Tichys Einblick
Querdenken rundumerneuert?

Es geht wieder los: Michael Ballweg kündigt Großdemonstration in Berlin an

Zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule bahnt sich für den kommenden Sommer neues Ungemach an: Die Querdenker wollen es noch einmal wissen. Jedenfalls ist das der Traum von Michael Ballweg. Ist er ein Nostalgiker oder erneuerte er seine Rolle als Staatsfeind Nummer eins?

Ende August 2020 berichtete TE von einer Großdemonstration auf der Straße des 17. Juni, die Michael Ballweg organisiert hatte. Der Stuttgarter hatte Querdenker aus ganz Deutschland zusammengerufen, um gegen die Corona-Maßnahmen der Merkel-Regierung zu protestieren.

Wohl annähernd einhunderttausend Bürger folgten diesem Ruf, über die tatsächlichen Zahlen wurde damals heftig gestritten. Der 29. August war bereits der zweite Durchgang einer Querdenken-Demonstration vom 3. August 2020 gewesen.

Vier Jahre später will es Ballweg noch einmal wissen. Der inzwischen 49-Jährige plant erneut eine Großdemonstration zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor. Aber allein mit Nostalgie hat das nichts zu tun, Ballweg saß über neun Monate in Untersuchungshaft in Stuttgart-Stammheim. Er selbst sieht sich rückblickend als politischen Gefangenen; Solidaritätsdemonstrationen vor dem Gefängnis begleiteten immer wieder die lange Haftzeit.

Gemessen an der Zahl der Regierungskritiker, welche Michael Ballweg mit seiner Querdenken-Bewegung aktivierte, muss er für die Staatsorgane zeitweilig so etwas wie ihr Staatsfeind Nr. 1 gewesen sein. Jedenfalls bei jenen Vertretern der Bundesregierung, die eine unberechenbare starke außerparlamentarische Opposition nicht zuerst als für die Demokratie förderlich, sondern als regierungsfeindlich betrachteten.

Aber formell saß Ballweg gar nicht wegen der von ihm ins Leben gerufenen politischen Bewegung in Untersuchungshaft, sondern wegen des enormen Spendenaufkommens seiner Anhänger, von dem Staatsanwälte behaupteten, Ballweg hätte es nicht so verwendet, wie es von seinen Spendern gedacht war.

Ballweg ist wieder auf freiem Fuß, sein Haus ist weg, seine Ehe ging in die Brüche, er hat mit seinem Weggefährten Anwalt Ralf Ludwig ein Interview-Buch geschrieben und ihm wurde vor wenigen Tagen ein Teil seines Vermögens zurückgegeben.

Dieses Geld will Ballweg jetzt erneut für eine Großdemonstration in Berlin einsetzen, verbreitet eine Presseerklärung der Stuttgarter Sektion der Querdenken-Bewegung:

„Mit der Rückgewinnung eines Teils seines Vermögens setzt Ballweg erneut seine Ressourcen für die Bewegung ein, dieses Mal für eine weitere große Demonstration in der Hauptstadt.“

Ein Absatz, der extra dick gedruckt wurde. Dieser Bezug zum Geld bekommt hier den Charakter einer mahnenden Erinnerung: Bitte nicht vergessen, ich habe schon 2020 mein ganzes Privatvermögen eingesetzt. Eure Spenden kamen erst viel später.

Für oder gegen was soll am 3. August 2024 demonstriert werden? Zwischenzeitlich ist viel Wasser den Neckar und die Spree heruntergeflossen. Mit dem Ende der Pandemie und den Corona-Maßnahmen ist der zentrale Anlass des Querdenken-Protestes schlichtweg weggebrochen. Ballweg selbst hat dieses langsame Ausschleichen des Virus allein hinter Gittern erlebt.

Die Querdenken-Bewegung verlor nach 2020 in der öffentlichen Wahrnehmung ihre Unschuld. Beteiligt daran waren Politik und Medien und eine Exekutive, die Querdenker auf Demonstrationen wie Schwerverbrecher behandelte. Man will annehmen, dass die involvierten Polizisten die Bilder ihrer Arbeit aus den Corona-Jahren heute nicht mehr so gerne betrachten.

