Tichys Einblick
Die NGO-Schiffe kommen wieder

Macht Spanien die Grenzen dicht?

Die Nichtregierungsorganisationen haben sich neu aufgestellt: Insbesondere in Deutschland mithilfe multipler privater Kräfte und einer Reihe neuer Schiffe, die wieder begonnen haben, vor den nordafrikanischen Küsten ihre „Seenotrettungsdienste“ anzubieten. Zur Freude der Schleuserbanden.

Migrants are transferred upon their arrival aboard a coast guard boat at Malaga's harbour on September 23, 2018, after an inflatable boat carrying 117 immigrants, 34 of them women and 4 children, was rescued by the Spanish coast guard off the Spanish coast.

JORGE GUERRERO/AFP/Getty Images

Schweden und Dänemark sind keine Mittelmeeranrainerstaaten und illegale Zuwanderung kommt nicht über die Ostsee, dennoch hat Schweden schon Ende 2015 über die Schengen-Idee hinweg erste Anstalten zur Grenzsicherung gemacht und das Ende einer „liberalen Flüchtlingspolitik“ ins Auge gefasst. Dänemark zog fast zeitgleich nach.

Italien brauchte hingegen einen Regierungswechsel, um mit dem Schutz seiner viele tausend Kilometer langen Küsten vor illegaler Zuwanderung ein gigantisches Vorhaben in Angriff zu nehmen. Das allerdings geschah dann auf eine Weise gründlich, dass Schiffe der Nichtregierungsorganisationen (NGO) und von der Seenotleitstelle in Rom verpflichtete weitere zivile und Marineschiffe Spanien als neuen HotSpot ins Auge fassten bzw. die im Vergleich zur Route Nordafrika-Italien viel kürzere Strecke nach Spanien zur selbstständigen Überfahrt nutzten.

Nun ist die italienische Küste keine Schengenraum-Innengrenze, sondern EU-Außengrenze. Und solange der Schutz dieser Außengrenzen nicht lückenlos oder wenigstens ansatzweise gewährleistet werden kann, besteht Handlungsbedarf, dachte sich jedenfalls die italienische Regierung und begann damit, Schiffe, die von Afrika kommend Zuwanderer und Flüchtlinge nach Europa brachten, in italienischen Häfen abzuweisen.

Noch mehr, als immer klarer wurde, dass die zur Grenzsicherung angetretene gesamteuropäische Marineoperation EUNAVFOR MED Operation Sophia, die sich auf die Fahne geschrieben hatte, „gegen Schleusernetzwerke“ vorzugehen, letztlich von den NGO-Schiffen über Meldungen an die Seenotleitstelle in Rom zur Aufnahme von in Schlauchbooten auf ihre Überfahrt wartenden Zuwanderern verpflichtet wurden.

Geschäftsmodell "Seenotrettung"
EU-Operation Sophia bekämpft keine Schleuser, sondern hilft ihnen
Die Schiffe der Operation Sophia zogen sich zeitweise weit von den afrikanischen Küsten zurück, um sich hier zu entziehen bzw. stoppten sie den Einsatz gleich gänzlich. Tagesschau.de meldete im Juli diesen Jahres: »Italien will keine Bootsflüchtlinge mehr aufnehmen. Dies soll auch für die Schiffe der EU-Marine-Mission „Sophia“ gelten. Laut Medienberichten sind nun alle Schiffe zurück in die Häfen beordert worden.«

Auch die Einsätze der NGO-Schiffe wurden ab 2017 trotz umfangreicher Unterstützung beispielsweise von beiden Kirchen in Deutschland und weiteren politischen und gesellschaftsrelevanten Playern zunehmend behindert. Zeitweilig stand die „private Seenotrettung“ vor dem aus. Der italienische Innenminister Matteo Salvini nannte die Besatzungen der NGO-Schiffe gar „Vize-Schlepper“. Malta legte nach und kündigte eine Untersuchung gegen einen Kapitän eines NGO-Schiffes an.

Ende einer Schifffahrt
Italien, NGOs und Schleuser
Nun haben sich die Nichtregierungsorganisationen neu aufgestellt. Insbesondere in Deutschland befürworteten und finanzierten multiple private Kräfte eine Reihe neuer Schiffe, die neuerdings wieder begonnen haben, vor den nordafrikanischen Küsten ihre „Seenotrettungsdienste“ anzubieten. Mit gesellschaftlicher Ächtung wird zeitgleich denjenigen gedroht, die es beispielsweise wagen, darauf hinzuweisen, dass die Zahl der Ertrunkenen im Mittelmeer in der Phase geringerer Aktivitäten der Seenotretter zurückgegangen ist (Vergleich Zeitraum 2017 mit 2018).

