-Proteste

Öffentlich-Rechtliche lassen BKA-Warnung vor Linksextremismus aus

Im MDR wird das Dossier des Bundeskriminalamts zu den Querdenkern uminterpretiert. Die wichtigsten Passagen ignoriert man und verbreitet so einen völlig falschen Eindruck vom Inhalt.

picture alliance / dpa | Soeren Stache

Caren Miosga hat ihn in den Tagesthemen als „Extremismusexperte aus dem Hauptstadtstudio“ vorgestellt: Michael Stempfle darf also einen Kommentar sprechen zu den in Baden-Würtemberg unter Verfassungsschutz(VS)-Beobachtung gestellten Querdenkern.Und der endet so: „Sorry, ein bisschen Beobachtung durch den Verfassungsschutz hilft da nur vordergründig.“

TE ruft in der Sache Michael Ballweg an. Der nämlich ist als Gründer der Querdenker unmittelbar betroffen von zukünftigen empfindlichen Eingriffen in sein Persönlichkeitsrecht, von Abhöraktionen oder was dem VS sonst noch dazu einfällt. Ballweg wirkt von den Ereignissen um die Querdenker in Baden-Württemberg ein wenig überrollt und drückt seine Verwunderung so aus: „Unbescholtene Bürger geraten in den Fokus des Verfassungsschutzes? Wieviel China haben wir eigentlich schon in Deutschland?“

Unbescholten? Ballwegs Treffen mit einem selbsternannten deutschen König wurde von Ballweg gegenüber TE als „Fehler“ bezeichnet. Ist er noch unbescholten? Tatsächlich wurde ihm und seinen Mitstreitern sein Unbescholtensein gerade in einem öffentlich gewordenen Geheimpapier des Bundeskriminalamtes indirekt bescheinigt, die eine Gefahr für den inneren Frieden eher von linksextremistischen Gegendemonstranten ausgehen sehen. Querdenker würden laut BKA von linksextremistischen Gewalttätern bedroht als vermeintlich Rechte, seien aber meist gar keine.

Wenn die Behörden aber davon wissen, was genau macht der Staat zum Schutz der Querdenker und anderer Kritiker der Regierung? Er ruft den Verfassungsschutz zur Überwachung herbei nicht etwa der gewalttätigen Linksextremisten, sondern seiner Opfer und potentiellen Opfer.

Nun ist der öffentlich-rechtliche Scharfmacher Michael Stempfle keineswegs die Ausnahme. Verglichen mit dem, was seine öffentlich-rechtlichen Kollegen vom Mitteldeutschen Rundfunk sich zum selben Thema zusammengebastelt haben, ist er noch vergleichsweise maßvoll. Der MDR nämlich veröffentlicht eine dermaßen krude Interpretation des BKA-Papiers, getrieben offenbar von der Absicht, darin das Gegenteil dessen zu zeigen, was das Fazit der umfangreichen Ermittlungen des BKA anbietet. 

TE titelte nach Analyse des Geheimdossiers aus dem Bundeskriminalamt: „Bundeskriminalamt: Querdenker-Demos nicht rechts, Gewalt droht von links“.
Die Belege dafür sind eindeutig und werden von den Schlussfolgerungen des BKA untermauert: „Demzufolge können eine umfassende Beeinflussung bzw. Unterwanderung des Protestgeschehens durch die rechte Szene aktuell nicht konstatiert werden.“ Im Gegenteil: Das BKA bescheinigt außerdem, dass die organisierten Gegendemonstrationen quasi Magnet seien für „gewaltorientierte() Personen der linken Szene“. Diese linksradikale Gegenbewegung würde die Querdenkerdemos laut BKA als fälschlicherweise von Rechten dominiert betrachten. Es wird noch drastischer: Das BKA warnt im Zusammenhang mit Corona-Demonstrationen vor „antifaschistischen Interventionen in Form von (schweren) Gewalttaten“ und davor, dass die linke Szene hier Rechte ins „Zielspektrum“ nehmen könnten, die gar keine wären. Das würde im Übrigen auch für Polizeikräfte gelten, die in diesen Fokus geraten könnten.

Aber was macht der MDR? Er titelt vollkommen losgelöst von der Erde, dem BKA-Papier und mit einem gehörigem Potenzial an Verunglimpfung: „BKA warnt vor Übergriffen von radikalen „Querdenkern“.

