Tichys Einblick

Es gibt keine Operation „EU-Seenotrettung“

Wenn die Leitmedien nun fast durchgängig von einer Operation „EU-Seenotrettung“ sprechen, dann geben sie einer Operation einen neuen Namen, den diese nicht trägt und deren Aufgabe das nicht ist.

A Libyan coastguard uses a radar as he manoeuvrers a boat and patrols the area at sea between Sabratha and Zawiyah

TAHA JAWASHI/AFP/Getty Images

Möglicherweise haben die versammelten Leitmedien ja sogar ihre Gründe, wenn sie die „EUNAVFOR MED Operation SOPHIA“, kurz „Operation Sophia“, durchgängig als „EU-Seenotrettung“ bezeichnen.

Kaum eine Zeitung, kaum ein Nachrichtensender geht nicht von der Headline bis über den Fließtext mit diesem Begriff ins Rennen, wenn es darum geht, die Operation zu benennen. Oder genauer: umzubenennen nach dem, was die offiziell zur Bekämpfung des Schleuserwesens angetretene multinationale militärische Krisenbewältigungsoperation im Mittelmeer tatsächlich hauptsächlich vor Ort erledigen soll.

Die Bundeswehr erinnert auf ihrer Website noch tapfer daran, welches der Auftrag der „EUNAVFOR MED Operation SOPHIA“ tatsächlich einmal gewesen ist. Aufgeschrieben möglicherweise, als noch nicht in Gänze klar war, was wirklich auf die Marine-Einheiten zu kommen wird: „Seit Juni 2015 beteiligt sich Deutschland durchgehend an der EUNAVFOR MED Operation Sophia. Kernauftrag der Einheiten des Verbands ist, zur Aufklärung von Schleusernetzwerken auf der Zentralen Mittelmeerroute beizutragen.“

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Nun mag schon die Erweiterung der Operationsbezeichnung auch in den Medien zur Umbenennung geführt haben, als die Operation den Begriff „Sophia“ anfügte nach einem somalischen Mädchen, das am 24. August 2015 an Bord der Fregatte „Schleswig-Holstein“ zur Welt kam. Nichtsdestotrotz bleibt nach Bundeswehrinformationen der Kernauftrag „die Bekämpfung krimineller Schleusernetzwerke vor der libyschen Küste.“ Im Einsatz sind Schiffe, Flugzeuge und Hubschrauber. Ihr Auftrag ist es, Aufklärungsergebnisse zu liefern, die ein Bild über die Aktivitäten von Schleusern abgeben sollen. Schleusereiverdächtige können an Bord eines Kriegsschiffs genommen und an einen EU-Mitgliedsstaat übergeben werden. Faktisch ist es nun allerdings so, dass eine Vielzahl mehr an Migranten in Seenot aufgenommen und von der Marine nach Italien gebracht wurden. Die Zahl festgesetzer Schleuser bleibt überschaubar. Und selbst hier bemühen sich findige Anwälte, aus dem Schleuser einen „Flüchtling” zu machen, der nur zur Schleusertätigkeit gezwungen wurde.

Nach Angaben der Bundeswehr-Website erfolgte nun im Juni 2016 eine strategische Überprüfung der Mission. Daraufhin hätte der Rat der Europäischen Union beschlossen, der Operation neben ihrem Kernauftrag zwei weitere Unterstützungsaufgaben zu geben: Zum einen soll sie zum Kapazitätsaufbau der Libyschen Küstenwache und Marine beitragen und diese in die Lage versetzen, das „Geschäftsmodell“ des Menschenschmuggels zu unterbinden, sie soll aber auch Such- und Rettungsaktivitäten durchführen. Diese allerdings sind nicht nur nach internationalem Seerecht, sondern auch als seemännische Tradition unbestritten. So gibt es für kein Boot oder Schiff, das in der Lage ist, in Seenot befindliche Personen aufzunehmen, eine Option, dieses nicht zu tun.

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Hier allerdings wird man mit einer weiteren Wahrheit konfrontiert, die zu formulieren für viele Medienvertreter offensichtlich eine große Herausforderung darstellt: Wenn marode und überladene Schlauchboote von der libyschen Küste aus auf das Mittelmeer hinausfahren, dann ist im Moment der Abfahrt jedem Passagier wie auch den diese Fahrten organisierenden Schleusern klar, dass die Seenot unweigerlich früher oder später eintreten wird. Diese organisierte Seenot ist sogar unverzichtbarer Teil des Geschäftsmodells. Denn ohne Seenot würde es auch keine Seenotrettung geben können, also auch keine Chance, nach Europa „gerettet” zu werden.