Dagegen argumentiert wird in etwa so: Dafür seien eben viel mehr Migranten nach Europa gebracht worden. Und tatsächlich sind es zumindest anteilig und prozentual mehr Migranten, die sterben, wenn weniger NGO-Schiffe fahren. Aber wie zynisch ist das eigentlich, wenn nicht mehr geschaut wird, wie viele Menschen in absoluten Zahlen sterben, sondern wenn diese Migranten als eine Art Kollateralschaden hochgerechnet werden mit den erfolgreich nach Europa verbrachten?

Weil nun aber die italienischen Häfen viele Anlandungen blockieren bzw. regelmäßig verzögern, ist jetzt Spanien neuer HotSpot geworden. Die Welt schreibt dazu aktuell: „Mehr als 10.000 Menschen gelangten im Oktober nach Spanien. So viele wie noch nie zuvor. Jetzt rüstet die sozialistische Regierung in Madrid Grenzpolizisten in Marokko auf – und verabschiedet sich von der Willkommenskultur.“

Hatte die linke Bürgermeisterin von Barcelona noch Mitte 2016 verkündet, sie wolle aus Barcelona eine Aufnahmestadt machen und hatte der Chef der spanischen Sozialisten die geringen Aufnahmequoten Spaniens im selben Jahr eine Schande genannt, reagiert Spanien nun in genau dem Moment, wo die illegale Zuwanderung sich den Verhältnissen vormals an den italienischen Küsten annähert.

Bezogen auf die Ankünfte an Spaniens Küste sagte Joel Millman, Sprecher der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gegenüber der Welt „Noch nie zuvor wurde unseres Wissens eine derart hohe Zahl erreicht.“

Die Willkommenskultur von Pedro Sánchez auf Eis?

Nun ist die Willkommenskultur des sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez also quasi pünktlich mit dem Ansteigen der illegalen Zuwanderung über das Mittelmeer auf Eis gelegt worden. Die Küstenwache meldet täglich via Twitter die neuesten Zahlen der Ankünfte, die spanischen Städte in Küstennähe suchen händeringend nach adäquaten Unterbringungsmöglichkeiten und, so wieder die Welt: „Wenn die Turnhallen nicht mehr ausreichen, müssen die Flüchtlinge direkt im Hafen auf einem der Rettungsboote übernachten oder gar in den Innenhöfen der Polizeiwachen.“

Nun muss auch hier wieder daran erinnert werden, dass die meisten der Ankommenden nur ein Ziel kennen: nämlich Deutschland. Sie werden also nicht in Spanien bleiben, wenn man sie nicht zwingt. Und die fehlende innereuropäische Grenzsicherung wird hier durchaus als Einladung zur Weiterreise verstanden. Und selbst die, die festgesetzt werden, müssen nach aktuellem spanischem Gesetz binnen 60 Tagen wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Abschiebungen werden zwar, wie zuletzt im August medienwirksam inszeniert, dabei dürfte es sich allerdings um symbolische Maßnahmen handeln als um den effektiven Aufbau einer Drohkulisse, welche illegale Zuwanderung nachhaltig verhindern könnte.

Kommentare und Hinweise der Leser
NGOs und Schleuser im Mittelmeer ll
Und es ist sicher noch einmal etwas anderes, wenn Zuwanderer aus den nordafrikanischen Enklaven der Spanier abgeschoben werden, als wenn das vom spanischen Festland aus passieren würde, was ja dann wiederum Schiffe in die umgekehrte Richtung auf den Weg bringen müsste. Mal davon abgesehen, dass die Staaten Nordafrikas dann ihrerseits die Einfahrt in die Häfen verweigern würde, der Aufschrei der internationalen Presse wäre unüberhörbar. Aber ein paar tausend Migranten wurden dann doch noch erfolgreich abgeschoben, als Spanien durchsetzte, dass zwischen Juni und August mehr als 19.000 Menschen in ihre Heimatländer zurückgeflogen und dort nicht abgewiesen wurden. Aber wird das ausreichen, eine Abschreckung in Gang zu bringen, wenn die Schiffe der NGO wieder auf dem Mittelmeer operieren und wenn diese Operationen von den Schleusern binnen Stunden lokalisiert werden?

Was war eine der ersten Amtshandlungen des neuen sozialistischen Innenministers? Er besuchte seinem marokkanischen Amtskollegen „und versprach den Marokkanern mehr finanzielle Unterstützung im Gegenzug dafür, die Flüchtlinge zurückzuhalten.“ Neben umfangreichen finanziellen Zuwendungen – alleine die EU unterstützt mit 140 Millionen Euro die spanische Kooperation mit Marokko – erhielt Marokko von Spanien 75 Geländewägen, um seine Patrouillen an der marokkanischen Küste ausweiten zu können.

