Tichys Einblick
ARD bekennt Farbe

ARD „Farbe bekennen“ – Angela Merkel: „Grenzschutz, Grenzschutz, Grenzschutz“

Vom Asyl-Hopping zum Asyl-Shopping: Wie Merkel das Grundgesetz dehnt, um ja nur keinem "Flüchtling" genannten Zuwanderer irgendwie die Einreise ins Sozialsystem zu verweigern.

Omer Messinger/AFP/Getty Images

Bei ARD heißt es: «Ob frisch gewählter Bundespräsident, Bundeskanzlerin oder Finanzminister – „Farbe bekennen“ müssen die Politiker bei Tina Hassel und Rainald Becker.» Das klingt dreist.

ARD bekennt Farbe

Denn wer Tina Hassel in der Causa Seehofer erinnert, der erinnert sich an den öffentlich-rechtlichen Auftritt der Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, die in den Stunden des Abwartens über den Ausgang der Seehofer-Merkel-Gespräche penetrant Stimmung machte gegen Seehofer, anstatt einfach mal ihrem Auftrag nachzukommen. Nicht Seehofer, Hassel hat Farbe bekannt, und nicht zu knapp.

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Zum Auftakt der Sendung erklärt Becker Frau Merkel erst einmal, was sich gehört: Nämlich Horst Seehofer zum Geburtstag zu gratulieren. Hat sie gemacht. Also alles gut. Nun darf man gespannt sein, ob sich die Angriffslustigkeit in den nächsten fünfzehn Minuten auf solche Benimmschulungen beschränkt. Becker weiter: „Warum schmeißen sie den Mann nicht einfach raus?“

Merkel erklärt die Richtlinienkompetenz einer Bundeskanzlerin. Sie gäbe die Linie vor und die Minister regeln ihre Geschäfte in eigener Verantwortung entlang dieser Richtlinien. Nun gibt es allerdings eine Koalitionsvereinbarung zwischen CDU, CSU und SPD. Dieses Papier greift in besonderem Maße in die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin ein. Merkel unterscheidet richtlinienrelevante Fragen und andere. Diese würde basieren auf dem genannten Vertrag und dem Grundsatz, nicht „einseitig zu handeln, nicht unabgestimmt und nicht zu Lasten Dritter.“ Zu Lasten der Kanzlerin? Die erklärt nun, Seehofer sei weiter Innenminister, alles sei quasi in Butter. Das ist aufregend. Nicht mehr das Grundgesetz zählt, sondern der Koalitionsvertrag. Eine neue Hierarchie der Gesetzgebung. Politischer Wille schlägt Verfassung.

Ansagen, wann es ernst wird

„Aber jetzt mal ernsthaft nachgefragt“, sagt Tina Hassel. Jene Hassel, die sich freiwillig der Richtlinienkompetenz der Kanzlerin unterworfen hat. Gut, dass sie das sagt, man hätte es sonst nicht gemerkt. Die öffentlich-rechtliche Interims-Adjutantin der Kanzlerin muss jetzt Angela Merkel zurückzwingen auf jenen Kurs, von dem sie selbst Tage zuvor noch annahm, es sei der Kurs Merkels, als sie Seehofer in diversen Kommentaren öffentlich-rechtlich in die Kniekehlen trat. „Wollen Sie sich das bieten lassen?“ fragt also Hassel. Merkel weicht natürlich aus, die Schlacht ist ja geschlagen. Sie erinnert mehrfach an die „Väter und Mütter des Grundgesetzes“, die ihr ja besagte Richtlinienkompetenz in den Schoß gelegt haben. Ist es in der merkelschen Massenzuwanderungsfrage EU-Recht oder internationales Recht, auf das sich die Kanzlerin beruft, sind es nun im Streit mit dem Innenminister besagte Väter und Mütter, die ihr das Alibi liefern sollen.

„Entscheidend ist, dass wir innerhalb dessen, was vorgeschrieben ist, zusammenarbeiten.“, antwortet Merkel. Gesetzestreu und streng nach Vorschrift? Das sah nun freilich Ende 2015 ganz anders aus, als eben besagter Seehofer Merkels Massenzuwanderungspolitik eine „Herrschaft des Unrechts“ nannte.

