Tichys Einblick
Peinlich

Matussek und sein Praktikant 

Wenn der Lehrling Bilder von seinem alten Meister macht, kommt gar nicht so selten ein Selbstbildnis raus.

Verlassene, Geschiedene und Getrennte kennen das vom ersten gegenseitigen Besuch nach dem großen Knall: Von Null auf Nichts müssen alle zwischenmenschlichen Bande neu verhandelt werden. Eingeschliffene Verhaltensweisen aus langjährigen Abhängigkeiten sind vakant geworden. Wer jetzt nicht vorsichtig abtastet, sich mit aller Kraft zur Mäßigung zwingt, der knüpft nahtlos an: An diese Explosionen, die noch so schmerzhaft in Erinnerung sind.

Wir reden über die Kriege des Journalisten Matthias Matussek. Präziser: Die ZEIT redet über Matussek. Online und auf zwei Seiten in der aktuellen Ausgabe. Bevor wir zum Inhalt kommen, ein Blick auf das Layout: Wer Print-Ausgaben von Zeitungen längst eine Absage erteilt hat, könnte hier schwach werden. Ein Christian Kracht bräuchte wohl Jahre, um auf diese Idee zu kommen bzw. von der Idee ausgehend vor die Kamera zu schreiten, Matussek macht es einfach. Und wir dürfen annehmen, es war eine Bauchentscheidung. Ein Bauch, über den gleich noch zu reden sein wird. Wir sehen viel Rauch auf diesem Foto. Aber nicht um Nichts, sondern um Matussek, der gerade eine Rauchwolke ausstößt, als hätte er an zehn Zigaretten gleichzeitig gezogen. Viel interessanter aber dabei: Dieser weiße Rauch umhüllt sein Gesicht in der Momentaufnahme wie der aufgebauschte weiße Bart des Kaiser Franz Joseph.

Mehr Symbolik geht kaum. Und dieses Foto wurde eine Überschrift zugeordnet, die es ebenfalls in sich hat, wenn auch weniger vielschichtig, wenn ZEIT-Autor Malte Henk titelt: „Überwerfung“. Also das Pendant zu „Unterwerfung“ setzt, zu dieser sanften Islamisierungs-Dystopie aus der Feder Michel Houellebecqs.

Nicht weniger, als die Überwerfungsarchitektur der Matussekschen Seele zu erklären, hat sich der Autor vorgenommen, der sich einst selbst als kleiner unbedeutender Autor dem damaligen Spiegel-Kulturchef Matussek unterwarf, als der sich herab ließ, einmal einen Text des Praktikanten Henk zu loben.

„Matussek erschien mir damals mächtig und bewundernswert“, schreibt der Autor also eingangs. Und weil das fast kindisch klingt und wie eine vorgeschobene Entschuldigung, gleich als erwachsener Journalist mit schweren Geschützen anzulegen und abzudrücken, legt Henk nach: „Tja, einiges passiert seit damals. Heute steigt er bei einer Merkel-muss-weg-Demo auf eine Bierkiste.“

Nein, das sind nicht die Worte eines Enttäuschten, eher die einer Bestätigung, eine Selbstverortung aus dem Schatten des einstigen Übervaters heraus, der von dieser Vaterschaft zu allem Überfluss nie gewusst hat. Eine Abnabelung? Auf jeden Fall denkbar ungünstige Voraussetzungen, nun glaubhaft zur Vernichtung zu schreiten.

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Und so peinlich wie befürchtet gerät es dann auch, wenn Henk das Gespräch zwar sucht und Audienz bekommt, aber hintenrum mit dreien der vier Brüder Matusseks spricht, um sich – wie er wohl hoffte – Bundesgenossen zu versichern, wenn er seine verbalen Schrotladungen, zu denen wir gleich kommen werden, in Matussek verballert. Und die Brüder liefern angeblich. Sie seien „fassungslos“, will Henk herausgehört haben. Aus ihren Worten hätte aber „Sorge“ und „Liebe“ gesprochen.

Nein, man will es kaum gelesen haben, mit welcher Hinterlist hier agiert wird vom ZEIT-Autor. Das muss man sich erst einmal trauen, ohne Schamflecken zu bekommen. Aber diese Befleckung wird an ihm haften bleiben. Zwei Worte wären immer wieder gefallen: „Narzissmus“ und „Internet“. Und dann die irre Interpretation der peinlichen Befragungen durch den Hinterhältigen: „Die Familie scheint in Matthias eine Art Christiane F. des Rechtspopulismus zu sehen, verführt vom Dealer Facebook und jetzt schwer provokationssüchtig.“

Nun ist das Innenverhältnis zwischen Geschwistern kaum geeignet, diese als Kronzeugen zu missbrauchen. Henk macht es trotzdem. Weil er nun aber ahnte, weil Henk nun ahnte, dass das schief gehen muss, benutzt er einen Kunstgriff: Er erinnert sich an seine Zeit mit Matussek, an die sich Matussek selbst kaum erinnern wird. Nicht, weil er etwa im Christiane F.-Modus gewesen wäre, sondern schlicht deshalb, weil der belobigte Artikel des Praktikanten nicht die anhaltende Wirkung bei ihm gehabt haben mag wie beim Praktikanten, den sie immerhin zur ZEIT geführt hat. Zu einem Doppelseiter, zu so etwas wie einer Vater-Sohn-Konfliktkiste, ohne dass sich der Erzeuger – wie gesagt – überhaupt an die Vaterschaft erinnern könnte.

