Akademiker werden in den kommenden Jahren interessante Erkenntnisse darüber abliefern, wie sich die Leben der neuen Einwanderer in Deutschland entwickeln. Die praktische Relevanz dieser Forschungen dürfte allerdings nahe bei null liegen. Denn warum sollten die Ergebnisse beachtet werden, da doch eh jedes Mal Vernunft und Verstand ausgeknipst werden, wenn schwierige Entscheidungen getroffen werden müssen?

Vor rund sieben Monaten durfte ich meinen Einstand bei TE mit dem Thema „Kompetenzflüchtlinge“ geben. Damit waren Akademiker gemeint, die sich von der großen Refugee-Begeisterung mitreißen ließen und darüber alle Bedenken vergaßen und vergessen wollten, die ihnen ihre Ausbildung und ihre Verantwortung eigentlich hätten auferlegen müssen.
Passend dazu bot mir vor wenigen Tagen die Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik, immerhin die größte Vereinigung von Ökonomen im deutschsprachigen Raum, die Gelegenheit, einmal nachzuprüfen, wie es mittlerweile um einige der Kompetenzflüchtlinge bestellt ist, denn das Tagungsprogramm kündigte gleich mehrere Vorträge und Podiumsdiskussionen mit erwiesenen Experten zu den Themen Integrations- und Flüchtlingspolitik an.
Die erste persönliche Erkenntnis der Tagung war die, dass man für ein offenes Wort zur deutschen Asylsituation jemanden befragen sollte, der sich in einer gewissen räumlichen Distanz zu Deutschland aufhält. So verwendete der in London tätige Professor Christian Dustmann einen beachtlichen Teil seines Vortrags auf die korrekte rechtliche Definition des Begriffs „Flüchtling“ sowie auf die Unterscheidung zwischen anerkanntem Flüchtlingsstatus und subsidiärem Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention, was in der deutschen Öffentlichkeit bereits einer Häresie gleichkommt. Prof. Dustmann präsentierte zudem einige unangenehme Evidenz bezüglich bereits gewesener Arbeitsmarktintegration von anerkannten Flüchtlingen: Schlüsselt man letztere nach Herkunftsregionen auf, so weisen Flüchtlinge aus Nordafrika und dem Nahen Osten eine erheblich geringere Beschäftigungswahrscheinlichkeit auf, als Flüchtlinge aus jeder anderen Region der Welt. Im Ergebnis mündete der Vortrag in drei Thesen: 1.) Die Außengrenzen der EU müssen kontrolliert werden. 2.) Die EU braucht einen internen Verteilungsmechanismus für Flüchtlinge. 3.) Der Sprengstoff der Asylkrise liegt nicht in ihrer finanziellen, sondern in ihrer politischen Dimension.
Leider wurden die diskutablen und differenzierenden Punkte dieses Vortrags schon am nächsten Tag wieder vom Tisch gewischt, als sich die Diskutanten pflichtgetreu an das Zeremoniell der deutschen Flüchtlingsdebatte hielten: Politische Entscheidungen werden nicht in Frage gestellt – Alle sind Flüchtlinge – Wir müssen am „Wir schaffen das“ arbeiten.
Danach eröffnete Prof. Marcel Fratzscher (DIW) eine rein akademisch besetzte Runde mit derjenigen Prognose, aus der er selbst Anfang des Jahres „eine Riesenchance für Deutschland“ herausgelesen hatte: Dass 50% der Flüchtlinge aller Erfahrung nach in fünf Jahren noch arbeitslos sein werden. Hier richtete er nun an Prof. Herbert Brücker (IAB) die Frage, ob diese 50% als Erfolg oder als Misserfolg zu werten seien. Prof. Brücker antwortete, dass für ihn, als er diese Zahl zum ersten Mal gehört habe, klargewesen sei, dass das Glas halbvoll sei. Als daraufhin niemand in der Runde noch im Hörsaal lachend vom Stuhl fiel, war mir klar: Ja, die meinen das wirklich ernst.
Ist politischer Gehorsam der Experten Pflicht?