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„Nicht einseitig, nicht unabgestimmt und nicht zu Lasten Dritter.“, das seien ihre Grundsätze. Sagte sie schon. Sagt sie halt noch einmal. Dann erklärt Merkel, worum es ihrer Meinung nach geht an der bayrisch-österreichischen Grenze und also in der „Einigung“ mit Seehofer. Oder mit anderen Worten, sie erklärt, was Seehofer gegen sie brutal erkämpfen musste, weil sie sich dieses Themas nicht annehmen wollte, weil sie dem handelnden Minister zunächst ihre Richtlinienkompetenz hinschleuderte, als der seinen Masterplan „Asyl“ veröffentlichen wollte: Ziel sei es nun, an besagter Grenze „temporäre Kontrollen“ zu machen. Sortiert werden sollen so jene Einreisewilligen, die schon einen Eurodac-Eintrag haben. Die also schon in einem anderen EU-Land registriert wurden.
Asylhopping per Flixbus

Das allerdings wäre kaum anders möglich, würden die Sicherheitsbehörden in Österreich bzw. Italien ihre Arbeit erledigen. Ohne diese Registrierung kann ja nur bis zur deutsche Grenze gelangen, wer entweder durchgewunken wird von den genannten Staaten, oder sich auf Schleichwegen durch halb Europa bis nach Bayern durchgeschlagen hätte. Hier muss dann die Frage erlaubt sein, ob beispielsweise die Fahrt im klimatisierten Flix-Bus schon ein solches Inkognito bedeutet. Wer woanders schon einen Asylantrag gestellt hat, soll das hier nicht mehr können. Ist das noch Asylhopping oder schon Asylshopping?

„Nun lösen wir das damit, dass wir sagen, im grenznahen Bereich ist jemand nicht eingereist und – das haben wir auch an den Flughäfen – dann muss diese Person ganz schnell wieder dahin zurückgeführt werden, wo der Eintrag erfolgt ist. Dafür braucht man die Verwaltungsvereinbarung oder eben das Benehmen.“ (Red.: Benehmen ist in der Rechtswissenschaft eine Form der Mitwirkung bei einem Rechtsakt.)

Mit Griechenland hätte Merkel das ja schon besprochen. Besprochen? Nun ja, wenn man diese Euro-Puderdosen-Politik eine Besprechung nennen will, dann muss man sich fragen, wie dann erst ein Entgegenkommen der Kanzlerin aussieht. Erstaunlicherweise weiß die Kanzlerin hier offensichtlich genau, welche Kosten die Versorgung bzw. Alimentierung der Asylbewerber verursachen. Die Mär von einer demografisch segensreichen Zuwanderung ist also endgültig vom Tisch, ebenso wie die Idee von einem Heer gut ausgebildeter Facharbeiter.

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Bezogen auf Österreich und Italien fragt Hassel: „Ohne Abkommen keine Transitzentren?“ Die Kanzlerin erwidert, man könne diese Zentren trotzdem machen. Aber die Transitzentren hätten eine Begrenzung. Denn – «wieder nach dem Grundgesetz – könne man „sozusagen die Freiheit einschränken maximal 48 Stunden.“» Nun ist dieses merkelsche „sozusagen“ in den letzten Wochen zu einer Art Umkehrung eines Safewords geworden, wenn Merkel „sozusagen“ sagt, dann ist höchste Aufmerksamkeit gefordert.

Und tatsächlich sagt das Bundesverfassungsgericht etwas völlig anderes: „Die Begrenzung des Aufenthalts von Asylsuchenden während des Verfahrens nach § 18a AsylVfG auf die für ihre Unterbringung vorgesehenen Räumlichkeiten im Transitbereich eines Flughafens stellt keine Freiheitsentziehung oder Freiheitsbeschränkung im Sinne von Art 2 Abs 2 Satz 2 und Art 104 Abs 1 und 2 GG dar.“

Nun sollen sich diese geplanten grenznahen Zentren an Flughafen-Transitzonen orientieren. Innerhalb dieser 48 Stunden müsse die Überstellung in das Land der Erstregistrierung erfolgt sein, „ansonsten ist die Prozedur, dieses Verfahren über das Transitzentrum nicht möglich.“, so Merkel. „Man muss sich das so vorstellen, dass das eine sehr kurze Aufenthaltsdauer ist, dass es eine Aufenthaltsdauer im polizeilichen Bereich ist. Und das eben diese Dauer auch sehr beschränkt ist und selbstverständlich würde man auch für Frauen und Kinder separate Bereiche schaffen.“

Plötzlich sind 48 Stunden Grundgesetz

Becker findet das die spannende Frage: „Wenn sie nicht eingereist sind, müssen sie doch bewacht werden (…) Und wie wollen sie am Ende sicherstellen, dass sie mit 48 Stunden hinkommen, dass es nicht so eine Art Auffanglager wird?“ „Nein“, antwortet Merkel, mit diesen 48 Stunden müsse man hinkommen, das sage das Grundgesetz. Wirklich?

Merkel weiter: „Wenn das nicht gelänge“, kämen die Menschen „in eine normale Aufnahmeeinrichtung, wie wir sie ja haben.“ Heißt also im Klartext, wenn Österreich und Italien nicht binnen 48 Stunden zurücknehmen, wer als zurücknahmepflichtig ermittelt wurde, dann darf eingereist werden wie bisher auch schon. Aber wozu lässt man die Menschen dann überhaupt ein? Weil ein Grenzer in Stunden nicht erledigen kann, was diese Zentren nun in 48 Stunden vollziehen können sollen und was dann die mehr als fragliche sofortige Rücknahmebereitschaft der Einreiseländer zwingend erforderlich macht, die entfallen würde, wenn direkt an der Grenze abgewiesen werden würde?

