Tichys Einblick
Freiheit ist unteilbar

Deniz Yücel: Ein Jahr in Haft

Deniz Yücel muss freigelassen werden. Und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland hat nicht nur die Aufgabe, sondern die Pflicht, mit allen Mitteln dafür zu sorgen. So umstritten er als Journalist mit seinen "Satiren" sein mag.

© Odd Andersen/AFP/Getty Images

Kaum einer hätte es damals für möglich gehalten, dass der WELT-Journalist Deniz Yücel auch ein Jahr nach seiner Festnahme und Inhaftierung noch in einem türkischen Knast auf einen Prozess warten muss. Wir schrieben damals empört und aus voller Überzeugung: „Für seine Freiheit einzutreten, ist uns selbstverständlich.“ Daran hat sich bis heute nichts geändert. Im Gegenteil: Nach einem Jahr darf der eine oder andere so etwas wie Scham empfinden, in der Zwischenzeit nicht mehr getan zu haben für einen Kollegen in Not. Das betrifft jeden einzelnen Journalisten, der weiter unbehelligt seiner Arbeit nachgehen kann ohne dafür staatliche Repressionen befürchten zu müssen.

Nun sitzt Deniz Yücel bereits 365 Tage in Haft. Jeder Mensch, der nur einigermaßen mit Empathie ausgestattet ist, mag sich vorstellen können, was das bedeutet. Was es bedeutet, irgendwelche Lebenszeichen als hingekritzelte Fußnoten in einem Buch aus dieser Haft schmuggeln zu müssen. Und in Folge dieser Umgehung der Regeln dort nun möglicherweise nicht einmal mehr die Möglichkeit zu bekommen irgendwas irgendwo hinschreiben zu können.

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Deniz Yücel: Freiheit ist unteilbar
Deniz Yücel ist Journalist, er lebt vom Schreiben.  Nun hatte Yücel auch scharfe Kritiker. Seine Stimme in der Zeitung Die Welt und anderswo war oft laut und wurde also gehört. Aber selbst der eine oder andere dieser Kritiker könnten heute sagen, dass, indem er sich mal an einem Text von Yücel rieb, auch der eigene Standpunkt einen dieser wertvollen Überprüfungs- und Formungsprozesse durchlief. Dieses Spiel, dieser mitunter zähe und aufreibende Kampf um Positionen, dieser fortwährende Austausch von Haltungen, ist eines der bedeutenderen Wesenmerkmale einer funktionsfähigen Demokratie. Hier kann sogar gelten: Umso ätzender, desto vitaler die Demokratie.

Im Februar 2017 schrieben wir: „Schweigen aus Angst allerdings darf in Deutschland nie mehr Option sein. Dafür stehen wir. Dass macht uns und unser Land aus. Übrigens nicht nur gegen Erdogan, sondern noch mehr, wenn es um Rechtsbrüche und Verfehlungen unserer eigenen Regierung geht. Wenn wir also nun Solidarität für Deniz Yücel einfordern, dann verteidigen wir damit auch unser eigenes Recht auf Meinungsfreiheit.“

Einer der besten Journalisten des Landes, Ansgar Graw, er selbst wurde 2014 als Journalist im Ausland kurzfristig inhaftiert (in der US-Stadt Ferguson) formulierte es auf Twitter so: „Ich fand auch nicht jede seiner Satiren toll, aber hier geht’s um das hohe Gut Meinungsfreiheit, nicht um Stilfragen.“ Auch hier wollen – und müssen wir sogar! – wir uns uneingeschränkt anschließen.

Deniz Yücel sitzt jetzt bereits ein Jahr in Haft ohne eine Idee davon zu bekommen, wie lange es noch dauert, wann es einen Prozess geben wird, wie dieser aussehen wird und wie seine Inhaftierung enden wird. Deniz Yücel sitzt dort seit 365 Tagen in einer Art geistiger Isolation. Eingehüllt in eine Ungewissheit, die hinreichend den Tatbestand von Folter erfüllen könnte, folgt man der Definition von amnesty international.

Erdogan führt aktuell einen Angriffskrieg gegen die kurdische Bevölkerung auch auf syrischem Staatgebiet. Seine Armee unterhält mittlerweile innerhalb der NATO die zweitgrößte Anzahl an aktiven Soldaten nach den USA. Einer der Vorwürfe gegen Yücel der im Raum stehen soll, lautet, er hätte sich mit der kurdischen Sache gemein gemacht. Die USA und weitere westliche Staaten machen sich seit Jahren mit der kurdischen Sache gemein. Also stehen auch die USA in der Türkei auf der Anklagebank. Deniz Yücel allerdings ist kein Staat, nicht einmal einer ihrer Interessenvertreter, er ist das genaue Gegenteil davon: Er ist Journalist. Für Die Welt.

Deniz Yücel muss sofort freigelassen werden. Und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland hat nicht nur die Aufgabe, sondern die Pflicht, mit allen Mitteln dafür zu sorgen.