Nun wird kein Seemann in Seenot befindliche Personen nur deshalb ihrem Schicksal überlassen, weil sie sich wissentlich selbst in diese Situation gebracht haben. Aber kann man hier zweifelsfrei und ohne weiteres von einer selbstverschuldeten Notlage sprechen, wenn die eine Notlage nur die vorhergehende ablöst? Wer aus einem brennenden Hochhaus springt, der begibt sich in eine Notlage, der hofft beispielsweise auf ein Sprungtuch unter ihm, das andere aufspannen müssen. Gleichzeitig aber rettet er sein Leben. Zumindest hat er nicht länger abwarten wollen, bis die Feuerwehr löscht in der Annahme, dass er dieses Abwarten nicht überleben wird. Er ist also gesprungen.

Jakob Augstein schreibt via Twitter: „In Nigeria liegt die Lebenserwartung bei 53 Jahren – in Frankreich bei 82 Jahren. Wer aus Nigeria flieht, rennt buchstäblich um sein Leben.“ Nach Augstein wäre also die bewusste Entscheidung, sich in Seenot zu begeben, die Entscheidung, nicht auf die Feuerwehr zu warten, also nicht zu warten, bis sich die Lebensverhältnisse in Afrika geändert haben.

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Unabhängig davon werden Seeleute selbstverständlich weiterhin und ohne Ausnahme in Seenot befindliche Menschen retten und an Bord nehmen. Das allerdings gilt für jedes Fischerboot und für jeden Frachtkahn. Wenn sich nun aber ein libysches Fischerboot oder ein Boot der libyschen Küstenwache einem der besagten überladenen Schlauchboote nähert, um es zurück an die Küste zu bringen, dann lehnen es die Insassen – wenn sie nicht gerade real zu ertrinken drohen – ab, von diesen „gerettet” zu werden. Denn dann wäre dieses enorme Risiko, dass die Migranten eingegangen sind und zudem teuer bezahlt haben, nicht mit dem Wunschergebnis belohnt worden: Einer „Rettung” nach Europa. Keiner Seenotrettung in erster Linie, sondern viel mehr einer Rettung aus den Lebensumständen in Afrika.

Aber noch einmal zurück zur Operation Sophia, die von den Medien fast durchgehend „EU-Seenotrettung“ genannt wird: Wenn eine weitere Aufgabe dieser Operation darin besteht, die libyschen Küstenwache und Marine auszubilden, und wenn sich der Premierminister der libyschen Zentralregierung gerade gegenüber der Bild-Zeitung äußerte, diese Küstenwache bestehe gerade einmal aus vier alten Patrouillenbooten, dann verweist das möglicherweise auf ein weiteres Problem: Sanktionen gegen diese Zentralregierung, was militärische Ausrüstungen angeht. Der italienische Innenminister beispielsweise fordert aktuell ein Ende des Waffenembargos gegen Libyen. „Menschen- und Waffenhändler hielten sich ohnehin nicht daran, sagte er bei einer Pressekonferenz mit dem Vizeministerpräsidenten der von den UN gestützten libyschen Regierung, Ahmed Maitik.“

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Ebenfalls diskutiert wird, die Seenotleitstelle von Rom nach Tripolis zu verlegen. Das allerdings hätte zur Folge, dass es faktisch keine Seenotrettung nach Europa mehr geben würde. Die Leitstelle in Rom ist schon seit Jahren unfreiwillig Teil der Schlepperroute nach Europa, wenn, wie ein Mitarbeiter einer deutschen Reederei berichtet, die Schlepper den Schlauchbooten mitunter Satellitentelefone mitgeben, in welche die Telefonnummer der Seenotleitstelle in Rom bereits eingegeben und die anzurufen ist, wenn die Schlauchboote internationale Gewässer erreicht haben.

Wenn die Leitmedien nun fast durchgängig von einer Operation „EU-Seenotrettung“ sprechen, dann haben sie einer Operation einen neuen Namen gegeben, den diese faktisch nicht trägt und hat. Wenn Italien vorübergehend die Schiffe der EUNAVFOR MED Operation SOPHIA in die Häfen zurück beordert hat, weil man nicht mehr bereit ist, „Flüchtlinge“ aufzunehmen, dann machen die Medien daraus ein Ende der Seenotrettung, wenn sie durchgängig von einer Operation „EU-Seenotrettung“ sprechen. Das allerdings ist falsch: Zunächst einmal wurde damit die Bekämpfung der Schleusertätigkeiten als Hauptauftrag der Mission eingestellt.