Tichys Einblick
"Spiegel" fällt über Richling her

Die Einheitsmeinungsführer

Der "Spiegel" ist offenbar die optimale Lektüre für Leser, die von offener Diskussion die Nase voll haben. Da empört man sich, dass Sandra Maischberger einen Komiker zu Wort kommen lässt, der das Regierungshandeln ansatzweise kritisch betrachtet.

imago Images/Sämmer

Mit einem schreibenden Kollegen bespreche ich meine Empörung darüber, dass selbst mit guten Bekannten kaum noch eine Debatte mehr möglich ist, zu verhärtet erscheinen die Fronten auf der anderen Seite des Tisches. Der Kollege winkt fast resigniert ab und meint, man müsse eben bei vielen Gesprächen Politik ausklammern, weil es einfach keinen Sinn mehr macht. Aber ist das nicht schon dieses dissonante Grundrauschen aus undemokratischen Gesellschaften?

Was war der Anlass des Gesprächs? Ich hatte auf meiner täglichen Runde mit dem Hund einen Bekannten getroffen, mit dem ich mich über ein Interesse an dessen Hobby angefreundet hatte: Der gute Mann züchtet seltene Haustierrassen auf eingezäunten Wiesen am Wegesrand, was unserem Hund anfangs gar nicht gut gefiel. Also kam man über das Bellen hinweg ins Gespräch. Ein Pensionär, der im Beamtenstatus auf Lebenszeit tätig war und nun seinen komfortablen Ruhestand genießt und mit so einem interessanten Hobby ausfüllt.

Man kann aber nicht ewig beispielsweise über das Coburger Fuchsschaf sprechen, das wohl so heißt, weil es eine rotbraune Wolle trägt. Und es kam, wie es kam, und zu Corona. Er wüsste nicht mehr, ob er es schon erzählt hätte, aber er wäre ja lange Jahre Kommunist gewesen, erzählt der Beamte. Wie er da eigentlich die Berufsverbote der 1970er Jahre überstanden hatte, frage ich lieber nicht nach. Ich staune viel mehr über seine Aussage, er lese nur noch den Spiegel, mehr bräuchte er nicht, da stehe ja alles drin, die Hefte würden sich sogar stapeln, er käme nicht hinterher.

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Er verfügt dabei über eine Gewissheit, die stutzig macht. Völlig fremd ist ihm auf Nachfrage gar die Idee, dass Demokratie etwas mit Streit um Positionen zu tun haben könnte. Er ist es, sagt er, sogar leid, sich immer den selben Mist anzuhören, er hätte doch schon in den 1970ern so viele Diskussionen geführt, das würde ihn heute nur noch anstrengen. Die meisten Gegenargumente würden doch sowieso aus so einer komischen Ecke kommen usw.

Der eingangs erwähnte Kollege hat wohl Recht: Bestimmte Themen müssen immer öfter ausgeklammert werden. Jedenfalls dann, wenn man beim Gegenüber ein Mindestmaß an Akzeptanz einer gegenteiligen Haltung nicht mehr vermuten darf.

Wer nun dachte, die Diskussionskultur sei nur in der Massenzuwanderungsthematik aus dem Ruder gelaufen, der sieht jetzt bei den Diskussionen um die Corona-Einschränkungen der Regierung die Verächter demokratischer Debatte im zweiten Durchgang angekommen. Nein, eigentlich sogar schon in der dritten Runde, nimmt man die Verunglimpfung der Skeptiker der Klimapokalypse noch hinzu.

Aber schauen wird doch mal, was besagter verbeamteter Ex-Kommunist (was für ein Klischee eigentlich, aber er steht doch vollkommen leibhaftig da in seinem Ziegengehege) im Spiegel liest zu Corona. Und da muss man dann schlucken, wie man eben schluckt, wenn es noch ärger kommt, als gedacht.

Da schreibt aktuell eine Autorin namens Anne Haeming eine TV-Rezension der letzten Maischberger-Sendung. Und sie muss es schreiben für diejenigen, die die Sendung nicht gesehen haben. Nein, nicht um diese Nichtschauer zu informieren, sondern weil jeder, der geschaut hat, doch weiß, was für einen gefährlichen Unsinn in vielerlei Hinsicht die Autorin da verzapft hat: Wer so etwas schreibt (wir kommen gleich dazu), der fordert nämlich den netten Ziegenzüchter und andere Leser dazu auf, den Graben quer durch die Gesellschaft noch einmal tiefer zu ziehen.

