Tichys Einblick
Migration

Einwanderung senkt Pro-Kopf-BIP, aber …

Nach dem Migrationsreport von Eurostat gehen Zuwanderer in Europa gezielt vornehmlich dorthin, wo sie sich ökonomischen Erfolg versprechen - auch innerhalb Deutschlands sachkundig gewählt.

German police lead arriving migrants across a field to a transport facility after gathering them at the border to Austria on October 28, 2015 near Wegscheid

© Johannes Simon/Getty Images

Humanitäre Hilfe und Asyl für Flüchtlinge sind das eine. Aber nicht Angst oder akute Gefahrenlagen sind heute Haupttriebfeder dafür, sich für eine neue Heimat zu entscheiden. Laut WELT ist das „Streben nach Glück und ökonomischen Aufstieg“ hauptverantwortlich für Zuwanderung. Oder um das Wort „Flüchtling“ doch noch zu integrieren: für den Weg von Wirtschaftsflüchtlingen nach Deutschland.

Anlass für diese Neubewertung ist die Veröffentlichung des aktuellen Migrationsreports, den das europäische Statistikamt Eurostat vorgelegt hat. Demnach gehen Migranten in Europa vornehmlich dorthin, wo sie sich ökonomischen Erfolg versprechen. Das ist sogar innerhalb Deutschlands selbst noch einmal ein bestimmender Faktor: Ausländerquoten sind in wirtschaftlich dynamischen Bundesländern oder in den Stadtstaaten (aus anderen Beweggründen) höher als auf dem Land oder in den neuen Bundesländern.

Der von der WELT zitierte Leiter des ifo Zentrums, Prof. Panu Poutvaara, erklärt, was manch einer bisher sowieso schon zu wissen glaubte: „Die Möglichkeit, dass Migration das Pro-Kopf-BIP erhöht, existiert sehr wohl: insbesondere dann, wenn Migranten gut ausgebildet sind“. Seien Einwanderer hingegen weniger gut ausgebildet als Einheimische, würden sie am Ende ein unterdurchschnittliches Erwerbseinkommen beziehen und so das Pro-Kopf-BIP senken.

Poutvaara wird noch deutlicher: So erhöhen Wanderungsbewegungen seiner Ansicht nach zwar aufgrund von Produktivitätsunterschieden die Effizienz einer Volkswirtschaft. Aber wenn Migration aufgrund von Unterschieden in den Sozialleistungen erfolgt, würde die Effizienz reduziert. Der Nettoeffekt aus beiden Effekten gäbe Aufschluss über die dominierende Wirkung. Hier kommt Poutvaara allerdings zu einem merkwürdig gegenläufigen Fazit:

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Seine Forschungen hätten ergeben, dass der Gesamteffekt der Immigration in fast allen entwickelten Ökonomien positiv war, sofern man den Status Quo mit einer hypothetischen Situation ohne Migration vergleicht. Der Widerspruch löst sich dann allerdings schnell auf, denn nachgereicht erklärt er, dass „(n)iedrig qualifizierte Immigranten (…) tendenziell die Löhne niedrig qualifizierter einheimischer Arbeitnehmer“ senken. Und wenn die Einwanderung vor allem auf Sozialleistungen abziele, könne der ökonomische Nettoeffekt wie schon vorab differenziert negativ sein. Vielversprechendes und Optimismus klingen jedenfalls anderes.

Und tatsächlich gäbe es in Deutschland Hinweise darauf, dass viele außereuropäische Einwanderer sich schwertun, qualifizierte Jobs zu finden und zum Effizienzgewinn beizutragen. Ja, man kann negative Entwicklungen positiv darstellen, aber Fakten bleiben nun mal Fakten, ganz gleich, welche imperative Lesart man anwenden mag.

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Zumal es hier  es ja nicht einmal darum geht, zu schauen, wie sich Deutsche mit Migrationshintergrund wirtschaftlich entwickeln, sondern um Ausländer in Deutschland, die heute schon einen beachtlichen Anteil von 13,3 Prozent der im Land Lebenden einnehmen und damit das Niveau klassischer Einwanderungsländer erreichen. In den 1970er Jahren lag dieser Anteil noch bei fünf Prozent. Laut Eurostat waren im Jahr 2015 von insgesamt 4,7 Millionen Einwanderern nach Europa bereits 2,4 Millionen keine EU-Bürger. Es geht also um alles andere als nur eine intereuropäische Wanderungsbewegung. Das wusste man schon vor gut zwei Jahren. Von diesen 2,4 Millionen Nicht-EU-Bürgern kamen 1,5 Millionen nach Deutschland.

Die WELT schließt mit einer Empfehlung: Wenn das Bildungsniveau in der ersten Ausländergeneration unterdurchschnittlich war, „müsse umso größerer Augenmerk darauf gelegt werden, dass die zweite und dritte Generation nicht abgehängt wird. Sonst können sich die Strukturen verfestigen und die Gesellschaft als Ganzes belasten.“  

2004 sprach der damalige Innenminister Otto Schily im Zusammenhang mit einem Streit um Integrationskosten von einer historischen Wende in Deutschland. Hochqualifizierte Ausländer sollen es zukünftig leichter haben, nach Deutschland zu kommen, ebenso ausländische Investoren. Neue Gesetze sollten damals dafür sorgen, dass Deutschland im „Kampf um die besten Köpfe“ erfolgreicher“ werde. 13 Jahre später klingt das alles wie ein frommes Märchen.

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Verhandelt wurde 2004 übrigens noch etwas ganz anders: neue Gesetze wurden beschlossen, die der gewachsenen Bedrohung durch ausländische Terroristen begegnen sollten durch zahlreiche Verschärfungen des Ausländerrechts. „Insbesondere soll es einfacher werden, verdächtige Ausländer abzuschieben, darunter sogenannte Haßprediger und Anführer verbotener, verfassungsfeindlicher Organisationen.“ Nein, denn langfristigen Erfolg dieses Vorhabens muss man aus heutiger Sicht nicht mehr kommentieren. Otto Schily erklärte der Presse damals: „Sie sehen einen Bundesinnenminister mit einem sonnigen Gemüt.“ Offensichtlich waren das sowieso nur Nachwirkungen seines 1999 mit Tochter Jenny eingespielten Hörbuchs für Kinder „Papa, was ist ein Fremder?“. Kein Witz, Autor Tahar Ben Jelloun hat 12 Jahre später nach „Papa, was ist der Islam?“ eine weitere Fortsetzung geschrieben mit dem Titel: „Papa, was  ist ein Terrorist?“ Der amtierende Innenminister de Maizière, einer der Nachfolger Otto Schilys, hat sich bisher noch nicht bereit erklärt, dieses zeitgemäßere Hörbuch mit einem seiner drei Kinder einzuspielen. Selbst Schuld.

Dass wir an der Einwanderungsproblematik ebenfalls selbst Schuld sind, wusste die WELT schon Anfang Juli 2016 besser als andere. Wenn die globalen Märkte offen seien, könne man den Arbeitsmarkt nicht mehr national geschlossen halten. Globalisierung würde nicht auf halbem Wege stehen bleiben. „Wer freien Handel mit Gütern und Dienstleistungen einfordert und Kapital- und Finanztransaktionen ohne Grenzen will, erhält zwangsläufig auch mehr Migration.“ Die, die Einwanderung kritisch sehen, haben es also selbst gewollt?