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Befeuert von Push- und Pull: Zuwanderung über zentrale Mittelmeerroute

EU, Nato, etliche NGOs, UN und weitere Player – selbst die EKD mischen mit, wenn es darum geht, sich zur Zuwanderung über das Mittelmeer zu positionieren: Eine scheinbar unlösbare Aufgabe zwischen Pull- und Push, zwischen EU-Befürwortern und Gegnern, zwischen Recht und Unrecht.

© LOUISA GOULIAMAKI/AFP/Getty Images

Aktuelle Meldungen bestätigen eine erneute Zunahme der Zuwanderung nach Europa über die zentrale Mittelmeerroute. Der Tagesspiegel berichtete schon im Februar von einer sprunghaft gestiegenen Zahl von Flüchtlingen und befand: „Roms Deals mit der schwachen libyschen Regierung scheinen nicht mehr zu funktionieren.“

So wurden alleine an einem einzigen Tag Ende Januar, 800 Migranten aus Schlauchbooten in Küstennähe Libyens aufgenommen. Im Mai dieses Jahres meldete Frontex nun eine Zunahme der Migration auf dieser Route, um 17 Prozent. Über die Türkeiroute kämen bis zu 40 Prozent Familien, über das Mittelmeer überwiegend nur junge Männer, so Frontex-Direktor Fabrice Leggeri gegenüber der Bild am Sonntag.

Leben zu retten, ist eine Pflicht

Noch im November 2017 verteidigte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini vehement Rettungsaktionen auf dem Mittelmeer. Sie wies den Vorwurf zurück, „dass die Rettung von Migranten im Mittelmeer noch mehr Menschen nach Europa locken würde. „Leben zu retten ist kein ,pull factor‘. Es ist eine Pflicht. Ich verweigere mich dem Argument, dass wir durch die Seenotrettung Migranten anziehen.“

Mogherini bezog sich hier allerdings explizit auf die Arbeit der offiziellen EU-Marinemission „Sophia“. Die allerdings hat eigentlich einen anderen „Kernauftrag“, nämlich die „Unterbindung der Menschenhandelsnetzwerke.“ Die Bundeswehr beschreibt die Aufgabe so: „Kernauftrag der Operation ist die Bekämpfung krimineller Schleusernetzwerke vor der libyschen Küste. Dazu werden die Schiffe, Flugzeuge und Hubschrauber auf Hoher See und im internationalen Luftraum zwischen der italienischen und libyschen Küste eingesetzt. Sie überwachen das Seegebiet und tragen durch Aufklärungsergebnisse dazu bei, dass ein umfassendes Bild über die Aktivitäten von Schleusern entsteht, die das Leben von Menschen riskieren, um daraus Profit zu schlagen.“ Dort heißt es dann allerdings auch: „Insgesamt wurden durch Einheiten der Operation SOPHIA in über 250 Einsätzen mehr als 40.000 Menschen aus Seenot gerettet.“

Die Beteiligung der einzelnen Institutionen

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 25. Juli 2017, das Mandat der Operation bis zum 31. Dezember 2018 zu verlängern. Mit Beschluss des Deutschen Bundestages vom 29. Juni 2017, beteiligt sich die Bundeswehr weiterhin an der EUNAVFOR MED Operation SOPHIA. Das Bundeswehr Mandat gilt bis zum 30. Juni. Im März dieses Jahres wurde auch das Bundeswehrmandat der NATO die Operation SEA GUARDIAN, um ein weiteres Jahr verlängert.

Die Bundeswehr ist demnach sowohl im Nato-, wie im EU-Auftrag im Mittelmeer unterwegs. Eine kleine Anfrage der Linken an die Bundesregierung zur Nato-Mission will u.a. gerade wissen, was die Bundeswehr im Rahmen ihrer Aufgaben dort macht – wie viele mutmaßliche Terroristen (IS), Waffenschmuggler usw. bisher dingfest gemacht werden konnten. Hier auch die Frage nach der Aufnahme von Migranten: „An wie vielen Seenotrettungsaktionen war SEA GUARDIAN jeweils im Jahr 2016, 2017 und 2018 wie beteiligt und wie viele Personen wurden dabei durch SEA GUARDIAN gerettet (bitte aufschlüsseln nach Vorfall mit Datum und kurzer Beschreibung).“ Diese kleine Anfrage umfasst 37 weitere Fragen rund um diesen Themenkomplex.

Neben EU und Nato sind im Moment wieder diverse europäische und deutsche NGO-Rettungsschiffe vor der nordafrikanischen Küste unterwegs. Die Website „marinetraffic“ zeigte am 24. Mai, nordwestlich von Tripolis, nahe beieinander liegend, mehrere Schiffe von Sea-Watch, weiter westlich ist auch das NGO-Schiff Aquarius in Küstennähe unterwegs.

Sea-Watch ist vertreten mit den Schiffen „Sea Watch 3“, „Sea Watch Tango“, „Sea Watch Delta“, mit dabei auch die „Seefuchs“ der NGO „sea-eye“. Weitere Schiffe liegen laut marinetraffic beispielsweise in tunesischen Häfen vor Anker, so die „MS Sea Eye“ in Yasmine Hammamet (18.05.) ebenso in spanischen Häfen, wie die Open Arms einer spanischen NGO , in der Nähe von Valencia.

Nun hieß es noch im Sommer 2017, die Hilfsorganisationen würden ihre Einsätze vor der nordafrikanischen Küste zurückfahren, als nach „Ärzte ohne Grenzen“ im August, auch die deutsche „Sea-Eye“ „schweren Herzens“ die Aussetzung ihrer Aktivitäten verkündet hatte.

