Tichys Einblick
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Corona-Groteske: Das Konzeptpapier der Regierung für Erntehelfer

Dieses Konzeptpapier ist ein Dokument der verbeamteten Hilflosigkeit. Eine adäquate Krankenstätte soll vom Landwirt für seine Erntehelfer geschaffen werden für später auftretende Verdachtsfälle. Aber wo befinden wir uns hier eigentlich? Bei der Spargelernte oder im Gefangenenlager?

Landkreis Wuerzburg, 30.03.2020, Land- und Agrarwirtschaft in Zeiten Coronas

imago Images

Zehntausende Erntehelfer sollen nach Deutschland kommen dürfen, TE hat dazu mehrfach berichtet. Und wir haben die beiden zuständigen Ministerien (Landwirtschaft/ Innen) angefragt, uns jenes „Konzeptpapier“ zuzusenden, welches nun diesen Bruch der Quarantänemaßnahmen der Bundesrepublik in Sachen Corona-Pandemie für die Spargelernte regeln soll.

Zusätzlich haben wir das Robert-Koch-Institut (RKI) gebeten, uns die „Leitlinien und Vorgaben“ zuzusenden, von dem beispielsweise der Bauernverband im Zusammenhang mit den Erntehelfern auf seiner Webseite schreibt, dass man diese „strikt einhalten“ würde „um das Infektionsrisiko so gering wie möglich zu halten.“

Trotz Home-Office und einem bestimmt hohen Arbeitsaufkommen haben sowohl die Pressestelle des RKI ebenso wie die des Landwirtschaftsministerium gegen die Erwartung noch am gleichen Tag geantwortet. Danke zunächst dafür.

Zeit zum Lesen
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Bevor wir uns das sechsseitige „Konzeptpapier Saisonarbeiter im Hinblick auf den Gesundheitsschutz“ anschauen, kurz ein Blick auf die Antwort aus dem Robert-Koch-Institut, die wir um die besagten Regeln baten, die dort entwickelt worden sein sollen. Wurden sie aber gar nicht.

Eine Pressesprecherin teilt uns dazu mit: „Das RKI hat keine Regeln oder Empfehlungen für Saisonarbeiter erstellt, generell machen wir das nicht für einzelne Branchen oder Gruppen. Das RKI war fachlich beteiligt an einer entsprechenden Entscheidung auf Ebene der beteiligten Ministerien.“

Es gibt demnach lediglich besagtes sechsseitiges Konzeptpapier der Ministerien vom 2. April 2020 und dort sind also ungekennzeichnet zwar, aber die fachlichen Anmerkungen des RKI irgendwie mit eingeflossen. Schauen wir also dort nach, wie die Einreise und Unterbringung von Zehntausenden in Zeiten von  Corona in Deutschland geschehen soll.

Aus dem Papier erfahren wir zunächst, dass bereits 20.000 Saisonkräfte vor dem Einreisestopp ins Land gekommen wären. Das bestätigt, was TE im Gespräch mit Landwirten erfahren hat, die vorausschauend ihre Spargelstecher schon Wochen vor der Saison ins Land geholt hatten. Auch das Angebot einer Zeitarbeitsfirma, die Erntehelfer aus dem Baltikum anbieten, die schon im Land wären, passt dazu.

Weiter heißt es in der „Begründung“ genannten Einleitung des Konzeptpapiers: „Das Kernziel der Bemühungen besteht neben der heimischen Erntesicherung darin, den Infektionsschutz der Bevölkerung sicherzustellen. Deshalb soll die Anzahl ausländischer Saisonarbeitskräfte auf das notwendige Maß beschränkt und mehr Bürgerinnen und Bürger aus dem Inland gewonnen werden, in der Landwirtschaft auszuhelfen.“

Nun also doch
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Geplant ist hier laut Papier allerdings gerade mal, jeden fünften der insgesamt 100.000 angestrebten Erntehelfer direkt in Deutschland zur Erntearbeit zu bewegen. Intensive Vermittlungsarbeit von Verbänden und Online-Plattformen soll hier laut Konzeptpapier die dazu wohl notwendige Motivation erzeugen.

Einreisen von Erntehelfern sollen zunächst für die Monate April und Mai erreicht werden, aber das Papier hält offen, wie in Zukunft weiter verfahren werden soll: „Weitergehende Maßnahmen über diesen Zeitraum hinaus müssen im Lichte der Lageentwicklung und der Bedarfe beurteilt werden.“

Bisher dürfen diese Erntehelfer offiziell bis zu fünf Monate bzw. 115 Tage im Land bleiben. Zusätzlich zu den sich bereits im Land aufhaltenden Helfern sollen in Mai und April je 40.000 Helfer aus Osteuropa kommen.

