Tichys Einblick
Berlin

Dealer sollten Sache des Staatsanwalts sein, nicht von Politikern

Görlitzer Park: Politiker schieben allerlei Gründe vor, um nicht konsequent gegen Dealer vorzugehen. Anwohner haben die Nase voll – von einer Politik mit wortreichen ideologischen Salbungen von Vielfalt anstatt ordentlicher Polizeiarbeit.

Screenprint: RBB/Kontraste

Wer zuletzt verzweifelt versucht hat, einen Unterschied zu finden in der Haltung der etablierten Parteien zu den dringenden Themen unserer Zeit – die Linke Sahra Wagenknecht befand gerade, die Menschen würden ihre Partei mittlerweile als angepasst wahrnehmen, „als Teil des grünliberalen Establishments“ – wer also bisher erfolglos auf der Suche war nach so etwas wie einem Wettstreit der Ideen und Haltungen zwischen den Parteien, der könnte jetzt ausgerechnet in Berlin fündig werden: rund um einen mittlerweile schon bizarren Streit um die Aussetzung von Recht und Ordnung im Görlizer Park. Oder konkreter: Bei der polizeilichen (Nicht)Verfolgung der dort tätigen Dealer.

Selbst ist der Mann
Weil Stadt und Polizei versagen: Berliner tritt Dealern im Görlitzer Park mit Spraydose entgegen
Für die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Hermann gehören die Dealer zum Park, wie sie zuletzt in einem Beitrag von „Kontraste“ im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (RBB/ARD) verkündete: „Das war ein Anliegen der Anwohner und der Nachbarschaft, die sich hier engagiert für den Park und das immer noch tut. Die sagen, keine Gruppe soll ausgeschlossen werden. Denn die Leute sagten: Heute ist es die Dealergruppe, die rausgeschickt wird, und wer ist es morgen? Wer darf dann nicht in den Park und wer bestimmt das?“

Ja, es ist grotesk. Und ja, es ist möglicherweise sogar justiziabel, wenn eine Politikerin strafrechtlich-relevante Tätigkeiten ausdrücklich billigt, so man ihre Aussagen dahingehend interpretieren will. Der Sprecher der Gewerkschaft der Polizei, Benjamin Jendro, jedenfalls empört sich gegenüber der Morgenpost folgendermaßen: „Vielleicht sollte man auch mal mit denen reden, die von überwiegend schwarzafrikanischen Dealern auf dem Heimweg sexuell bedroht werden, in deren Blumenkästen Stoff gebunkert wird und die Glasflaschen abbekommen, wenn sie keine Drogen kaufen.“

Von der Grünen hinüber zum Jugend- und Gesundheitsstadtrat von Neukölln, zum Christdemokraten Falko Liecke, der „fassungslos“ ist über die Haltung der grünen Bezirksbürgermeisterin: „Damit ist der Görlitzer Park praktisch ein rechtsfreier Raum.“ Und sein Parteikollege Timur Husein, der Kreisvorsitzende der CDU Friedrichshain-Kreuzberg, ergänzt gegenüber Tagesspiegel verbal erstaunlich angriffslustig: „Im Gegensatz zu Frau Herrmann bin ich der Meinung, dass man eine Gruppe unbedingt diskriminieren sollte: nämlich die Drogendealer. Die haben nichts im Görli zu suchen.“

Berlin - Mad in Germany
Make Falafel, no Drogenbekämpfung
Kommen wir zur Cannabis-Legalisierungspartei FDP, die sich erwartungsgemäß zwischen den Stühlen platziert, wenn der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus es für nötig erachtet, zu erwähnen, dass jeder freie Mensch in einen Park dürfe, beinahe so, als gäbe es im Görlitzer Park neuerdings ein Apartheidsproblem oder gar weiß gestrichene Bänke nur für Einheimische. Dabei ist das Gegenteil der Fall, es gibt sogar eigens für Dealer eingerichtete Zonen, die mittels rosa Sprühfarbe Drogenhändlern quasi Verkaufsstellen zuweisen wollten, anstatt mit ein paar Hundertschaften Polizei einzurücken und das Problem in Minuten aus dem Weg zu schaffen, indem anhaltendes Angstgefühl vor Inhaftierung mittels eines Dauerstörfeuers des Rechtsstaates installiert wird. Immerhin erinnert der Freidemokrat die Grüne Monika Hermann noch pflichtschuldig daran: „Was (der Dealer) dort jedoch tun darf und was nicht – zum Beispiel Drogen verkaufen oder Menschen verletzten – entscheidet der Gesetzgeber, also nicht Frau Herrmann. Sie hat aber die Gesetze umzusetzen.“

Dann wäre da noch die SPD. Der zuständige Innenpolitiker Tom Schreiber führt eindrucksvoll vor, warum die SPD gravierende Probleme hat, wenn er merkwürdig sibyllinisch einen „organisierten“ Drogenhandel zwar irgendwie doof findet, aber daran erinnern zu glauben meint, die armen Dealer seien doch „Opfer und Täter zugleich.“ Er wünscht sich daher weder Fisch noch Fleisch, sondern einen „Mittelweg zwischen den Polen Repression und Prävention.“ Er möchte, dass im Park wieder Familien picknicken können. Dann aber nimmt er zuletzt gegenüber der Zeitung doch noch allen Mut zusammen und befindet Drogenhandel und Asyl unvereinbar.