Eine Grenze ist keine Grenze sondern ein Bereich

„Grenznähe heißt aber nicht direkt an der Grenze?“, fragt Hassel. „Aber sehr nahe an der Grenze.“, antwortet Merkel. Was für Dialoge sind das? Gespräche wie aus dem Kika-Kinderkanal. „Aber immer unter polizeilicher Aufsicht, das ist richtig.“, ergänzt die Kanzlerin noch.

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„Ist nun endgültig aus der Flüchtlingskanzlerin eine Abschottungskanzlerin geworden?“ fragt Becker. Nun hätte Merkel hier Gelegenheit, einmal mit der Bezeichnung „Flüchtlingskanzlerin“ zu brechen. Will sie aber gar nicht, den Titel trägt sie offensichtlich noch mit Stolz, wenn sie erwidert: „Ein klares Nein.“

Die Ankunftsländer dürften nicht alleine gelassen werden, deshalb sei das Thema der Verteilung ein so relevantes und „Deutschland hat sich hier immer solidarisch gezeigt.“ Aber was für eine Solidarität ist das eigentlich, wenn Deutschland den größten Teil der Massenzuwanderung geschultert hat. Bekanntlich leben allein in Berlin so viele „Flüchtlinge“ wie in Griechenland. Unsolidarisch sind doch hier zunächst jene Länder, die nicht registrieren, die einfach weiter nach Deutschland durchwinken, dorthin, wo sowieso die meisten hinwollen, wo es die üppigsten monatlichen Zahlungen gibt, die höchsten „Asylgehälter”, wie Sarkastiker sagen. Gelder, die, so wurde ermittelt, ausreichen, Jahr für Jahr Milliardensummen zurück in die Heimatländer zu überweisen per MoneyGram oder Western Union. Eine Art wilde Entwicklungshilfe an Parlament und Ministerium vorbei. Aber genau das, weswegen die Entsendeclans der jungen Männer sie ausgeschickt haben.

Merkel möchte einen Unterschied machen zwischen EU-Außengrenzenschutz und Abschottung. Sie verstehe ja, wenn wir nur noch über „Grenzschutz, Grenzschutz, Grenzschutz“, sprechen würden, dass die Leute dann fragen würden, wollt ihr euch nur noch abschotten? Aber wer sind diese ominösen „Leute“ über die Merkel da redet? Die Katrin Göring-Eckardts dieser Welt? Offensichtlich hatte Angela Merkel zu oft und über einen viel zu langen Zeitraum die falschen Gesprächspartner. Denn die „Leute“ im Land sehen das in großer Zahl ganz anders.

Im Türkei-Deal hätte man Außengrenzen-Politik gemacht. Also Grenzschutz via Milliarden-Spritze? Tatsächlich ersetzt besagte Euro-Puderdose bei Merkel den eigenen bewaffneten Grenzsoldaten. Den soll dann quasi in Söldnerfunktion das außereuropäische Ausland übernehmen.

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Becker fragt zuletzt tatsächlich, ob das alles noch vereinbar wäre mit den „christlichen Werten“ der bisherigen Politik der Kanzlerin, fast so, als müsse die viel besprochene Richtlinienkompetenz nun noch zusätzlich mit Heinrich Bedford-Strohm abgestimmt werden. „Wir müssen schauen, wie wir gerechte Mechanismen finden und die müssen zwischen Staaten vereinbart werden.“, antwortet die Kanzlerin. Antwortet und sagt damit kaum mehr als nichts.

„Diese Mal war es eine heftige Auseinandersetzung über ein Thema, das auch sehr emotional ist.“, fasst Angela Merkel zusammen. Aber wird es nicht erst deshalb emotional, weil die Arbeit, welche die Regierung zu erledigen hat, immer erst den Umweg durch Merkels Bauch gehen muss?

CDU und CSU seien über viele Jahrzehnte eine „Schicksalsgemeinschaft“ geworden, sagt Merkel nach fünfzehn Minuten. Und damit ist dann eigentlich alles gesagt. Nicht die Bürger eines Landes, einer Nation, sind Schicksalsgemeinschaft für die Kanzlerin, es sind die Haupt-Regierungsparteien zueinander, die sich nun schicksalhaft zusammenraufen müssen, um ihren Machterhalt zu sichern über die Bürger und Migranten, die nun schicksalhaft die Folgen des daraus resultierenden Staatsversagens der „Schicksalsgemeinschaft“ Politik zu tragen haben.