Diese 80.000 Erntehelfer (April plus Mai) sollen ausschließlich in Gruppen mit dem Flugzeug kommen. Die beteiligten Ministerien ahnen wohl schon, was im negativen Falle jetzt passieren könnte und schreiben weiter: „Listenverfahren mit Einverständnis der Saisonarbeiter, das die Erforderlichkeit der Einreise bescheinigt, ist so auszugestalten und nachzuhalten, dass eine zweifelsfreie Identifizierung der Saisonarbeiter möglich ist und die Kontingente jederzeit nachvollziehbar sowie überprüfbar sind. Listenverfahren soll u.a. eine spätere Nachverfolgung von Kontaktketten im Hinblick auf den Coronavirus erleichtern.“

Solche Bekundungen lesen sich allerdings nach 2015, nach einem multiplen Behördenversagen im Zusammenhang mit der meist illegalen Einreise von Millionen nicht besonders glaubwürdig.

Kommen wir zum Punkt „Einreisekontrolle“ – der heißt tatsächlich so. Die Ministerien gehen also heute davon aus, dass man Grenzen schützen kann, denn das wäre ja die Grundvoraussetzung für eine Kontrolle.

Hier soll nun u.a. die Bundespolizei die Einreiseerlaubnis der besagten 80.000 überprüfen. Es soll schon bei der Einreise Gesundheitschecks geben „durch medizinisches Personal nach standardisiertem Verfahren.“ Die Kosten dieser Untersuchungen sollen wohl die Landwirte tragen („Sicherstellung durch die Arbeitgeber/ die landwirtschaftlichen Betriebe“) ebenso, wie eine mögliche sofortige Rückführung, wenn es bei den Einreisenden Erntehelfern doch noch Anhaltspunkte für Corona geben sollte.

Wie gesagt: Es geht hier nicht um einen Corona-Test, sondern wohl um Fiebermessen und eine Abfrage des Gesundheitszustandes bei jungen und fitten Erntehelfern, die aller Wahrscheinlichkeit nach selbst dann, wenn sie Corona hätten, in aller Regel kaum Symptome verspüren, geschweige denn solche, die man in Minuten am Flughafen hinter einem Duschvorhang als Raumteiler messen oder ihnen ansehen könnte.

Eine Beruhigungspille für Einheimische? Die allerdings kommen zunächst gar nicht mit diesen Helfern in Kontakt, weil sich diese die ersten 14 Tage auf dem Hof aufhalten müssen. Aber was passiert dann?

Auch die Wiederausreise will das Konzeptpapier regeln: „Entsprechend Listenverfahren von den Bauern(-verbänden) werden die vorgesehenen Ausreisen der Saisonarbeiter gegenüber der Bundespolizei angekündigt.“

Ja, das klingt alles ein bisschen niedlich, wenn man sich hier erinnert, zu was für einem Chaos und zu welcher grotesken Handlungsunfähigkeit die deutsche Bürokratie und die Exekutive spätestens seit dem Beginn der Massenzuwanderung ab 2015  fähig sein kann. Aber gut, hier wollen welche arbeiten, Geld verdienen und wieder nach Hause, so wie sie es schon die letzten Jahrzehnte gehalten haben. Also ohne Corona-Routine, würde man meinen.

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Die Landwirte müssen ihre Saisonkräfte auf eigene Rechnung vom Flughafen abholen. Wenn diese dann auf dem Hof angekommen sind, sollen sie laut Konzeptpapier isoliert werden für 14 Tage. Das mag ja bei einem Großbauern gehen, wenn die Neuen eben auf dieses oder jenes weitere Feld geschickt werden können. Aber es ist kaum anzunehmen, dass beispielsweise die Erntekette bis zur Zwischenlagerung bzw. Auslieferung hier eine lückenlose Isolation überhaupt wahrscheinlich machen könnte.

Zimmer sollen laut Konzeptpapier nur mit halber Kapazität belegt werden. Bei Doppelstockbetten bleiben also die oben leer? Was soll der Effekt sein? Weitere Maßnahmen sind im Konzept festgeschrieben.

Der Aufwand, all das vorher und dann noch regelmäßig während der Erntearbeiten durch Behörden zu überprüfen, wird, wenn das überhaupt geschieht und das ganze nicht nur Augenwischerei ist, für weitere erhebliche Bewegungsprofile sorgen, dieses Mal durch die kontrollierenden Beamten. Werden die bis dahin ausreichend Mundschutz, Masken und Desinfektionsmittel bekommen haben? Und fahren die Streifenwagen und Behördenfahrzeuge weiterhin in Doppelbesetzung oder darf nur noch eine weitere Person im Fahrzeug sitzen, wenn der Kollege im selben Haushalt lebt, was eher unwahrscheinlich ist?