Merkel und Corona sind Geschichte. Heute steht die Arbeit der Ampel-Regierung und der seit Februar 2022 tobende Ukrainekrieg im Fokus der Kritik vieler der damaligen Corona-Maßnahmenkritiker und Querdenker. Hier kommt Ballweg jetzt zugute, dass er schon relativ früh erkannte, dass die Corona-Maßnahmen samt der Debatte um den Impfzwang nur ein Symptom der Verwerfungen sind. Ballweg setze immer auf das Grundgesetz, die Meinungsfreiheit und auf „Freiheit, Frieden und Demokratie“.

Was 2020 den Ruch von „Friede, Freude, Eierkuchen“ hatte, könnte allerdings 2024 der Überlebensretter der Bewegung sein. Eine Querdenken-Pressemitteilung schreibt über ihren Gründer und das kommende Event am 3. August 2024 in Berlin:

„Er appelliert an Unternehmer, Landwirte, Studenten, Beamte und Oppositionsparteien, sich friedlich der Demonstration anzuschließen und sich für Grundrechte, ihre Menschenrechte und eine zukunftsfähige Gesellschaft einzusetzen.“

Unternehmer und Bauern sollen sich an der Demonstration beteiligen und, so Ballweg weiter, aufstehen „für die Freiheit des Unternehmertums und einen rücksichtsvollen und bewussten Umgang mit der Natur“. Eine gute Lebensmittelproduktion sei essenziell für eine gesunde Gesellschaft.

Die Demonstration am 3. August 2024 ist von Querdenken als Auftakt für ein mehrtägiges Ereignis angelegt. Ballweg will wie schon 2020 erneut auf Eigeninitiativen setzen, er stellt nur den Rahmen zur Verfügung für Initiativen und Einzelpersonen, die alle ihre eigenen Themen und Ideen auf Demonstrationstrucks vorstellen sollen.

Vor vier Jahren gab es nicht nur eine, sondern gleich ganz viele Anmeldungen von Einzeldemonstrationen. Dieses Prinzip hat sich offenbar bewährt, so kann nie eine Demo allein verboten werden.

Ballweg schreibt über den genannten „Rahmen“:

„Diese Plattform soll dazu dienen, den von der Regierung immer weiter eingeschränkten Debattenraum zu öffnen, fortschrittliche Konzepte für eine bessere Gesellschaft zu teilen und Mitmachangebote zu schaffen.“

Noch etwas zur aktuellen Lage: Unbestritten haben sich die Fronten seit 2020 verhärtet. War es den Linksradikalen und Linksextremisten 2020 phasenweise noch peinlich, die Klatschtruppe für Merkel zu spielen, bekennen sich heute Regierungsmitglieder zur Antifa. Und war es 2020 gar nicht so leicht, gleich jeden Kritiker der Bundesregierung zum „Nazi“ zu machen, gehört dieses diffamierende Bashing mittlerweile zur Routine des polit-medialen Komplexes und ihrer Entourage.

Angesichts der neuesten Pläne der Ministerinnen Faeser und Paus und ihres obersten Verfassungsschützers Haldenwang sollte man zudem annehmen, dass Michael Ballweg die besten Karten für seine Demo 2.0 schon in der Hand hält. Andererseits kann man nicht von der Hand weisen, dass Ballweg auch intern viele Kritiker dazugewonnen hat.

Die Anklagen gegen Ballweg waren so schwerwiegend, der begleitende Medienshitstorm so umfassend, dass – ob nun zu Recht oder nicht – auch unter den begeisterten Gefolgsleuten von 2020 mittlerweile ein Teil misstrauisch geworden ist und ihm ablehnend gegenübersteht. Das jedenfalls scheinen entsprechende Debatten in den sozialen Medien hinreichend zu bestätigen.

Kann Michael Ballweg mit seinem ambitionierten Vorhaben scheitern? Das hängt alleine von seinen Erwartungen und der Messlatte ab. Wenn er die Querdenken-Großdemonstrationen von 2020 als Maßstab nimmt, dann könnte es eng werden.

Wenn Ballweg hingegen jene Messlatte aufnimmt, die Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer vor dem Brandenburger Tor aufgelegt haben, als sie vor einem Jahr einen „Aufstand für Frieden“ probten, dann könnte es ein gutes Ende für Ballweg nehmen: Damals sprach die Polizei von etwa 13.000 Demonstranten und Wagenknecht von 50.000, die gekommen waren.