„Aber von dieser Droge kriegen sie ihn einfach nicht runter.“, interpretiert Henk die Brüder einfach weiter. Und weil das nun alles sehr dünnes Eis ist und die Redaktion ganz sicher nervös geworden ist, sich womöglich gefragt haben wird, ob diese Telefonate tatsächlich so stattgefunden haben, sichert Henk sich ab: Er hätte für Matusssek, als der noch Kulturchef des Spiegels war, ein Porträt eines Punkmusikers geschrieben. „Ich glühte vor Stolz, als Matussek mich dafür lobte.“ Aber der Lobende hätte in Henks Text damals noch einen Satz hineingedichtet. Einen einzigen. Der sei aber so nicht wahr gewesen, als Matussek dem Punker die Worte in den Mund gelegt haben soll: „Ich werde weltberühmt.“ Und Matussek, als Henk intervenierte, erklärt dem Praktikanten, der Punker könnte es aber gesagt haben. Das ist in der Nacherzählung sehr witzig, wenn es aus dieser monochromen Zeit des auslaufenden Goldgräber-Journalismus herüberweht. Matussek ist über ein Jahrzehnt später für Henk deshalb allerdings so etwas wie ein früher Protagonist der „Lügenpresse“.

Blick zurück - nach vorn
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Henk ist der Mann mit dem Elefantengedächtnis, dann, wenn es um seine ersten kleinen Texte für den Spiegel geht. Er ist aber auch das Männlein mit der Haltung einer Maus, wenn es darum geht, dem Elefanten von damals zwischen den nun etwas wackeligeren Füßen herum zu springen. Was für ein Elend. Und unabhängig von Matusseks Bierkiste oder Facebook-Smiley einer der kläglichsten Versuche, die es zu lesen gibt, einem am Zeug zu flicken, eben deshalb. „Ich“, „Ich“, „Ich“, schreibt Malte Henk,. Als wolle er sich versichern, neben Matussek noch da zu sein: „Er hat immer noch dieses Schwergewichtshafte, groß und wuchtig ist er, aber auch weicher und müder als damals.“, befindet der Schütze mit der Kotschleuder zu Beginn des Gesprächs hoffnungsvoll.

Und natürlich macht Matussek verheerende Fehler. Besonders dann, wenn er einen wie Henk mit in seine Wohnung nimmt und der dann über das Interieur und die Umstände erzählt, während er wahrscheinlich gastfreundschaftlich bewirtet und versorgt wurde. Henk dankt es damit, Matusseks Elfenbeinturm als so etwas wie eine düster verdreckte Messiebude zu beschreiben. Wer die Wohnung Matusseks kennt – und wenn auch nur aus zahleichen Facebook-Fotos – weiß vom Gegenteil.

„War nicht ganz sachlich geschrieben, hat aber Spaß gemacht.“, erklärt Matussek Henk das Zustandekommen des „aufgeschwemmten Mausepaul“ gegen den Journalisten Niggemeier. Und Henk resümiert nun dazu: „Ein Satz, der alles zusammenfasst.“ Vergisst dabei aber leider, dass es exakt dieser Billigjournalismus ist, der dazu führt, dass Matussek daran nie untergehen kann, wenn er es nicht selbst so will. Immer werden sich Verteidiger finden, die einen wie Henk eben als Henk erkennen. Weil Henk abliefert. Weil er zwar ebenfalls die Eitelkeit des Feuilletonisten besitzt, weil er davon träumt, Edelfeder zu sein, aber immer wieder nur als gerupftes Huhn herausgeht, welches den tollkühnen Versuch unternahm, beim Pfau im Schälchen zu picken. Eigentor eines Tors.

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Nun ist Matthias Matussek tatsächlich auch der Mann auf der Bierkiste. Der im Selbstversuch noch einmal eine jener deutschen Revolutionen nachspielen wollte, über die er so viel gelesen und erzählt hat. Damals aus der Beobachterperspektive, jetzt als Akteur. So etwas kann schief gehen. Aber woher weiß Henk eigentlich, dass ihm das nicht irre Spaß gemacht hat? Wir wissen ja nur davon, weil jemand mit dem Smartphone draufgehalten und es aufgenommen hat für die Youtube-Ewigkeit. „Widerstand!“ skandiert Matussek gegen Merkel. Inhaltlich alles im grünen Bereich. Seehofer sagt das gleiche, nur anders und bei Maischberger auf dem Sofa. Da saß Matussek auch schon öfter. Früher. Nun eben die Bierkiste.

Getauscht, weil ihm langweilig wurde? Weil er aus Selbsterhalt unbewusst auf  Selbstzerstörungsmodus geschaltet hatte? Er hätte ja einfach da sitzen bleiben können bei Maischberger und Co und einfach älter werden und älter. Eine Unterwerfung an eine schleichende Lähmung? Was man sagen muss und darf, um diesen Platz besetzt halten, wer wüsste es besser?

Mehr Klicks als jeder Talkauftritt jedenfalls bekam die Bierkiste. Und wenn das die Währung von heute ist, dann war es der große Artikel im Feuilleton früher. Damals, als die Zeitungen noch Auflagen hatten. Als Matussek Kuturchef war und Henk sein Brosamen-Praktikant. Und hier wollen wir gerne zum Abschluss noch einmal Henk zitieren: „Ein Satz, der alles zusammenfasst.“