Davon kann im Mai 2018 keine Rede mehr sein. Laut Sea-Watch ist jetzt sogar zusätzlich ein Suchflugzeug namens „Moonbird“ an Ort und Stelle im Einsatz, angeschafft mit Unterstützung der evangelischen Kirche und betrieben von Sea-Watch und der Schweizer Humanitären Piloteninitiative (HPI).

Neben Schiffen, nun auch ein Suchflugzeug, unterstützt durch die EKD

Wie verworren die Situation tatsächlich ist, wird beispielhaft vorgeführt, wenn die europäische Seenotleitstelle für das westliche und zentrale Mittelmeer, mit Sitz in Rom (MRCC Rom), im gemeldeten Seenotfalle verpflichtet ist, auf alle verfügbaren Rettungsmöglichkeiten zurückzugreifen. So kam es vor, dass auch das genannte Flugzeug der NGO mit in die von Rom pflichtmäßig ausgeführte Rettungsaktion involviert wurde, als ein Boot nördlich von Al-Khums gesucht wurde und dann aus der Luft 33,5 Seemeilen vor der Küste entdeckt wurde. Und „damit in internationalen Gewässern“ , wie die NGO auf ihrer Website fast schon pflichtschuldig meint, anfügen zu müssen.
Die evangelische Kirche hat entschieden, auch in den kommenden drei Jahren das Aufklärungsflugzeug zu finanzieren: „Sea-Watch freut sich über die Entscheidung der EKD, das Aufklärungsflugzeug „Moonbird“ in den kommenden drei Jahren weiterhin zu fördern und damit alle zivilen Seenotrettungsschiffe auf dem Mittelmeer zu unterstützen.“

Eine Sommer-Serie?
Einwanderung übers Mittelmeer
Und die Gemengelage vor Ort ist expansiv, wenn die europäische Seenotleitstelle obendrein noch die libysche Küstenwache im Seenotfalle informiert, wenn diese in der Nähe unterwegs ist. Die allerdings bringt in Seenot geratene Migranten zurück an die lybische Küste.

Diese „Konkurrenz“ um die Aufnahme der eng an eng auf den Schlauchbooten sitzenden Menschen nimmt dann groteske Züge an, wie die NGO Sea-Watch aus ihrem speziellen Blickwinkel in einem so genannten „Überlebenden-Bericht“ veröffentlichte: „Die Anwesenheit des libyschen Schiffes vor Ort mit der erklärten Absicht, Menschen gewaltsam zurückzubringen, gefährdete die gesamte Rettungsaktion und brachte Leben in Gefahr. Höchstwahrscheinlich wären Personen ertrunken, wenn die Crew der Sea-Watch 3 es nicht geschafft hätte, vor Eintreffen der Libyer Rettungswesten an alle zu verteilen. (…) Darüber hinaus musste unser SAR-Flugzeug Moonbird am Dienstag eine weitere illegale Rückführung bezeugen.“

Und um die Verwirrung komplett zu machen, sind diese Rückführungen an die nahe gelegene Küste nicht nur laut NGO, sondern wohl auch nach UN- und EU-Recht strittig, beispielsweise nach Art. 33 der Genfer Konventionen: Verbot des „Refoulements“. Pia Klemp, Kapitänin der Sea-Watch 3 kommentiert das so: „Es ist äußerst frustrierend zu sehen, wie die europäischen Behörden die Situation auf See eskalieren, indem sie die so genannte libysche Küstenwache ermutigen, Menschen zurückzuführen, auch wenn sie wissen, dass die Menschen dort Misshandlungen ausgesetzt sind und dass Rückführungen gegen das Völkerrecht verstoßen.“

Unterstützung der libyschen Küstenwache durch die EU

Die libysche Küstenwache wird nun allerdings aktuell von der EU unterstützt, ausgerüstet und ausgebildet, um die Küsten zu schützen und illegale Migration einzudämmen. Diese Unterstützung soll sogar noch ausgeweitet werden. Laut einem Bericht der Welt am Sonntag „finanziert die EU-Kommission die Maßnahme zunächst mit 30 Millionen Euro, Italien gibt weitere 16 Millionen Euro hinzu. Das Land übernehme auch die Ausbildung der libyschen Küstenpolizei. Die Ausbildung finde außerhalb der EU-Marineoperation statt.“ Diese Ausbildung sei wesentlich, „um Menschenschmugglern das Handwerk zu legen und damit die illegale, für viele tödliche, Überfahrt nach Europa möglichst zu verhindern.“, kommentiert die innenpolitische Sprecherin der Europäischen Volkspartei (EVP), Monika Hohlmeier (CSU).

Nun sind die Zustände in Libyen zweifellos katastrophal. Aber auch hier muss man sich immer öfter auf Berichte der NGOs verlassen, die an Bord ihrer Rettungsschiffe gemachte Befragungen der Migranten über die Verhältnisse in Libyen veröffentlichen. Die NGO Sea-Watch strengte aktuell eine Klage gegen Italien
vor dem europäischen Menschenrechtsgerichtshof an, „wegen der Koordinierung der Rückführungen der libyschen Küstenwache, die zu Todesfällen und Missbrauch von Migranten geführt“ hätten.

Der Vorwurf: „illegales Push-Back“. Die Migranten, die mit allen Mitteln von Nordafrika nach Europa wollen, werden also irgendwo eingequetscht zwischen Push- und Pull-Faktor. Laut Caritas-International warten alleine in Libyen 700.000 auf eine Überfahrt nach Europa. Irgendwie, irgendwann.