Diese Behauptung kann man nur aufstellen, wenn man einzelne Stellen des Dossiers aus dem Gesamtzusammenhang des Textes. Als Zusammenfassung des Inhaltes ist diese Überschrift wie auch der ihr folgende MDR-Online-Artikel untauglich bis grob verzerrend.

Schon unter Punkt 2 stellt das BKA fest, dass kleine Veranstaltungen „überwiegend friedlich verlaufen“, größere häufig geprägt seien von „einer geringen Akzeptanz polizeilicher Maßnahmen und erheblichen Verstößen gegen geltende Hygiene- und Abstandsregeln.“ Tatsächlich befürchtet das BKA bei Einzelpersonen ein Voranschreiten der Radikalisierungstendenz. Aber diese wohl der Vollständigkeit halber aufgeführten Befürchtungen werden im Fazit relativiert und lassen keineswegs jenen Schluss zu, den der MDR ziehen will.

Das BKA schreibt: „Die Gewaltausübung (Red.: die zuvor noch mutmaßliche) scheint jedoch insgesamt von einer „radikalen“ Minderheit auszugehen“, die zudem nur schwer definierbar wäre. Das Wort „radikalen“ wurde hier vom BKA ausdrücklich bereits in distanzierende Anführungszeichen gestellt. Man ist also im BKA wohl nicht einmal sicher, ob diese wenigen Verdächtigen überhaupt das Potenzial mitbringen, sich an was auch immer zu radikalisieren. Dem MDR freilich reicht das für die These in der Überschrift. Der Rest passiert dann einfach im Artikel.

Das BKA schreibt, dass „eskalierende Ereignisse“ eine Radikalisierung weniger Teilnehmer unter den Querdenkern auslösen könnten. Und welche das sind, schreibt das BKA im weiteren Verlauf, wenn eindringlich von linksextremistischen Übergriffen gegen Querdenker die Rede ist, gegen Querdenker die von linksradikalen Gewalttätern laut BKA fälschlicherweise als Rechte betrachtet werden.

Spannend hier übrigens die ergänzende Frage, ob denn Gewalt gegen tatsächliche Rechte in den Augen des BKA zwar juristisch genauso kriminell aber weniger schlimm wäre. Der Eindruck könnte tatsächlich nach Lektüre entstehen.

Und tatsächlich ganz kleinlaut im weiteren Verlauf des Artikels des MDR zitieren die Autoren das BKA auch dahingehend, dass die Gewaltausübung jedoch von einer radikalen Minderheit auszugehen scheint. Also die mutmaßliche ebenso, wie eine tatsächliche?

Aber all diese Beobachtungen und Analysen des BKA zu einer mutmaßlichen oder tatsächlichen Gewaltbereitschaft innerhalb der Querdenker-Bewegung finden Platz im ersten Teil des öffentlich gewordenen Dossiers. Sie sind also quasi noch Bestandsaufnahme und These, denen im weiteren Verlauf des Dossiers harte Antworten folgen, die auf Basis einer präzisen Lesart nur ein Fazit im Sinne der TE-Überschrift zulassen: „Bundeskriminalamt: Querdenker-Demos nicht rechts, Gewalt droht von links“.

Kommt dieser Schluss viellicht doch noch am Ende des MDR-Artikels? Da kommt tatsächlich nur noch Werbung in eigener Sache, beispielsweise eine MDR-Heute App wird angeboten mit der Überschrift: „Noch mehr Nachrichten finden Sie hier:“ Haben wir geklickt, aber auch da war das fehlende so unerlässliche Ende des Artikels auch nicht zu finden. Tatsächlich wurde es nie geschrieben! Das wichtige Fazit des BKA zur eigentlichen Gefahr aus dem linksextremen Spektrum der Gegendemonstranten fehlt beim MDR vollständig.

Wie eingangs erwähnt, wird Tagesthemen-Kommentator Stempfle von Carin Miosga als „Extremismusexperte aus dem Hauptstadtstudio“ vorgestellt. Der allerdings übersetzt Extremismus mit Rechtsextremismus, ein linker Extremismus passt offenbar nicht in sein Weltbild. Aber beide Extremismuserscheinungen, das ist die Tragik, die das BKA-Geheimpapier letztlich herausgearbeitet hat, entfesseln sich auch durch Impulse von außen. Zu denen könnten vielleicht sogar journalistische Fehlleistungen gehören.

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