Tichys Einblick
In Moscheen wird nicht nur gebetet

Der Muezzin ruft, wenn Karfreitag in Deutschland die Kirchenglocken schweigen

In Duisburg und vielen anderen Städten dürfen Moscheegemeinden den Muezzin laut zum Gebet rufen lassen. Eine DITIB-Funktionärin findet, das stärke "die Moral der Gesellschaft". Ausgerechnet die christlichen Kirchen befördern das.

Abdulhamid Hosbas/Anadolu Agency via Getty Images

Der Stern schrieb 2008: „Moscheen boomen, Kirchen verfallen.“ Heute würde man das wohl populistisch nennen angesichts der Tatsache, dass zehntausende Kirchenbauten in Deutschland zum einen nach wie vor im Besitz der Kirchen sind und zum anderen deren oftmals aufwendige Instandhaltung großteils aus Steuermitteln finanziert wird.

Mit den vornehmlich türkischen Gastarbeitern entstanden ab den 1960er Jahren in Deutschland nach und nach tausende im Volksmund „Hinterhofmoscheen“ (Stern) genannte Gebetsräume, meist dort, wo die Mieten billig waren, nicht selten außerhalb der Wohnviertel in Gewerbemischgebieten zwischen Autoverwertern und Getränkelagern. Nein, ansehnlich waren bzw. sind diese religiösen Räumlichkeiten sicher nicht. Maßgeblich war hier aber der Mietpreis und die Nähe zu preiswerteren Wohnvierteln, die ja erste Wahl der Gastarbeiter waren.

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Für einheimische Anwohner zunächst ein unauffälliges Zusammenkommen, weil ein entscheidendes Element der Moschee in der deutschen Version lange nicht zur Diskussion stand: Nämlich der Bau von Minaretten und der Ruf zum Gebet durch den Muezzin von eben diesen Türmen herunter via Lautsprecher – und das fünfmal am Tag.

Ignorieren wir die Ausnahmen, welche die Regel bestätigen, sehen wir einmal über die vielen zäh geführten Debatten rund um diesen Muezzinruf in Deutschland hinweg, dann könnte, was jetzt im Windschatten die Corona-Krise passiert, als Zäsur, als Wende in dieser Debatte in Deutschland betrachtet werden.

So waren es leider wieder einmal die christlichen Kirchen, die einen wesentlichen Teil dazu beigetragen haben, dem Islam in Deutschland Rechte einzuräumen, die ihm bisher von den Deutschen und ihren Kommunen nicht umfänglich zugestanden wurden.

Beispielsweise die Duisburger Zentralmoschee, eine der größten Moscheen in Deutschland im osmanischen Baustil, durfte jetzt erstmals und auf die explizite Bitte der benachbarten christlichen Kirchen hin öffentlich vom Minarett herunter zum Gebet rufen, wie die türkischstämmige Deutsche Hülya Ceylan, die Vorsitzende des weitestgehend dem türkischen Staat unterstehenden NRW-Landesverbandes der DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) das Zustandekommen erklärt hatte.

Ceylan sagte gegenüber einer islamreligiösen Internetseite, die von der evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen der islamistischen Milli-Görüş-Bewegung zugerechnet wird: „Nach dem Angebot der Kirche haben wir uns mit der Stadt Duisburg und dem Zuständigen für den Krisenstab (Red.: wegen Corona) zusammengesetzt und die Genehmigung eingeholt. Nun wird jeden Abend um ein Zeichen der Solidarität zu setzen, der Gebetsruf ausgerufen.“

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Die Muslima ist davon überzeugt, dass der Gebetsruf bei Muslimen in Duisburg und Deutschland ein gutes Gefühl hervorrufen würde, betont sie. Jetzt mag so ein gutes Gefühl im Prinzip auch die westlich-säkular geprägte Mehrheitsgesellschaft freuen, aber deshalb immer mehr Muezzine, die über deutsche Dächer ihre arabisch-religiösen Rufe erschallen lassen?

Die Duisburger DITIB-Vorsitzende ermuntert weitere Moscheen in Deutschland dazu, sich dem Duisburger Modell anzuschließen. Und sie erklärt ihren Glaubensbrüdern gleich, wie es geht: „Die Moscheen können sich an lokale Institutionen wenden und eine Genehmigung einholen.“ Ceylan betont, dass hier eine Zusammenarbeit mit den christlichen Kirchen immer von Vorteil wäre. Fast schon kurios erscheint die Begründung der Vorsitzenden der DITIB-Gemeinde, wenn sie sagt, Menschen wären „momentan auf der Suche nach Möglichkeiten, die Moral der Gesellschaft zu stärken.“ Hier wäre der Gebetsruf des Muezzin ein „wirksames Symbol“. Wirklich? Wird hier die Moral gestärkt, oder doch vielmehr an der Mehrheitsgesellschaft moralisiert?

Was wird damit bezweckt, wenn es doch auch Frau Ceylan und ihren Unterstützern aus den christlichen Kirchen offensichtlich sein muss, welchen sozialen Sprengstoff sie da im Windschatten der Corona-Krise befeuern?

In wie vielen Städten die Leute sich schon jetzt und demnächst verstört die Augen reiben, beziehungsweise kaum glauben werden, was sie da hören, muss nach und nach zusammengetragen werden, bisher soll es diese Gebetsrufe schon in Berlin, Neuss, Nettetal, Garbsen, Duisburg, Gladbeck, Dinslaken, Hannover, Flensburg und Mühlacker geben.

