Tichys Einblick
Deutschland-Barometer Depression 2021

Folge der Corona-Maßnahmen: „Depressionen bis hin zu Suizidversuchen“

Das aktuelle Lagebild der Stiftung Deutsche Depressionshilfe zeigt den Einfluss der Lockdown-Maßnahmen auf den Zustand vielfach suizidgefährdeter depressiv Erkrankter und solcher, die neu erkrankt sind.

Symbolbild

Die Statistik über Suizidzahlen für ein zurückliegendes Jahr werden in Deutschland erst im Frühherbst veröffentlicht. Die Suizidzahlen des Statistischen Bundesamt für 2020 – darüber besteht unter Fachleuten kaum Zweifel – werden die bereits veröffentlichten Zahlen von 2019 überschreiten, wo sich laut Statistik etwas mehr als 9000 Personen das Leben genommen hatten. Dreiviertel dieser so Verstorbenen übrigens Männer, was  eine erweiterte Ursachenforschung verlangen würde, als sich lediglich zu fragen, welchen Einfluss die Corona-Maßnahmen bzw. die Lockdowns auf die Suizidrate insgesamt haben.

Depressionsforscher Ulrich Hegerl
„Schaden und Nutzen wurden kaum öffentlich diskutiert“
Es gibt übrigens auch zwischen alten und neuen Bundesländern ein deutliches Gefälle, so waren es in Sachsen-Anhalt laut Bundesamt mehr als doppelt so viele Selbsttötungen als beispielsweise in Nordrhein-Westfalen. Erfreulicherweise haben sich die Suizidzahlen zwischen 1980 und 2019 mehr als halbiert, sie stagnieren allerdings seit ca. 2006, der Rückgang ist den Jahren davor zu verdanken.

Nun geht vielen Suiziden eine Depression voraus, was diese Art der Erkrankungen schon deshalb zu einer lebensbedrohlichen macht. Die Deutsche Depressionshilfe spricht davon, dass Menschen mit Depressionen „jegliche Hoffnung“ verloren hätten. „Sie glauben nicht daran, dass ihnen geholfen werden kann und sich ihr Zustand je wieder bessert.“ Selbst mit den Versprechungen etwa eines christlichen Weltbildes (kommendes Himmelreich, wo schon alles besser wird) ist Hoffnungslosigkeit nicht nur ein lebensfeindlicher, sondern auch unterträglicher Zustand.

Auf besondere Weise alarmierend ist: Auch immer mehr nicht von Depression betroffene Menschen sind „so belastet wie nie zuvor in der Pandemie.“ Das mag zunächst banal klingen, denn natürlich führt in der Regel ein weiter anhaltender nicht zufriedenstellender Lebensumstand bei beinahe allen Menschen zu negativen Entwicklungen, aber jetzt steht es Schwarz auf Weiß belegt im Barometer der Deutschen Depressionshilfe.

Zwar werden die endgültigen Suizidzahlen für 2020 erst im Herbst veröffentlicht werden, aber was die Stiftung Deutsche Depressionshilfe schon Ende März 2021 im „Deutschland Barometer Depression“ an schockierenden Ergebnissen veröffentlicht, lässt überhaupt nichts Positives erwarten. Schon im vorhergehenden Barometer 2020 lautete das Fazit in der Überschrift: „Massive Folgen für die psychische Gesundheit infolge der Corona-Maßnahmen.“

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Erschwerend hinzu kam hier noch, dass die schon vor den Lockdowns angegriffenen Depressionspatienten laut Barometer 2020 „massive Einschränkungen in der Behandlung (ihrer) Erkrankungen“ erleben. Tatsächlich – und das ist ein Skandal – fiel bei jedem zweiten Patienten die Behandlung aus. Darüber hinaus muss sich niemand ausmalen, was es hier außerdem für Folgen haben kann, wo zwischenmenschlicher Kontakt bzw. Körperkontakt oder nur ein Lächeln unter den Corona-Maßnahmen abgeschnitten und weggesperrt wurden.

Im Deutschland-Barometer Depression 2021 die alarmiernde Gewissheit: „Bei fast der Hälfte der Patienten verschlechtert sich Depression bis hin zu Suizidversuchen.“  44 Prozent der Menschen mit diagnostizierter Depression sprechen „von einer Verschlechterung ihres Krankheitsverlaufs in den letzten 6 Monaten bis hin zu Suizidversuchen.“

Befragt wurden erneut über 5000 Personen, das aktuelle Barometer ist auch deshalb so relevant für die aktuelle Lage, weil Veröffentlichung und Befragung (Februar 2021) so nah beieinander liegen.

Von September 2020 bis Februar 2021 sind 22 Prozent der Befragten in einer depressiven Phase auf Grund von ausgefallenen Facharzt-Terminen ohne Behandlung geblieben, im ersten Lockdown waren das 17 Prozent. Und weitere 21 Prozent haben aus Sorge vor einer Corona-Ansteckung ihre Termine abgesagt. In Juni/Juli 2020 lag diese Zahl noch bei 13 Prozent. Die Lage hat sich danach deutlich verschlechtert was die Termine angeht ebenso, wie Terminabsagen aus Angst vor Ansteckung.

