Tichys Einblick
Anders handeln

Familienpolitik versus Einwanderungsgesetz

Nein, wir brauchen kein Einwanderungsgesetz, wenn wir massiv und endlich spürbar in Bildung und Familien investieren, wenn wir Kinder großziehen, die unsere Bildungsangebote maximal auszuschöpfen in der Lage sind.

© Lennart Preiss/Getty Images

Wagen wir einmal eine Annäherung an jene Grünen, Sozialdemokraten und Linken, die dem sogenannten „Spurwechsel“ des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten positiv gegenüberstehen. Der hatte nämlich unter eben diesem Schlagwort in etwa angeregt, darüber nachzudenken, abgelehnten Asylbewerbern mit erkennbaren Integrationsanstrengungen, besser noch, solchen, die sich bereits in Ausbildung befinden, einen Spurwechsel vom Asylrecht ins Zuwanderungsrecht zuzugestehen.

Sinnvoll erscheint das tatsächlich dann, wenn Abschiebungen aus verschiedenen Gründen nicht möglich sind und diese Personen also auf lange Zeit in Deutschland bleiben werden. Die bundesdeutsche Realität zeigt im Übrigen, es gibt hunderttausende solcher Fälle.

Wenn wir uns jetzt noch an die anfängliche Begeisterung der Medien, Politik und insbesondere der Arbeitgeberverbände erinnern, die mit der Massenzuwanderung ab Ende 2015 auch ein Ende ihrer eigenen und der demografischen Probleme erkannt haben wollten, dann befinden sich diese Befürworter nun in einer Bringschuld. Daran muss nun zwingend erinnert werden, wer sich selbst nicht mehr erinnern will, wer bei der hastigen Einführung eines Einwanderungsgesetzes bereits auf eine neue Zuwanderungsgruppe schielt, wenn die Protagonisten alle Hoffnungen über Bord geworfen haben, die sie gerade noch mit den Zuwanderern seit 2015 verbunden hatten, wenn sie sich also kurz gesagt: aus ihrer Verantwortung stehlen wollen.

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Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) möchte diese Menschen aber nicht abschreiben, nicht einfach für Jahrzehnte samt Familiennachzug den deutschen Sozialsystemen überantworten. Folgerichtig allerdings müsste er sich nun vehement gegen dieses Ruckzuck an Einwanderungsgesetz stellen, das die SPD der Union abgetrotzt hat, als sie versprach, sich nicht in den Streit Seehofer/Merkel einzumischen und als es um den Masterplan des Innenministers ging. Der Gewinner hier klar die SPD, wenn der Masterplan zum Windei wurde, aber nun die SPD den Lohn für Nichts einfordert und die Einführung eines Einwanderungsgesetzes nun in Eile und Flickschusterei um Jahre vorgezogen werden soll.

Günther müsste, wenn es ihm ernst wäre, ein Einwanderungsgesetz konsequent ablehnen. Dann, wenn er das Ziel verfolgt, jene ausreisepflichtigen Zuwanderer, die wir nicht mehr loswerden können, hier mit maximalem Aufwand zu integrieren. Und dazu gehört selbstverständlich ein Spurwechsel, der den betreffenden Personen Rechtssicherheit gibt und einen für einen längeren Zeitraum angelegten Aufenthaltsstatus. Perspektivisch sogar so weit gefasst, dass die unter Aufwand aller gesellschaftlichen Kräfte ausgebildeten Einwanderer ihr so erworbenes Können auch anschließend zum Wohle der Gastgemeinschaft einsetzen und nicht in ihre Heimatländer exportieren, also wieder heimkehren.

Tatsächlich hat auch die Grünen-Chefin Annalena Baerbock Recht, wenn sie es „absurd“ nennt, wenn Handwerksbetriebe und Unternehmen Einwanderer ausbilden, die anschließend abgeschoben werden. Was allerdings nicht funktionieren kann, wenn Baerbock gleichzeitig ein Einwanderungsgesetz übers Knie brechen und obendrein, wie sie im Gespräch mit dem Deutschlandfunk forderte, noch große Kontingente an so genannten Resettlement-Programm-Flüchtlingen nach Deutschland holen will: „Das heißt, direkt aus Flüchtlingslagern oder Kriegsgebieten heraus muss die EU große Kontingente von Flüchtlingen aufnehmen.“ Einfach ausgedrückt: Wer A sagt, muss bisweilen darauf bestehen, B nicht auszusprechen.

Und der sollte erst Recht nicht über C sprechen, wenn Baerbock weiter fordert, ein Einwanderungsgesetz sei überfällig, „weil wir auch mit Blick auf den demographischen Wandel, ja, eine Bereicherung der Gesellschaft, ja, uns nur gut tun kann und deswegen, ja, jetzt Butter bei die Fische.“

„Ja, ja, ja“, wo ein „Ja, nein, nein“ die besser Option gewesen wäre. Nein, wir können nicht alles auf einmal erledigen. Denn wenn wir alles nur ein bisschen und nicht richtig machen, dann werden die Probleme immer vielfältiger und die Lösungsansätze immer komplizierter, also unmöglicher.

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Wir könnten sogar ganz pragmatisch der Bundeskanzlerin folgen, wenn diese – freilich aus dem Bauch heraus – befand, jetzt seien die Einwanderer nun mal da, wo sie exakter hatte sagen müssen: Jetzt bekommen wir sie nun mal nicht mehr weg. Aber dann dürfen wir sie auch nicht in die Sozialsysteme abschieben, obendrein noch den Familiennachzug befeuern und in Ermanglung einer also weiter bestehenden demografischen Problematik ein Einwanderungsgesetz übers Knie brechen, das Lösungen verspricht, aber zu kurz, zu schnell und zu hektisch gedacht neue Problemfelder aufreißt. Dann, wenn auch hier Missbrauch nicht ausgeschlossen werden kann, wenn nur weitere Einwanderer die deutschen Sozialsysteme fluten.