In betreffender Maischberger-Sendung war der Kabarettist Mathias Richling zu Gast und fiel damit auf, Regierungsmaßnahmen ansatzweise kritisch zu betrachten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger – und kaum spektakulär. Für die Spiegel-Autorin war das allerdings wider Erwarten „gefährlich viel Raum für Corona-Leugner und einen Kabarettisten, der Covid-19 mit der Grippe vergleicht.“ Ja, das steht da so. Und zunächst reibt man sich verwundert die Augen, wo die Gefahr sein soll, denn diesen Vergleich hatten auch Minister und Medien noch vor Wochen exakt so getan. Und selbst, wenn nicht. Wo stände geschrieben, dass 100.000-Grippe-Tote in einem Jahr weniger tot wären, als Tote durch das Corona-Virus?

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Der Spiegel beginnt tatsächlich mit einem persönlichen Fazit zum Auftritt des Komikers (Seehofer, der ebenfalls zu Gast war, kommt viel später und auch nur kurz dran): „Wir sind also bei einer AfD-Situation zu Corona-Zeiten angekommen. Bei der Debatte darüber, wem in Polittalkshows eine Plattform gegeben wird.“ Nein, nicht „wir“, der Spiegel will da angekommen sein in Empörung darüber, dass es – schaut man mit Adleraugen hin – bei Maischberger so ein zartes Pflänzchen von Disput gegeben haben könnte.

Und das muss also weg, das ist pfui. Richling hätte gesagt, da demonstrieren „besorgte Bürger“, dabei waren es laut Spiegel „Menschen, die die Pandemie für eine Verschwörungstheorie halten, linke Impfgegner, Rechtsextreme“.

Und weil es sich anbietet, wird Mathias Richling von Autorin Haeming auf eine Weise diffamiert, die selbst für den Spiegel eine Eskalation bedeutet, wenn Richling zunächst beruflich diskreditiert wird: „Ein Regional-Kabarettist aus Baden-Württemberg“ und weiter „lustig war es eh nicht“, was Richling so macht.

Bei Richling würde „das Muster, das bei der AfD so durchschlagenden Erfolg hat“, nun wieder auftauchen. Und weiter: „Wer Faschisten in eine Diskussionsrunde einlädt, legitimiert sie und ihre Positionen.“ Und Faschist ist hier offenbar für die Autorin der Komiker! Man will es nicht glauben. Denn weiter heißt es da: „Wer also nun jemanden in Talkshows Raum gibt, der die Demonstrierenden freundlich „besorgte Bürger“ nennt“ usw. Ein weiteres Spiegel-Fazit jedenfalls: Wer so jemanden einlädt, „der überlässt verantwortungslos viel Raum für Realitätsverweigerung“.

Aber wir sind noch gar nicht am Ende der Fahnenstange der Diffamierung angekommen, denn Mathias Richling ist über 60 Jahre alt, da bietet sich für die Autorin an, noch mehr Häme und Dreck auszuschütten: „Motto der Redaktion wohl: Es haben noch nicht alle alten weißen Männer der Republik was zur Lage gesagt …“.

Jetzt erinnern wir uns mal an unseren auf Lebenszeit verbeamteten Hobby-Ziegenzüchter zurück, der auch noch Kommunist auf Lebenszeit sein möchte und darin überhaupt keinen Widerspruch erkennen mag. Der ist nun aber ebenfalls schon  ein alter weißer Mann, sein Haupt sogar richtig schön weiß. Vielleicht auch deshalb, weil er sich selbst unentwegt Asche aufs eigene Haupt streut, weil eben das sein großes Manko ist: Er ist leider alt und sitzt potenziell mit diesem bösen Komiker in einem Boot. Also lebenslang auch noch Spiegel-Abo und sonst nichts, man will ja nicht auf falsche Gedanken kommen.

Das Fazit hier soll nun sein: Nein, mit Einheitsmeinungsführern lässt sich keine Debatte führen. Es lohnt tatsächlich nicht mehr. Sie müssen aber als solche benannt werden, selbst dann noch, wenn es eine endlose Litanei wird, wir Journalisten dürfen daran nicht müde werden.

Unbelehrbaren ist nicht zu helfen, wenn diese nicht mehr erreichbar sein wollen, es gibt aber viele freiheitlich denkende Menschen, für die Demokratie eben vor allem eines ist: Lebenselixier und Streit um die beste Position im positivsten Sinne. Eben der Austausch von Positionen als Mehrwert für alle.

Der Spiegel beendet seinen Artikel mit einem Hinweis auf eine Sendung, in der wirklich einmal „Tacheles“ geredet werden würde. (Was hatte zuvor der Kabarettist eigentlich getan außer Tacheles zu reden?) Jedenfalls empfiehlt die Autorin vom Spiegel ihren Lesern – unter ihnen, das immerhin wissen wir jetzt, auch ein Ziegenzüchter – „Joko und Klaas“ – zwei nur in Zeitlupe alternde TV–Komiker, die sich eine Sendung lang um Gewalt gegen Frauen kümmern. Daran muss nichts falsch sein. Was so entsetzlich falsch ist, kann man allerdings rund um diese Empfehlung im Spiegel nachlesen: Einheitsmeinung als Medienauftrag.

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