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Insbesondere Menschen mit depressiven Krankheitsbild leiden ganz besonders unter dem nun zweiten Lockdown: 89 Prozent der Befragten klagen über fehlende soziale Kontakte (plus 15 Prozentpunkte), über Bewegungsmangel klagen 87 Prozent (plus 7 Prozentpunkte) und über längere Bettzeiten 64 Prozent der Erkrankten (plus 9 Prozentpunkte)

Depressive Menschen bleiben in der häuslichen Isolation unter den Corona-Maßnahmen einfach tagsüber im Bett liegen. Fachärzte wissen allerdings: Lange Bettzeiten sind geeignet, die Depression noch zu verschlimmern. Ulrich Hegerl, der Vorstandvorsitzende der Deutschen Depressionshilfe nannte das einen „Teufelskreis.“

Konkret haben acht Prozent der Erkrankten bereits Suizidgedanken oder suizidale Impulse. Weil das Baromater auch die Zahl der tatsächlichen Suizidversuche erfahren hat (13), ist eine Hochrechnung möglich, die für die Gesamtbevölkerung alleine nur für die Gruppe der an Depressionen erkrankten Bürger 140.000 Suizidversuche errechnet innerhalb nur eines Jahres.

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„Die Maßnahmen gegen Corona führen zu Versorgungsdefiziten und depressions-spezifischen Belastungen, die gravierende gesundheitliche Nachteile für die 5,3 Millionen Menschen mit Depression in Deutschland bedeuten. Besonders die Zahl der Suizidversuche bereitet mir Sorge. Es ist dringend notwendig, bei der Entscheidung über Maßnahmen gegen Corona den Blick nicht nur auf das Infektionsgeschehen zu verengen. Es müssen auch Leid und Tod systematisch erfasst werden, die durch die Maßnahmen verursacht werden“, so Hegerl weiter.

Immer wieder vergegenwärtigen muss man sich hier auch: Das Barometer kann derweil kaum exakte Antworten dahingehend geben, wieviele Menschen erst durch die Corona-Maßnahmen selbst depressiv geworden sind. Denn was in der vorangehenden Erhebungen 2020 noch unspezifischer war, ist im Barometer 2021 schon trauige Gewissheit: „71% der Bundesbürger empfinden die Situation im 2. Lockdown bedrückend. Im 1. Lockdown waren es 59%, im Sommer 2020 sogar nur 36% der Bundesbürger. Fast die Hälfte (46%) der Deutschen erlebt seine Mitmenschen als rücksichtsloser (im 1. Lockdown 40%). Jeder dritte hat Sorgen um seine berufliche Zukunft. Familiär stark belastet fühlen sich im Februar 2021 25% der Befragten, im Sommer 2020 waren es nur 16%“

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Auch Routinen sind für Depressive nicht nur angenehm, sondern lebenswichtig: Die überwiegende Zahl der Erkrankten beklagen hier den Verlust ihrer Tagesstruktur und zunehmend mehr Menschen ohne Depressionen leiden ebenfalls darunter. Auch hier die Frage: Was passiert auf Dauer mit Menschen die bisher von Depressionen verschont geblieben sind, wie gefährlich ist es hier, ebenfalls in eine Depression abzugleiten?

Millionen Deutsche erleben durch die Corona-Maßnahmen eine Einschränkung der medizinischen Versorgung mit entsprechenden gesundheitlichen Folgen. Will man den Erfolg der telefonischen und zusätzlichen Online-Hilfen einordnen, dann waren es im vorhergehenden Barometer 2020 immerhin schon 14 Prozent der Patienten, die von diesen Möglichkeiten erstmals Gebrauch gemacht haben. Sicher nicht so viele, aber doch ein messbarer Erfolg des Angebotes schon vor vielen Monaten. Ganz überwiegend positiv bewertet wurden von den Betroffenen schon damals diese Telefon- und Video-Sprechstunden.

Neben den erläuternden Grafiken auf der Internetseite der Deutschen Depressionshilfe zum Barometer steht jeweils in einer rot unterlegten Infoblase: „Depression kann jeden treffen.“ Das darf nach dieser doch umfangreichen Befragung als erwiesen gelten. Und wie lebensbedrohlich Depressionen sein können, weiß man schon länger als der sowieso schon lange andauernden Lockdown geht. Was aber ebenfalls zur Wahrheit dazugehören könnte, ist das Schicksal auch jener Menschen, die insbesondere unter den Corona-Maßnahmen im Leben in der Form keinen Sinn mehr erkennen. Menschen, die sich beispielsweise über Jahrzehnte etwas erarbeitet haben, das nun zusammenbricht, die aber gar nicht unbedingt die klinischen Kriterien einer Depression erfüllen. Depressionen sind ein Krankheitsbild, während eine Bewertung des aktuellen Seins nicht zwangsläufig depressiv sein muss, auch wenn das Ergebnis komplett negativ ist.


Sollten Sie das Gefühl haben, dass Sie Hilfe benötigen, kontaktieren Sie unbedingt die Telefonseelsorge. Unter der kostenfreien Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 bekommen Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Hilfe bei den nächsten Schritten anbieten können. Hilfsangebote gibt es außerdem bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Im Netz gibt es – Beispielsweise bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe – auch ein Forum, in dem sich Betroffene austauschen können.