Tichys Einblick
Antifantastereien

Aufruf zur Gewalt?

Die von allen guten Geistern verlassene Schreiberin fordert 87,4 Prozent „Antifaschisten“ auf, sich „mit einem angemessenen Betreuungsschlüssel“ um die restlichen 12,6 Prozent zu „kümmern“.

© Odd Andersen/AFP/Getty Images

Die AfD im Bundestag: Auf der gegenüberliegenden Seite sitzt der Schock über diese vorhersehbare Entwicklung offensichtlich tiefer, als vermutet. Insbesondere die Salonlinken können es nicht verwinden. Revolution statt Tagesordnung. Aber Hysterie ist kaum hilfreich in der politischen Auseinandersetzung. Ausnahmezustand: 87 Prozent der Bevölkerung sollen sich nun bitte so fühlen wie wir. Wie Angegriffene, wie Verlierer, wie Opfer. Im Geschichtsunterricht gepennt. Linke Sehnsucht nach 1933. Der Bundestag im Reichstagsgebäude soll geschützt werden. Man will es besser machen als noch die Urgroßväter und Urgroßmütter. Himmel schick Weisheit.

Die Rede ist von dieser „Opferrolle”, welche man den „Nazis“ im Parlament nicht zubilligen möchte, während gleichzeitig der Bundestag und die Deutschen Opfer einer irgendwie faschistischen Intifada geworden sind. Hysterie.

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Allen voran mal wieder der Spiegel: SPON gestattet es einer Kolumnistin, einen Gewalt-Aufruf (Antifaschistische „Handarbeit“ gegen Nazis) zu veröffentlichen, der es in sich hat. Hysterie soll man mit Nüchternheit beantworten. Aber wie geht das? Wenn schon der Spiegel erklärt, dass mit dem Einzug der AfD ins Parlament nun alles erlaubt sein soll? Die Schleusen geöffnet: „Antifaschismus muss Alltag werden.“, verlangt Margarete – Anetta – Stokowski Augstein zum Gefallen, der sich selbst nicht traut.

Die junge bürgerliche Autorin fordert stellvertretend für den bürgerlichen Feigling eine multiple Querfront: „Man muss ihnen auf die Nerven gehen – und neue Allianzen schmieden.“ Die von allen guten Geistern Verlassene fordert 87,4 Prozent Antifaschistinnen und Antifaschisten die sich „mit einem angemessenen Betreuungsschlüssel“ um diejenigen kümmern, denen es nicht peinlich ist, ihre Wehrmachtsfantasien öffentlich zu äußern.

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Einem angemessenen Betreuungsschlüssel? Klingt, wie die kleine Schwester des propagandistischen Zynismus‘ unrühmlicher Zeiten. Im hysterischen Eifer jede innere Haltung verloren: Sch*** auf Mäßigung, sch*** auf Demokratie, sch*** auf Deutschland sowieso? Jetzt gilt es erst einmal, die Demokratie mit allen möglichen und unmöglichen Mitteln zu verteidigen. In diesem Satz ist der ganze gefährliche Irrsinn schon zusammengefasst: „Man sagt „Antifa bleibt Handarbeit“, und das heißt, dass wir in den kommenden vier Jahren die Hände voll zu tun haben werden.“ Mehr als nur der „Stinkefinger”. Man agitiert, man wiegelt auf, man ruft zur Gewalt auf („Handarbeit”) und will am Ende wieder nicht Schuld gewesen sein, wenn beide Seiten explodieren. Kullertränen.

Schlimm auch deshalb, weil so der sich der Demokratie verpflichtete gemäßigte Zeitgenossen und Brückenbauer von einer offensichtlich verwirrten Opferrollen-Politgöre genötigt wird, sich vor die AfDler im Reichstagsgebäude zu stellen. Eskalation geht genau so. Mit Gewalt ist nicht zu spaßen.

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Nein, mit dümmlicher Agitation aus der Mottenkiste der Republik kann man der AfD nicht die Stirn bieten, wenn man mit dieser Politik nicht einverstanden ist. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns – das klingt gerade in Deutschland noch einmal schäbiger als anderswo. Das ganz aufgeregte Hippiemädchen möchte immer noch eine Schippe drauflegen. Aufwiegeln: „In einem Klima, in dem Hass so gut gedeiht, sind alle, die nicht rechts sein wollen, aufgerufen, sich immer wieder neu zu distanzieren.“ Am Besten in „Handarbeit”? Die Frontfrau der Hasserverfolger im Sound der Hasser? Das auch, aber viel mehr Dummheit und blinder Aktionismus. Möglicherweise sogar justiziabel. Gewalt ist Gewalt.

Christian Lindner twittert von einem „Kampfauftrag“ gegen die AfD-Abgeordneten und Anne Will befragte Alexander Gauland inquisitorisch, was er mit „Wir werden sie jagen!“ meint. Auf der anderen Seite des Weltalls wären Stokowski und Gauland wahrscheinlich ein Pärchen, eben dort, wo das Alter und die Sozialisation keine Rolle mehr spielt. Aber das wäre Gauland gegenüber wahrscheinlich noch hinterhältiger, als nur angewandte antifaschistische „Handarbeit”. Hetze”, das Maas’sche Zielobjekt, ist eine scharfe Waffe, denn ihre eigentliche Wucht entfaltet sie erst in der Reaktion, wenn der „Hetzer” nach getaner „Kopfarbeit” des Aufrufs zur „Handarbeit” schon wieder in seiner eleganten Altbauwohnung den illegalen Joint dreht und von allem nichts gewusst haben will.

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Deshalb kann es doch nur einen Aufruf geben, wenn man nun unbedingt plärren will: Beruhigt euch gefälligst wieder. Denn wenn Chaos und Agitation zur Staatsräson hochgepuscht werden, dann dürfen wir tatsächlich einem neuen geistigen Faschismus guten Tag sagen. Mit dem Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag ist dieser Moment aber ganz sicher nicht gekommen. Und er sollte auf keinen Fall ein Initial dafür sein. Das gilt übrigens genauso für AfD und Anhänger. Unzweifelhaft ist diese als Apokalypse adressierte Denke von „Volkstod”, „Umvolkung” und so weiter auf der Agitationsskala gleichauf. Kommt runter, alle, jetzt.