Die Liste der Auflagen für die Landwirte ist lang:

„Zurverfügungstellung ausreichender Desinfektionsmittel (mind. 1 Spender Zimmer, Bad, Toilette, Küche) und Einmalhandtücher in Bad, Toilette und Küche.
Engmaschige Reinigungspläne für Gemeinschaftseinrichtungen (Bäder, Toiletten u.a.), mehrfaches tägliches Desinfizieren von Türgriffen, Wasserhähnen, Toiletten u.ä.

Bei Nutzung gemeinsamer Bereiche (Küche, Sanitärräume etc.) durch verschiedene Teams ist durch verschiedene Nutzungszeiten ein Kontakt zwischen den Teams zu vermeiden. Zwischen den Nutzungen sind die Räume ausreichend zu lüften und zu reinigen.

Waschen der Wäsche bei mind. 60 C.
Spülen von Geschirr bei mind. 60 C.
Verbot von Besuchern auf dem Betriebsgelände.
Arbeitsbesprechungen in ausreichend großen Räumen, so dass Mindestabstand eingehalten werden kann, oder im Freien.
Transporte zwischen Unterkunft und Einsatzort nur in den jeweiligen Teams oder stets nur mit halber Auslastung, so dass die Mitarbeiter nicht zu nah nebeneinander sitzen oder nur mit Mundschutz/Handschuhen.
Arbeiten soweit möglich mit Mindestabstand 2 m, bei geringerem Abstand 1,5 m (außerhalb der festen Teams) Verwendung von Mundschutz und Handschuhen oder Schutzscheiben/-folien (z.B. an Sortiermaschinen).“

Ja doch, das ist mehr als nur ambitioniert, was sich deutsche Beamte aus den Ministerien – beraten von Akademikern aus dem Robert-Koch-Institut – da ausgedacht haben. Spätestens hier hätte man sich gewünscht, dass diese Mitarbeiter zuvor eine Woche lang beim Bauern um die Ecke bei der Ernte helfen, dort auch nächtigen und einmal schauen, wie das dann so funktioniert, was sie sich am Resopalkartentisch so ausgedacht haben. Horst Seehofer hat sicher auch darüber amüsiert geschmunzelt und es dann wie immer dabei belassen.

Ach ja: Die Verpflegung soll die ersten 14 Tage vom Bauern gestellt werden. Nein, das Konzeptpapier schreibt hier nicht vor, ob Kaffee oder Tee serviert werden soll und ob vielleicht besser in Cromagan-Kannen. Sehr wohl steht da aber, dass nach 14 Tagen der Pole oder der Rumäne auch mal zum Netto oder zu Penny gehen darf, aber bitte so: „Enge Begrenzung der Personen, die gleichzeitig das Betriebsgelände zum Einkaufen verlassen dürfen.“

Man könnte sich jetzt amüsieren, aber diese verbeamtete Hilflosigkeit, die einen da Zeile für Zeile anspringt, ist schon auch traurig. Oder sie macht wütend, wenn man ja weiß, dass die selben ministerialen Planungsstäbe diese Verwerfungen der Massenzuwanderung nicht nur nicht beheben können, sondern sie mitverantworten und weiter laufen lassen.

Ach ja: Eine adäquate Krankenstätte soll auch vom Landwirt für seine osteuropäischen Helfer geschaffen werden für später auftretende Verdachtsfälle. Aber wo befinden wir uns hier eigentlich? Bei der Spargelgelernte oder im Gefangenenlager? Erkrankt einer, ist das gesamte Team sofort zu isolieren, heißt es weiter. Ein Arzt sei einzubestellen, der den Fall dann dem Gesundheitsamt meldet.

Das Konzeptpapier fordert weiter, dass die zuständigen Arbeitsschutzbehörden und der Zoll die genannten Maßnahmen kontrollieren.

Und nachdem man nun all das gelesen hat, bleiben eigentlich nur zwei bange Fragen offen: Was wird der Spargel kosten, wie bekommt man ihn aus dem Markt und mag man den überhaupt noch unbeschwert essen, wenn man nun um dieses ganze Prozedere der Ernte weiß? Der eine oder andere wird hier womöglich zur Sicherheit mit seinen Gummihandschuhen nach dem griechischen Spargel greifen. Billiger ist der ja sowieso und der griechische Bauer hat es auch verdient, denn der verteidigt des Nachts mit seinem Traktor die europäische Außengrenze. Und das macht der ganz ohne Konzeptpapier, was man nun konzeptlos nennen könnte. Na und?

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