Das norddeutsche Informationsportal shz.de berichtete mit der Kamera direkt aus Flensburg und filmte dabei eine ganze Reihe von Muslimen, die aufgeregt ihre Handys hochhielten, um zweierlei Dinge aufzunehmen: Zum einen das deutsche Wohnviertel und zum anderen die Tonspur des Muezzinrufes. Aufnahmen, die sicher nicht nur bei Freunden, sondern auch im arabischen und vorderasiatischen Raum für Furore sorgen sollten.

In dem Beitrag heißt es wie völlig selbstverständlich: „Auch immer mehr Kirchen läuten Mittags um zwölf die Glocken ähnlich wie der Ruf des Muezzins als Einladung zum Gebet und zum Innehalten.“ Auch TE-Autor Peter Hahne hat dafür geworben, dass die Kirchen sich in der Corona-Krise mit Geläut und Gebeten engagieren sollten. Nun haben sie sich auf eher verstörende Weise engagiert.

Bezeichnend, dass der Muezzinruf in Flensburg dann via shz.de auch noch von einem Theologieprofessor wohlwollend begleitet wurde. Es scheint so: Die christlichen Kirchen nutzen die Gunst der Stunde, nutzen die Coronakrise, um sich wieder ins Gespräch zu bringen, wo tatsächlich das Versammlungsverbot schon aus Mangel an Masse kaum noch für christliche Kirchen gelten müsste, wohl aber für die Moscheen in Deutschland.

Der Theologe scheut sich in besagtem Beitrag nicht einmal, Dietrich Bonhoeffer in Sachen Muezzinruf anzurufen und mehr Dankbarkeit für dieses Leben zu zeigen, dass in Form des Muezzinrufes einmal „aus einer ganz anderen Warte“ betrachtet werden sollte.

Bisher ist es allenfalls noch ein gesetzlich vorgeschriebener Lärmschutz von Anwohnern, der den Muezzinruf in ganz Deutschland aus tausenden Lautsprechern von den Gebetshäusern und Moscheen herunter behindert. Kommentare im islamischen Internetportal berufen sich auf Artikel 4 des Grundgesetzes, welcher die Glaubensfreiheit in Deutschland festlegen, also nach Auffassung der kommentierenden Muslime auch den Muezzinruf explizit gestatten würde.

Erstaunlich kann man finden, dass es dieselben Türken in Deutschland sind, die zu zwei Dritteln Erdogan gewählt haben und die aus einem Land kommen, in dem zuletzt vor 500 Jahren Kirchenglocken geläutet haben. 2014 berichtete der Deutschlandfunk darüber, dass der türkische Präsident unbemerkt viele einst als Kirchen erbaute Gebäude zu Moscheen umbauen lassen würde.

Und ironisch möchte man anmerken, dass Erdogan hier sicher kaum mit Widerspruch aus den Kreisen der deutschen christlichen Kirchen rechnen muss, die sich ja eventuell mit ihren unterdrückten und ihrer Kirchen beraubten Glaubensbrüder solidarisch zeigen könnten. Nein, viel lieber wünscht man sich zum Glockengeläut in Deutschland den dissonanten Ruf des Muezzins, der den ersten seiner fünf Rufe mit dem Sonnenaufgang beginnt – oder entsendet Schiffe, Muslime aus Libyen nach Europa auszuschiffen.

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Fast vergessen ist heute schon die über ein Jahrzehnt alte heftig geführte Debatte, die vom 2014 verstorbenen Schriftsteller Ralph Giordano angestoßen wurde, der im Rahmen seiner Warnungen vor einem extremistischen Islam sich auch gegen den Bau von Moscheen in Deutschland aussprach und dafür massiv auch von Kirchenleuten angefeindet wurde. Giordano kritisierte 2011 auch Bundespräsident Christian Wulff (Mitglied Kuratorium der bibeltreuen, missionarischen Organisation ‚Pro Christ‘) der mit seiner Hinwendung zum Islam eine „so verstörende Unkenntnis der Wirklichkeit“ an den Tag gelegt hätte. Was Ralph Giordano heute sagen würde angesichts einer von den christlichen Kirchen geförderten massiven Zunahme von Muezzinsrufen über Deutschland, kann man nur mutmaßen. Die Soziologin Necla Kelek gab Giordano jedenfalls damals Recht mit der Begründung, das der Islam Politik sei und Moscheen in Deutschland „Keimzelle einer Gegengesellschaft“.

Bleibt noch die Frage, ob das Läuten der Kirchenglocken gemäß Artikel 4 GG Legitimation für den Muezzinruf sein könnte. Eine Frage, es mag den Kirchen nicht gefallen, die man ganz einfach beantworten kann: Das Läuten der Kirchenglocken ist heute für die allermeisten Deutschen ein schöner traditioneller Moment, aber längst kein religiöser mehr. Eine gelernte Geräuschkulisse, die beispielsweise schon in der Kindheit jenen Tag besonders markierte, an dem Vati zu Hause bleiben durfte und die Familie beispielsweise einen gemeinsamen Ausflug unternahm, um vielleicht auch einmal im Vorbeigehen einen Blick in eine der vielen offenstehenden Kirchen zu werfen.

Vielleicht auch, aber meistens nicht mehr, um zu beten – sicher machen Gläubige auch das – sondern einfach, um das oft so wunderschön ausgemalte Kircheninnere zu bewundern oder der Kirchenmusik zu lauschen. Gemalt von Vorfahren, die oft nicht wegen, sondern trotz der Kirche zu solchen herausragenden Leistungen fähig waren. Nein, alte Moscheen finden sich ebenso wenig am Wegesrand, wie freitags bisher der Muezzinruf über die Dächer schallt. Warum sollte man daran zukünftig etwas ändern? Die Christen unter uns sollten sich allerdings endlich einmal fragen, was ihre Kirchen da eigentlich immer wieder aufs Neue in ihrem Namen veranstalten – und warum.

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