Ein Sprecher des sozialdemokratischen Innensenators Andreas Geisel relativiert dann gegenüber der ursprünglichen Relativierung des Genossen noch weiter – also ein Relativierung der Relativierung oder präziser, sozialdemokratischer Gesinnungssalat:

„Beim Dealen im Görlitzer Park agieren Personen mit unterschiedlichen aufenthaltsrechtlichem Status, die teilweise gravierende und traumatisierende Gewalterfahrungen gemacht haben, bevor sie erstmalig in Berlin in Erscheinung getreten sind – als Konsumenten und Händler.“

Die Eliten merken das nicht
Vom Verlust öffentlicher Orte
Und klar auch: Die Feststellung vermehrter Straftaten läge nicht daran, das mehr Straftaten begangen werden, sondern weil die Polizei schärfer kontrolliere. Aber weil die Drehbewegung bis hin zur Unkenntlichkeit einer sozialdemokratischen Haltung mittlerweile Wesensmerkmal der letzten Tage der SPD als Volkspartie ist, folgt auch beim Sprecher des Innensenators die Kehre, wenn der dann doch mehr Polizei wünscht und sogar vor Abschiebungen nicht Halt machen würde, also dann, wenn die „Unterstützung des Bundes“ da wäre. Er kennt wohl seine Pappenheimer. Er weiß, dass seine Worte am Ende keine Bedeutung haben. Oder kürzer. Er schwafelt.

Bleibt noch die Linke, die möchte eine „Regulierung statt Kriminalisierung“, etwa eine „kontrollierte Abgabe von Cannabis“, wie der – Achtung! – innen- und drogenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus ebenfalls gegenüber Tagesspiegel erklärt.

Bleibt noch die AfD, die zwar mit 22 Abgeordneten im Berliner Abgeordnetenhaus vertreten ist, also mit fast doppelt so vielen Abgeordneten gegenüber der FDP und auf Augenhöhe mit den Linken und Grünen, die aber in den zitierten Artikeln nicht zu Wort kommen. Die AfD twitterte beispielsweise Mitte August zum Problemfeld rund um den Görlitzer Park: „++ Drogenhandel: Polizei will Görlitzer Park nachts abschließen ++ Eine verschlossene Tür für Dealer ist gut. Besser wäre es, sie stünde an der deutschen Grenze.“

Nun wollen Politiker und Parteien gewählt werden. Vom Wahlvolk. Das kommt im Kontraste-Beitrag auch zu Wort, wenn Mütter darüber berichten, wie ihre Kinder regelmäßig („rund um die Uhr angesprochen“) von Dealern belästigt werden. Verunsicherte Eltern verstehen nicht, dass die Politik jetzt explizit darauf achten will, dass keine Gruppe den Park dominiert, wo doch die Dealer längst das Kommando übernommen hätten.

Aber die grüne Bezirksbürgermeisterin bleibt einfach dabei (und jetzt noch einmal im ungereinigten Wortlaut): Dass die Dealer im Park bleiben, „war ein Anliegen, was die Anwohnerinnen und die Nachbarschaft, die sich hier engagiert hat für den Park und es immer noch tun, das sie sagen: Ok, keine Gruppe soll ausgeschlossen werden. Weil die Leute haben gesagt: OK, heute sind es die Dealer, die Dealergruppe, die rausgeschickt wird, was ist es morgen?“

Frontbericht aus Charlottengrad
"Kommen in Berlin bald grüne Korridore für Ladendiebe und rosa Zonen für Bankräuber?"
Ja, was ist es morgen entlang dieser völlig deplatzierten Martin Niemöller-Analogie, Frau Herrmann? Sind es vielleicht die Päderasten und die Exhibitionisten? Die Taschendiebe oder die Vergewaltiger? Was für eine fehlende Differenzierung ist das eigentlich, wo doch eine klare Trennschärfe angesagt sein muss zwischen Recht und Unrecht, zwischen Gesetz und Gesetzesbruch? Aber warum aktiv werden, wenn im – übrigens erstaunlich kritischen – Kontraste-Beitrag selbst noch der Innensenator Geisel seiner eigenen Polizei nicht zur Seite springt, wenn er sich gegen eine Schließung des Parks über Nacht ausspricht und obendrauf noch behauptet, was Kontraste mit einer Reihe von Vor-Ort Interviews mit Anwohnern eindrucksvoll widerlegen konnte, wenn Geisel also behauptet, die Anwohner würden sich nicht belästigt fühlen.

Die allerdings wehren sich längst organsiert gegen die Dealer-Duldung, wenn Hilferufe an den Bezirk geschickt werden, die eigentlich von politischer Seite keinen Interpretationsspielraum mehr zulassen. Reaktionen darauf? Laut Kontraste bisher keine Antwort. Aber wenn schon hier und auf der Ebene die Antworten fehlen, dann kann auf eine repressive Reaktion und dauerhafte Haltung gegen die Dealer noch länger gewartet werden derweil die Anwohner weiter fordern: „Tut endlich was!“

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