Also was ist der Lösungsansatz? Die Einwanderer, die hier sind und nicht abgeschoben werden können, müssen ausgebildet werden und zwar möglichst exakt nach Bedarf, nach offenen Stellen und mit Zukunftsperspektiven für sie. Alle neuen Asylanträge – und es wird sie geben – müssen konsequent bargeldlos bedient werden im Sinne von Sachleistungen, die Verfahren müssen radikal beschleunigt und dezentrale Unterbringungen dürfen erst im Anerkennungsfalle genehmigt werden.

Nun werden diese Sachleistungen noch niemanden davon abhalten, herzukommen. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlte Reportagen mit Interviews, geführt an Ort und Stelle in Afrika, zeigen hinlänglich, dass der Wunsch nach Europa zu gehen, davon unbeeindruckt bleiben wird, denn es geht hier um die ersehnte Wahrnehmung einer Chance auf Wohlstand – die Wahrscheinlichkeit spielt leider nach wie vor keine Rolle bei Leuten an Herkunftsorten, die quasi keine Chancen bieten, wenn Frauen ungeschminkt in die Mikrofone der westlichen Fernsehteams sprechen: Prostitution würden wir in Europa auch machen. Frauen, die quasi im selbem Atemzug über Vergewaltigungen auf der Mittelmeerroute klagen.

Sachleistungen statt Bargeld können also nur ein notwendiger Baustein sein, der zudem das Risiko birgt, Kriminalität noch anzufachen, wenn die im Heimatland verbliebenen Verwandten auf ihren Anteil via Western Union oder MoneyGram warten. Ergo muss auch die deutsche Exekutive entsprechend aufgerüstet werden, um allen Eventualitäten adäquat begegnen zu können.

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Weiter: Die Idee eines mit heißer Nadel gestrickten Einwanderungsgesetzes – das ja im Kern nur außereuropäische Einwanderung betrifft – ist zunächst für Jahre einzufrieren. Gleichzeitig muss Deutschland sich noch stärker und intensiver um europäische Fachkräfte bemühen. Es kann nicht sein, dass, wie in den vergangenen Jahren, Programme, die sich um beispielsweise junge spanische Auszubildende bemühten, so kläglich scheitern. Wenn wir hier scheitern, werden wir es bei kommenden außereuropäischen Anwerbungen sowieso, denn der kulturelle Background, die kulturelle Kompatibilität spielt eben doch eine, wenn nicht sogar die wesentliche Rolle.

Letzter und wichtigster Punkt, weil perspektivisch zwar langfristiger, aber in seiner Auswirkung von elementarer Bedeutung und größter Erfolgsaussicht: Investitionen in Familienpolitik müssen sich endlich in einer Erhöhung der Geburtenrate der Deutschen ausdrücken. Denn wenn sich alle Argumente pro Einwanderung am Ende immer darauf berufen, dass die Deutschen zu wenige Kinder bekommen, dann sind eben mehr Kinder die Lösung des Problems.

Würden wir in der Familienpolitik das Wohlergehen kommender Generationen ebenso bedenken, wie wir es im Umweltschutz und anderen gesellschaftsrelevanten Themen sollen, dann ist das der Lösungsansatz: Wirklich einmal erkennbare Anreize für deutsche Eltern schaffen, mehr Kinder zu bekommen. Also zukünftige Auszubildende, Fachkräfte, Lehrer, Akademiker usw. in die Welt setzen, die in unserer Gesellschaft aufwachsen, denen unsere Werte also in die Wiege gelegt werden, die nicht erst aufwendig und kostenintensiv in etwas integriert werden müssen, dem sie selbst entstammen.

Die so freigewordenen Mittel für Integration können also, wenn man es ökonomisch betrachten will, Eltern als Anreiz pro Kind ausgeschüttet werden. Und zwar auf eine Weise, die es einem Elternteil erlaubt, seine Elternschaft als Arbeit zu begreifen. Als bezahlte, als von der Gesellschaft honorierte Arbeit, als anerkannte Aufgabe. Eine üppige staatliche Zuwendung, die, wie jede andere wichtige Tätigkeit auch, an Leistungen gekoppelt sein muss, gemessen am Kindswohl.

Nein, wir brauchen kein Einwanderungsgesetz, wenn wir massiv und endlich spürbar in Bildung und Familien investieren, wenn wir Kinder großziehen, die unsere Bildungsangebote maximal auszuschöpfen in der Lage sind. Weiter müssen wir jene Zuwanderer, die, aus welchen Gründen auch immer, hier bleiben, ebenfalls in die Lage versetzen, über Bildung und Ausbildung, zum Wohlstand des Landes in Zukunft beitragen zu können. Gleichzeitig müssen wir es mit aller Konsequenz unterbinden, dass weitere Einwanderer zu uns kommen, die hier erkennbar keine Bleibeperspektive haben werden.

Und natürlich dürfen wir hoch gebildeten und bereits auf hohem Niveau ausgebildeten Personen, die Fähigkeiten besitzen, die unsere Gesellschaft nachhaltigen bereichern können, nicht die Tür vor der Nase zuschlagen. Aber hier geht es um exklusive Einzelfälle, die nie in Frage gestellt wurden. Nein, Deutschland ist kein Entwicklungsland, noch sind wir perfekt in der Lage, Zukunftsimpulse aus uns selbst heraus zu setzen. Und das ist auch gut so. Aber wir müssen es auch tun.