Ökonomen wird gerne vorgeworfen, in ihren Theorien die Realität außer Acht zu lassen. Nun, eine Theorie ist eben eine Abstraktion von der Realität, aber es ist, wie man sieht, durchaus der Fall, dass Ökonomen die Realität auch dann noch außer Acht lassen, wenn sie über die Realität zu sprechen glauben. Die Problematik der arbeitslosen Flüchtlinge endet für sie bei der Berechnung der daraus entstehenden finanziellen Kosten für die öffentlichen Haushalte und dem Ruf nach mehr Qualifizierungsprogrammen. Prof. Reint Gropp (IWH Halle) gelangte sogar zu dem Schluss, dass die erwartete Langzeitarbeitslosigkeit der Flüchtlinge positiv zu sehen sei, da somit der Niedriglohnsektor nicht schockartig unter Druck gesetzt würde.
Zugegebenermaßen ist es schwierig, die weiterreichenden Konsequenzen unkontrollierter Einwanderung wissenschaftlich zu kalkulieren. Veränderungen im subjektiven Wohlbefinden der Menschen korrekt zu messen und zu bewerten ist schwer: Wie „schlimm“ ist es, wenn das Sicherheitsgefühl der Menschen abnimmt oder wenn sie ihre Straßenzüge nicht mehr wiedererkennen? Aber nur weil es schwierig ist, konkrete Antworten auf diese Fragen zu finden, heißt das noch nicht, dass man diese Fragen einfach aus den Betrachtungen ausblenden darf. Im Gegenteil, gerade der gefühlte und tatsächliche Verlust von Sicherheit und der vertrauten Umwelt in Städten und Gemeinden sind es, die viel eher Konsequenzen politischer Art nach sich ziehen, als die reinen Kosten der Flüchtlingsunterbringung. Mir persönlich fallen jedenfalls sofort einige Faktoren ein, die zu einer ganz erheblichen Belastung für die Gesellschaft werden könnten, wenn eine halbe Million mehrheitlich junge, männliche und muslimische Flüchtlinge fünf Jahre nichts tuend herumsitzen werden – und Geld ist da wirklich meine geringste Sorge. Andererseits ist meine Meinung für die Entscheidungsträger sowohl unerwünscht, als auch irrelevant, so dass ich mich wohl auf die ernst gemeinten Ansichten der Experten verlassen werden muss.
Top-Rat: „Wir müssen was tun für die Integration.“
In den Diskussionen herrschte darüber hinaus eine „interessante“ Vorstellung der nach Deutschland eingereisten Migranten: Bildlich gesprochen müssten die hochmotivierten Zuwanderer demnach von der deutschen Gesellschaft nur noch in die Startblöcke gesetzt und für die Dauer ihres Laufs zur erfolgreichen Integration begleitet werden. Flüchtlinge, die diesen Lauf entweder gar nicht erst antreten wollen, oder die ihre eigenen Vorstellungen seines Ziels haben, kamen in diesem Gedankenbild schlichtweg nicht vor. Hier warf der als Bedenkenträger aus Bayern in die Runde geladene Prof. Clemens Fuest (ifo Institut) immerhin ein, dass diese kollektivistisch-paternalistische Herangehensweise den zugewanderten Menschen und ihren Entscheidungsfreiheiten nicht gerecht werden würde. Prof. Brücker hatte dagegen schon eine Empfehlung für den Fall ausbleibender Integrationserfolge parat: „Wir müssen was tun für die Integration.“ Denn wenn die Flüchtlinge anscheinend gar nicht anders können, als brav in ihrem Hamsterrad zu rotieren, muss die Bringschuld ja folglich bei den Deutschen liegen.
Akademiker werden in den kommenden Jahren durchaus interessante Erkenntnisse darüber abliefern, wie sich die Leben der neuen Einwanderer in Deutschland entwickeln. Die praktische Relevanz dieser Forschungen dürfte allerdings nahe bei null liegen. Denn warum sollten die Ergebnisse beachtet werden, da doch eh jedes Mal Vernunft und Verstand ausgeknipst werden, wenn schwierige Entscheidungen getroffen werden müssen? Der mitunter hässlichen Realität wird man sich dort, wo es um die Realisierung eines bereits totgesagten Mantras und die Verneblung eigener Fehleinschätzungen geht, sicherlich nicht stellen wollen. Den von Prof. Fuest vorgelegten Ball, dass einige Ökonomen in der Vergangenheit leider „unglaubliche Unwahrheiten“ über die negativen Effekte von Grenzkontrollen verbreitet hätten, wollte in der Runde jedenfalls niemand aufnehmen. Nichts dazugelernt und die Hälfte vergessen – so machen die Kompetenzflüchtlinge weiter und sie meinen es ernst.
----
Sie müssen angemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Sie müssen angemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein