Tichys Einblick
Abschiebungen

Bundesländer wollen nicht abschieben – neue Haftmöglichkeiten bleiben ungenutzt

Eine Anfrage bringt es an den Tag: Einige Landesregierungen denken nicht daran, die Neureglung des Aufenthaltsgesetzes zu nutzen, also in Ermangelung eigener die Abschiebehaftplätze anderer Bundesländer in Anspruch zu nehmen.

LEA Ellwangen, 3. Mai 2018

Thomas Niedermueller/Getty Images

Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Die Linke) stellte am 14. November 2019 eine Anfrage an die Bundesregierung unter der Arbeitsnummer 11/157, die schon eine Woche später aus dem Bundesinnenministerium beantwortet wurde.

Ulla Jelpke wollte wissen, wie viele Abschiebe- und Ausreisegewahrsamsplätze eigentlich von den Bundesländern (Jelpke wünschte hier eine Aufschlüsslung nach Ländern) bereits in Anspruch genommen wurden, seit es ein neues Gesetz gibt, welches neu regelt, dass Personen, die zur Abschiebung und Ausreise vorgesehen sind, auch in normalen Haftanstalten untergebracht werden können, was vor der Neureglung des § 62a Abs. 1 AufenthG so nicht möglich war.

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Dazu muss man wissen, dass sich die Länder zunächst an das „Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr (ZUR)“ im Bundesinnenministerium wenden können, wenn sie keine Möglichkeiten einer eigenen Haftunterbringung haben und so über das ZUR (sitzt in der Berliner Außenstelle des BAMF) in weiteren Ländern nach solchen nachfragen können. Nun muss man kein Linker sein, um den Kopf darüber zu schütteln, dass bei der Umverteilung von Abschiebehäftlingen auf Haftanstalten ausgerechnet ein „Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr“ zuständig ist. Das muss man in der Wortwahl zynisch empfinden.

Auf Nachfrage im Büro Jelpke wird gesagt, die Frist zwischen Neureglung des Gesetzes (Abschiebefälle dürfen auch in normale Haftanstalten) und Anfrage der Bundestagsabgeordneten sei nicht zu knapp (wenige Monate) gewählt, denn wenn wirklich Bedarf bestände, dann hätten die Länder ja längst entsprechend schnell anfragen können.

Das allerdings, so ergab jetzt die Antwort aus dem Bundesinnenministerium, ist bisher nicht in dem Maße passiert, wie man es bei Dringlichkeit hätte vermuten können. Tatsächlich plane lediglich Sachsen-Anhalt „von der Möglichkeit des § 62a Abs. 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) Gebrauch zu machen“. Weitere Länder prüfen noch, „ob sie diese Möglichkeiten nutzen wollen.“

Die Neureglung trat am 21. August 2019 in Kraft. Diverse Flüchtlingshilfeorganisationen bemängeln die neuen Befugnisse speziell der Exekutiven mit besonderem Fokus auf die Bedingungen der Abschiebehaft.

Haftplätze in normalen Haftanstalten in Ermanglung eigener Abschiebeplätze mit Abschiebekandidaten zu belegen, ist also möglich, wird aber abgesehen von einer Planung in Sachsen-Anhalt bisher von keinem weiteren Bundesland konkret bei der ZUR beantragt. Hier sind die Bundesländer gefragt, sich zu erklären. Denn wenn der entsprechende gesetzliche Rahmen zur Verfügung steht, warum wird er dann nicht ausgeschöpft? Die Inhaftierung von Abschiebekandidaten, bei denen der berechtigte Verdacht besteht, sie könnten sich der Abschiebung entziehen, ist also in normalen Haftanstalten möglich und wenn den Ländern in ausreichendem Maße keine eigenen zur Verfügung stehen, kann über das ZUR in anderen Bundesländern angefragt werden. Passiert aber nicht.

Tatsächlich schrieb beispielsweise das Westfalen-Blatt noch im Mai 2019, dass sich nur wenige Landesregierungen einer Umfrage zufolge vorstellen könnten, „Abschiebehäftlinge in normalen Gefängnissen unterzubringen.“ Selbst dann nicht, wenn es innerhalb der Haftanstalt eine räumliche Trennung gäbe, was die Neureglung ebenfalls beinhaltet.

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Besagte Umfrage eines „Mediendienstes Integration“ hatte ergeben, dass 11 von 16 Bundesländern grundsätzlich nicht einmal vorhaben, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Und auch jene Länder, für die eine Anfrage an das ZUR besonders dringlich wäre, weil laut Umfrage keine Haftplätze zur Verfügung stehen, haben bis heute beim ZUR keine Hilfe anderer Länder angefragt. Ohne adäquate Haftplätze waren demnach noch im Mai 2019  Baden-Württemberg, Bremen, Saarland und Nordrhein-Westfalen. Neun Länder würden indes laut der Zeitung Neubauten planen bzw. Ausbauten.

Aber wie sehen solche neuen Projekte konkret aus? Wie viele Plätze entstehen da bei Zehntausenden wenn nicht Hunderttausenden von Abschiebekandidaten? Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein planen tatsächlich eine gemeinsame Abschiebe-Haftanstalt. Also eine, die verhindert, dass gewöhnliche Kriminelle und Abschiebekandidaten – wenn auch getrennt, aber im selben Gebäude unterkommen. Pro Bundesland sind in diesem Dreiländergefängnis zwanzig Plätze geplant. Platz also für insgesamt gerade einmal sechzig Abschiebekandidaten. Dazu muss man wissen, das es bundesweit überhaupt nur 490 reine Abschiebehaftplätze gibt.

So wird also fleißig in Mini-Gefängnisse investiert, die irgendwann fertig gestellt sein werden. Aber was passiert bis dahin? Und vor allem: Was passiert mit jenen, die zum zweiten, zum dritten, zum vierten oder gar zum fünften Mal wiedereinreisen? Warum die Länder bei tausenden anhängenden Abschiebefällen beim ZUR keinen Bedarf anmelden, haben sie laut besagter Umfrage allerdings schon klar gemacht: Es ist ganz offensichtlich ein Politikum, wenn schon im Mai 2019 klar war, dass elf von 16 Bundesländern grundsätzlich gar nicht vorhaben, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.

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