Nichtsdestotrotz ahnt die Bunderegierung natürlich, was auf Deutschland zu kommt, wenn schon im August 2018 Helmut Teichmann, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, gegenüber der Bild am Sonntag sagte: „Wir befürchten, dass sich viele Migranten auf den Weg nach Frankreich, den Beneluxländern und Deutschland machen könnten.“ „Wir haben der spanischen Regierung unsere Unterstützung angeboten“, so Teichmann weiter. Aber wie sollte so eine Unterstützung aussehen, wenn nicht darin, eine Weiterreise nach Deutschland irgendwie zu verhindern? Dieses Hilfsangebot als ein vergiftetes zu erkennen, dürfte Spanien nicht allzu schwer fallen.

Fassen wir also zusammen: Wenn die neue konsequente Haltung Italiens die Problematik illegaler Zuwanderung nur weiter nach Westen an die spanischen Küsten verlagert hat und wenn nun Spanien seinerseits einen härteren Kurs fahren will, welcher Weg wird der nächste sein, welcher außereuropäischer Grenzabschnitt wird der kommende HotSpot werden?

NGO holen illegale Einwanderer ohne Rücksicht auf Opfer

Europa ist in Alarmbereitschaft: Aber nicht ganz Europa, wenn NGO mit Unterstützung von Kirchen, Medien und weiterer gesellschaftsrelevanter Gruppen ihre Schiffe wieder aufs Mittelmeer hinausschicken, wo diese dann wiederum neue Hoffnungen machen, wo sie in wenigen Stunden von den Schleppern entdeckt werden, die dann ohne Rücksicht auf Verluste wieder nach gewohntem Muster ihre Schlauchboote ins See stechen lassen.

Laut BND-Berichten gibt es aktuell drei Hauptrouten, auf denen Illegale von Marokko nach Spanien gelangen: „Durch die Meerenge von Gibraltar, das Meer von Alboran (zwischen Melilla und der spanischen Stadt Almería), sowie durch den Atlantik, von Larache nach Cadiz.“ In Marokko selbst warten bereits weitere Zehntausende, vorwiegend aus Ländern südlich der Sahara, auf eine Gelegenheit, in die EU zu gelangen, die im Fokus der Schleuser stehen, die laut BND nun auch in Marokko „ein wahres Schleuser-Netzwerk etabliert“ haben. 20 Bosse sollen die Ströme der illegalen Einwanderer lenken: Gut vernetzt mit marokkanischen Behörden. Zwar gibt Marokko an, hart gegen die Schleuserbanden vorzugehen, „54.000 Ausreisen will das Königreich dieses Jahr bereits unterbunden haben. 74 Netzwerke sollen zerschlagen worden sein, 1.900 Boote seien beschlagnahmt und 230 Schleuser der Justiz zugeführt worden.“ Was nun allerdings von den Willensbekundungen der Marokkaner in Wahrheit zu halten ist, scheint die anhaltende Besorgnis der spanischen Regierung zur Genüge abzubilden.

Hin und zurück
Schleuserbanden haben Spanien ganz oben auf der Agenda
Nein, davon, dass Spanien eine „neue Härte gegenüber Flüchtlingen“ zeigen würde, kann aktuell noch lange nicht die Rede sein. Zwar werden sich solche Jubelszenen wie rund um die Aufnahme von illegalen Migranten vom NGO-Schiff „Aquarius“ so schnell nicht wiederholen, als Helfer, Ärzte und Psychologen bereits auf die Ankunft der Zufluchtsuchenden warteten und die Medien sofort eine spanischen Willkommenskultur attestierten, aber solange die Grenzen nicht wirklich effektiv geschützt werden, bleibt „Härte“ ein relativer Begriff, allenfalls eine Willenbekundung und wird davon abhängen, welche unerschütterlichen Bande Spanien mit Marokko zu knüpfen in der Lage und auch bereit sein wird.

Wenn immer noch auch tausende junge männliche Marokkaner nach Spanien gelangen und den Weg nach Deutschland und Skandinavien suchen, dann muss auch daran erinnert werden, dass in diesem Land, aus dem Menschen „fliehen“ um Asyl in Europa zu suchen, in wenigen Wochen ein Migrationspakt beschlossen wird, der viele Verpflichtungen bereit hält: Verpflichtungen mit gravierenden Auswirkungen für die unterzeichnenden europäischen Staaten.

Für Marokko als Austragungsort dieser weit reichenden wie hoch umstrittenen Vereinbarungen ist es allenfalls ein Prestigegewinn bzw. zukünftige Chance für noch mehr junge männliche Marokkaner, ihr Land Richtung Europa zu verlassen um dann auf dem umgekehrten Wege einen Teil ihrer Alimentierungen und weiterer Gelder via Western Union oder MoneyGram ins Heimatland zu überweisen.